Die Schlinge. Pavel Kohout

Die Schlinge - Pavel Kohout


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die Durchgangstür einen Spalt weit und rief in die benachbarte Raumhälfte.

      »Liebling, Genosse Soukup ist hier!«

      Kamila kam in Alltagskleidung heraus, aber dennoch elegant, und gab Jan herzlich die Hand.

      »Jan! Ich bin unheimlich froh, dass ich dich hier bei uns zu Hause sehe!«

      »Ich auch ...«

      Sie meisterte die Sache perfekt. Nur mit Mühe konnte er glauben, dass das dieselbe Frau war, die er so oft leidenschaftlich in seinen Armen gehalten hatte. Fischer umarmte beide spontan.

      »Kamila hat mir erzählt, wie großartig du dich im Reich um sie gekümmert hast. Entschuldige bitte, dass ich dir erst heute dafür danke. Ich werde bis an mein Lebensende in deiner Schuld stehen.«

      Jan brachte einen Satz heraus, der ihm angemessen erschien.

      »Es war mir eine Ehre, Ophelia und Julia gleichzeitig dienen zu können.«

      Sie gab den Männern einen Wink, wieder Platz zu nehmen, und forderte Jan in gleicher Weise auf, sich mit einem der bereitgestellten Getränke zu bedienen. Danach verabschiedete sie sich.

      »Felix, unserer Stáňa habe ich lieber frei gegeben. Und mich entschuldigen Sie jetzt bitte, ich muss meinen Text lernen.«

      Jan fühlte, dass er noch etwas sagen sollte, um natürlich zu wirken.

      »Wen sollst du spielen?«

      »Lady Macbeth. Ich überlebe keine meiner Rollen! Kommst du diesmal endlich zu meiner Premiere?«

      »Sehr gerne.«

      Sie ging weg, zog aber die Durchgangstür nicht ganz zu. Die Angst in ihm, er könnte seine Rolle nicht erfolgreich spielen, löste sich wieder. Die Männer setzten sich hin.

      »Nehmen Sie auch einen Whisky?«, fragte Fischer.

      »Verzeihung, aber ich trinke nicht ...«

      »Ganz nach Ihrem Belieben.«

      Fischer schenkte ihm Fruchtsaft ein. Schweigend und angespannt stießen sie an.

      »Genosse Soukup«, sprach der Gastgeber, und auch Pýcha und Laštovička hingen an seinen Lippen, als würden sie einen vorgefassten Text kontrollieren, »wir beide haben vor dem Krieg, als du Sprecher der Jungkommunisten warst, mehr als eine Auseinandersetzung ausgetragen, aber schon damals hattest du einen Sinn furs Fair Play. Manches hört nicht auf, uns zu trennen, aber eines verbindet uns immer noch: der Glaube an den Sozialismus als Zukunft für die Welt. Empfindest du es auch so?«

      Er nickte.

      »Nun, ich möchte auch dank deiner Fürsorge um Kamila ganz offen sein. Wir drei hier haben ein großes Problem. Wir befürchten, dass der geplante Zusammenschluss eurer Partei mit der unsrigen eine Falle sein könnte.«

      »Eine Falle ...?«

      »Bei euch haben jetzt Leute die Oberhand, die mit Gottwald aus Moskau gekommen sind. Und wie es mit der Sozialdemokratie in der UdSSR ausgegangen ist, ist ja hinlänglich bekannt. Um nicht weiter auszuholen: Sie ist einfach von der Bildfläche verschwunden! Auch du warst bei unseren damaligen Disputen der Meinung, dass eine verstärkte Kritik aus den eigenen Reihen an die Stelle der bourgeoisen Opposition treten müsste, damit sich keine Usurpatoren der Revolution bemächtigen können.«

      Er konnte dies bestätigen.

      »Du bist zum Dichter und Journalisten deiner Partei geworden, du hast einen guten Draht zu ihrer Führung. Können wir denn den Zusagen immer noch vertrauen, dass wir bei uns in der Tschechoslowakei tatsächlich einen eigenen Weg gehen werden, der unseren demokratischen Traditionen entspricht?«

      Jan war offenkundig verwundert.

      »Nun, natürlich ... Unser Zentralkomitee ist doch ...«

      »... ein genauso formales Plenum wie das unsrige. Entschuldige, aber zurzeit entscheidet doch bei euch das Politbüro über alles und alle! Kann ich dein ...«

      Er schaute seine Gefolgsleute fragend an. Beide nickten. Er wandte sich wieder zu Jan.

      »Kann ich dein Wort haben, dass du unser Gespräch direkt und ausschließlich den obersten Genossen, denen du selbst vertraust, dolmetschen wirst? Es soll der gemeinsamen Sache dienen.«

      »Ja ...«

      »Wir drei vertreten den starken Parteiflügel, der im Falle schwacher Garantien eine Vereinigung nicht zulassen wird. Wir wollen die Sicherheit haben, dass wir uns auch danach noch genügend Unabhängigkeit bewahren können, damit wir, falls es nötig sein wird, eure genossenschaftliche Opposition bilden können. Dass der Begriff ›Demokratie‹ nicht mit dem Namen unserer Partei verschwindet, sondern auch mit in eure Partei übergeht, wie ihr es uns im Februar diesen Jahres verbindlich zugesichert habt, als ihr die Rechten nicht ohne uns schachmatt setzen konntet. Könntest du, und vor allem willst du derjenige sein, der uns hilft, das herauszufinden und ... zu garantieren?«

      Erst jetzt bemerkte er, dass Kamila die Schiebetür so offen gelassen hatte, dass genau nur sie beide sich sehen konnten. Sie schaute ihn unverwandt aus ihrem Schaukelstuhl an, ihr Textbuch hatte sie auf dem Schoß und die Arme genau so hinter ihrem Kopf verschränkt, wie wenn sie sich mit ihm liebte. Er riss seinen Blick von ihr.

      »Natürlich ... Ich werde alles tun, was ich kann ...«

      7

      Dieser Anblick blieb auf seiner Netzhaut haften. Er vergaß den Fahrstuhl und ging zu Fuß nach unten, um seine Erregung abzubauen. Als er aus dem Haus trat, näherte sich die Siebzehn zum Nationaltheater, er hätte sie mühelos erreichen können. Er widerstand dem und entschied sich, zu Fuß in die Redaktion zu gehen, um sich unterwegs darüber klarzuwerden, was er ihnen versprochen hatte und was er tatsächlich machen konnte. Sich mit Hudeček beraten? Er war sein Chefredakteur, aber jeder wusste, dass der Posten eine Belohnung für den mährischen Kreisagitator der Vorkriegszeit war, welcher mit Klement Gottwald verschwägert war. Teringl! fiel ihm ein, ja, er würde sich mit Teringl beraten, das Ganze war immerhin sein Ressort ...

      Im gleichen Augenblick überholte ihn ein schwarzer Tatra und bremste am Gehsteig dicht vor ihm scharf ab. Der Beifahrer schlug die Tür so heftig auf, dass Jan beinahe gegen sie geprallt wäre und rief laut.

      »Honzik!!«

      Er wurde unsicher, schaute sich Jan forschend aus der Nähe an, rief aber sogleich weiter.

      »Du bist doch Honzik Soukup aus der Roten Einheit oder nicht?«

      Da hatte er sich schon aus dem Auto gequetscht und schüttelte Jan kräftig die Hand.

      »Ja und ich bin doch Kája! Ehre der Arbeit! Wohnst du immer noch bei deiner Mutter in Karlín?«

      Jan wusste immer noch nicht, mit wem er sprach. Aber der Mann kannte ihn ganz sicher, und er selbst hatte stets achtgegeben, dass keiner der vielen Leute, die ihn ansprachen, jemals denken könnte, er sei hochmütig geworden.

      »Ja ...«

      »Also auf, steig ein!«

      »Aber ich gehe noch ...«

      »Wohin du auch willst, wir setzen dich dort ab! Du wirst mich doch nicht hängen lassen, ich will dich den Genossen hier zeigen!«

      Er öffnete auch noch die Hintertür und drückte ihn hinein, so dass der dritte Mann, der dort saß, weiterrücken musste. Jan hatte schon mehr als einen Überfall von dieser Art überlebt, wo unbekannte Genossen ihn eine Weile lang für sich in Beschlag genommen hatten, um mit ihm woanders prahlen zu können. Das Auto fuhr los und überquerte jene Kreuzung hinter dem Café Slavia in Richtung Rudolphinum. Der Mann, der Jan überredet hatte, bekam seinen Mund nicht zu, während seine beiden Mitfahrer nicht nur schwiegen, sondern überhaupt nicht zuzuhören schienen. Jan kannte sich darin umso weniger aus, je mehr er feststellen musste, dass die Informationen des unbekannten Genossen aus der Jugendzeit zutrafen.

      »Honzik war bei allen Reibereien mit den Faschos und der Polente unser


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