Die Musikantenstadt. Max Geißler

Die Musikantenstadt - Max Geißler


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Er blieb aber fort. Darüber hat sich die Steinhöferin besonnen: ‚Es ist ja heut Mittsommernacht, und in der Nacht steigen die Zwerge herauf wie damals auf der Waldwiese.‘ Da ist sie auf jene Au im Forst gelaufen, und richtig, auf einem Baumstumpf hat der Junge mit erstaunten, weltfremden Augen gesessen und hat ihr erzählt, er sei in einer schönen, glänzenden Zwergenstube gewesen. Darin war ein Licht wie untergehende Sonne, und ein fremder Mann, der hat ihm seinen Prophetenspruch damals schon gesagt. „Und nun,“ meinte die Steinhöferin, „nun ist ihm jene Weisheit wieder eingefallen. Aber aus sich selber hat er sie nicht. Wie kann denn ein Mensch so gescheit sein?“

      So ist der Prophet schon ein Sonderlicher gewesen, wie ihm noch das Hemdlein zu den Hosen herausgeschaut hat. Zu den anderen, die die muntere Keckheit und den fröhlichen Übermut vor ihren Lebenswagen gespannt hatten, damit diese beiden auf der steinichten Strasse sie leidlich durchs Leben führen, war dem Propheten der Weg seintag fremd geblieben. Dagegen hatte er gern einsam auf der sonnenheissen Waldlichtung gelegen und hatte zugeschaut, wie sich dort die bunten Nattern wandten und wie die schillernden Eidechsen spielten.

      Die Waldleute erklärten sich daher den tiefen, feuchten Glanz in seinen Augen und sein verträumtes Wesen. Aber die Steinhöferin kniff die Lippen zusammen, wenn sie das hörte; denn sie wusste es besser: Das ist der Widerschein des Lichtes, das wie Sonnenuntergang in jener fernen Mittsommernacht die Felsenstube der Zwerge hell gemacht hatte.

      Vordem, da hatte die alte Steinhöferin ein fixes Mundwerk und hatte — insonderheit, wenn draussen der Schneewind mit den Flügeln schlug — ihren wunderlichen Glauben in hundert Geschichten durch das Walddorf getragen. Aber seit sie sich über die Schwelle getastet hatte, die vor dem zehnten Jahrzehnt ihres Lebens lag, da schritt sie in einem noch seltsameren Lichte; das war so dämmerig, dass sie Traum und Leben, Gesicht und Wahrheit nicht mehr unterscheiden konnte. Sie sagte: „Ich habe alles erlebt und mit diesen Augen gesehen.“ Aber die Leute meinten: „Sie hat alles erdichtet und weiss nicht mehr was Gesicht und was Wahrheit ist.“

      In das Herz der Bärbeli, die die alte Steinhöferin in dem Haus am Hang grossgezogen, hatte die greise Frau den ganzen Reichtum ihrer wunderlichen Gedanken gesenkt. Wenn des Abends die Scheiter im Ofen krachten und der Sturmwind recht wild über den Wald fuhr, da hatte die Alte in jenen vergangenen Jahren mit dem Kind in der ‚Hölle‘ hinter dem Kachelofen gesessen. Und wenn sie zu erzählen begann, zog die Bärbel die Füsse unter das Röcklein, hockte sich mit weiten Augen auf die Ofenbank und fühlte heimliche Schauer über ihren Rücken rinnen.

      In der Frühlingsonne hatten sich dann der Bub vom schwarzen Kreuz und das Mägdlein vom Steinhofhause gefunden. Sie waren miteinander in die Beeren und in die Schwämme, ins Holz und später vor den Altar gegangen. Und nun waren sie drei wunderliche, fromme, verträumte Leute, die dreie im Haus ‚beim Propheten‘; denn der kleine Prophet zählte auch schon für einen.

      12.

      Zehn Jahre nach dieser Zeit war die Steinhöferin gestorben, und sie hatte den Pechschaberleuten das Haus am Hange vermacht, weil sie die Alte in der langen Zeit gepflegt hatten, in der sie auf dem Stroh lag und des Todes wartete. So gut hat’s die Annemirl mit der alten Frau gemeint, dass die sagte, ihrtag sei es ihr nicht so wohl geworden, und es sei nur schad, dass ihre Geschichten schon vor ihr gestorben seien; sie habe da noch allerlei wunderlich Ding erlebt; wisse, wie man reich werden könne, und wo im Wald der Brunnen sei, durch den der Weg in die silbernen Tiefen der Erde führe, die voll glänzender Schätze lägen.

      Weil sie das den Pechschaberleuten nun nicht alles mehr verraten könne, so sollten sie ihr Haus und das Stücklein Bergwiese zum Lohne nehmen, das aber weniger wertvoll sei als das, was sie ihnen gern gegeben hätte.

      Wie sie das sagte, trat die Bärbel in die Stube. Die Sommersonne strömte ihren abendlichen klaren Schein durch die Fenster, und es war, als wolle sie der alten, müden Frau eine goldene Brücke bauen, auf der sie hingehen könne, weit hin, bis wo das Glück wohnt und die tiefe, ewige Stille.

      Auf der goldenen Brücke ist die Steinhöferin an diesem Abende gegangen. Da hat ihr die Annemirl die Augen zugedrückt, und die Bärbel, der das Steinhofhaus hätte zufallen müssen, hat alsbald zu den Pechschaberleuten gesagt:

      „Leut’, es bleibt so, das Steinhofhaus gehört euch seit der vorigen Stunde zu. Eine Verbriefung brauchen wir nicht; denn wenn das Wort nicht mehr gilt und zu allem eine Verbriefung gehört, hernach — so haben wir die schlechte Zeit im Waldlande.“

      Das ist die Geschichte, wie der Pechschaber ein Hausbesitzer geworden ist, — geschehen zehn Jahre nach seinem Einzug in den Steinhof.

      „Annemirl,“ hat der Mann gesagt, „wie einer reich werden kann, hätt’ sie gewusst? Das wüsst’ ich fei selber; aber eine Gelegenheit dazu kommt einem nicht! Darum: Der Steinhof ist mir schon lieber als der Steinhöferin ihre wunderliche Wissenschaft.“

      Die zehn Jahre hatten dem Pechschaber ein feines Silber in die Haare geblasen.

      „Es weht auf dem Gebirg ein Reifwind,“ lachte der Mann, wie er die Spuren des Alters bemerkte und deutete dabei auf seinen angegrauten Schopf, „und es sind Örter im Wald, wo um Mittsommer ein Winterschnee liegt.“

      Um diese Zeit hatte sich das Musikantenpaar im Haus am Stein, das der Pechschaber einst sich gewünscht hatte, schon längst eingestellt; zuerst war das Mägdlein gekommen. Das hiess Annemarie, wie die Mutter.

      Wie die Kleine die Dinge um sich herum erkannte und der Pechschaber sie in übermütigem Glück vorzeitig auf seinem Knie reiten liess, legte er das verstaubte Blasrohr, eine Kartoffel und einen Tannenzweig vor ihr auf den Tisch; denn sie wollten den Vorhang ein wenig heben und dem Leben in die Karten gucken. Hätte die kleine Annemirl nach dem Zweige gegriffen, wär’ sie eines Holzhauers Weib geworden; die Kartoffel hätte verraten, dass ein armer Waldbauer sie einst zur Frau begehre, — ein reicher wohnt nicht im Gebirg. Aber sie langte nach des Pechschabers Flöte.

      Da machte der Girgl einen schallenden Lacher, und die Annemirl hob das Kleine in jauchzender Lust hoch. Aber der Pechschaber stellte sich in komischem Ernst vor das Kind hin und drohte mit dem Finger:

      „Du,“ sagte er, „das Musikantentum haben wir uns löblicherweis abgewöhnt, hörst du? Wenn du leicht noch eine Erinnerung an die vorige Zeit in dir hast, so wär’s schon gut, du schlagetest sie dir aus dem Sinn!“

      Er redete so laut, dass ihn das Kind auf dem Arme der Mutter nicht mehr verstand. Es schaute fremd in seine dunklen Augen und verzog die Lippen zum Weinen.

      War nun auch schon länger als neun Jahr her, seitdem das geschehen! Und die Pechschaberleute hatten’s vergessen.

      Hernach hatte sich noch ein Büblein ins Haus am Stein gefunden, ein schwarzhaariger blankäugiger Junge: hiess Georg, wie der Vater, und ward der ‚Pechschaberbub.‘ Der war in diesem Jahre neun, und seine Schwester, die ‚Singerannemirl vom Steinhof‘ ward nun zehn Jahre alt. Und weil ihr der kleine Prophet (das war der, den die Bärbel an jenem Morgen, an dem das mit dem Grenzwächter geschah, in Tücher gehüllt zum Steinhof getragen hatte) nicht viel vorgab, so ging er nun mit dem Mägdlein auf die Bergau, die Ziegen hüten. Sie freuten sich miteinander an den weichen Läuteglocken, die zwischen den Weiderosen um die Steine schwankten. So hatten’s auch seine Eltern getan, — der Prophet und die Bärbel vom Steinhof — wie sie noch Kinder gewesen waren.

      Der schwarzhaarige Pechschaberbub aber ging derweil Holz lesen, oder er war mit seinem Vater im Walde Stöcke roden. Er hieb mit seiner Axt schon in die Wurzeln wie ein Mann und wälzte seinen gerodeten Baumstumpf auf der Baumwiese hernieder wie ein Mann. Der Pechschaber hatte ihn hart gehalten; denn das Leben ist Kampf, auch im tiefen Frieden der Wälder, wo die Menschen noch nicht gegeneinander stehen in scheeläugiger Selbstsucht.

      13.

      In diesem Sommer war kein Regen gefallen. Seit der letzte Schnee im Mai vor den Schwalben hergetrieben war, hatte der Himmel in gleichmässigem heiteren Blau über den dunkelgrünen Bergwäldern gestanden. Des Morgens lag siebenfarbiger Tau; noch klangen die Quellen aus dem Gestein, und das Wildwasser warf seinen blitzenden Staub zu leuchtenden Bogen und rauschte


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