Die Musikantenstadt. Max Geißler

Die Musikantenstadt - Max Geißler


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säeten ein wenig Hafer. Dann warteten sie auf einen sanften Mairegen.

      Aber der Regen kam nicht. Die blendende Glocke des Himmels wölbte sich zu unermesslicher Höhe; manchmal flog das weisse Segel einer Wolke herauf und verschwand. Dann stand wieder die heitere Bläue des Himmels. So geschah es Tag um Tag.

      Da wurden die tausend Rinnsale der Wälder still.

      Da minderte sich die schäumende Kraft des Waldbachs; und wie der Hochsommer über das Gebirge schritt, siechte ein hageres, gläsernes Wasser in seinem Bett, und war doch vordem ein gärendes weisses Brausen gewesen und ein Schäumen um moosgrüne, runde Felsblöcke; die lagen nun missfarbig und verdurstet in dem Bachbette.

      Die Arme der Brunnen über den Trögen waren trocken und fielen nur noch Tropfen wie tauende Tränen.

      Auf den Astspitzen des Jungholzes, auf denen der Mai lichtgrüne Kerzen angesteckt hatte, stand eine spröde, bräunliche Masse wie Reste von Docht oder wie Asche — die Kerzen waren verbrannt. Und auf den Feldstreifen am Berghang starrte das Kraut der Kartoffel, als wäre Feuer darüber geflogen.

      Deshalb sassen die Leute mit suchenden Augen vor ihren Hütten und sahen gen Himmel, ob die Nacht regnen wolle. Aber es war nichts als blendender Glanz.

      Siebzehn Wochen war der Quell der Wolke nicht gerieselt. Endlich gingen auch die Nächte ohne Tau über das Gebirg.

      Nun sassen die Leute vor den Hütten mit gefalteten Händen und beteten in ihren Herzen. Der Pfarrer Andreas kniete auf der Kanzel des Wildkirchleins und schrie zum Himmel.

      Aber Gott hörte nicht.

      Der Sommer schritt weiter, und unter seinen Sohlen ward der Waldgrund Asche. Die Beeren waren an den Kräutern verdurstet; die bunten Schirme der Schwämme wurden nicht aufgespannt; denn es regnete nicht.

      Da gingen die, die nichts hatten, zu denen, die wenig hatten, und assen mit ihnen. Sie gingen zu den Mühlen, die dort liegen, wo der Hang des Gebirges auf der Talsohle steht, und liehen sich Mehl, damit sie Brot backen konnten. Aber die Müller verteuerten ihre Waren; denn die Bergwasser siechten und mussten gesammelt werden, ehe sie die Räder langsam zu treiben vermochten.

      Die Leute im Dorfe schlachteten ihre Ziegen; etliche liessen noch eine gehen, die letzte, die das Heu frass, das anstatt der saftigen Halme auf den verbrannten Waldblössen stand.

      Die Not war gross.

      Und der Himmel lachte auf sie hernieder.

      14.

      An einem Augustmorgen, wie nun schon vorzeitig das Laub von den Bäumen fiel, schritt der kleine Prophet hinter seiner weissen Ziege zu Berg und schritt den schmalen Steilpfad beim Haus am Stein vorüber.

      Wie das Mägdlein des Pechschabers das Glöcklein draussen vorbeiläuten hörte, band es sich das kattunene Kopftuch um und trieb seine graue Ziege aus dem Schupfen und trieb sie der andern hinterdrein.

      Bald hatte die Annemarie den Jungen aus dem Kreuzhaus eingeholt.

      „Du,“ sagte der kleine Prophet, „bei den drei Brunnen möcht’ auch in dieser dürren Zeit noch saftiges Waldgras wachsen.“

      „Freilich wohl,“ gab das Mädchen zurück, „aber es ist sehr weit bis dorthin.“

      „Und ist eine halbverfallene Köhlerhütte dabei, so hoch, dass ich beinahe darin stehen kann. Wenn wir reichlich Gras fänden oder gar Schwämme und Beeren, dann wüsst’ ich, was ich tät’. Aber du müsstest schon mitmachen, du!“

      Also lockte der kleine Prophet das Steinhofmägdlein. Die Annemirl schaute ihn erwartungsvoll an:

      „Was tätest du denn? Du wirst dir da wieder etwas Wunderliches ausgesonnen haben.“

      „Wenn bei den drei Brunnen Schwämme und Beeren sind, so sammeln wir; ich hab’ zwei grosse Tücher mitgebracht, hier, siehst du? Und was wir finden, teilen wir.“

      Aber das Mägdlein zauderte: „Da hätten wir aber schon um drei Uhr früh von Hause gehen müssen; denn nun sind wir erst nach Mittag an den Quellen, wenn wir eigentlich schon an ein Heimkehren den en sollten.“

      „Ich hab dir ja gesagt, dass die Köhlerhütte dort ist. Die Nächte sind warm, und wenn wir einen Arm voll Reisig schneiden, so wird das Dach wieder ganz und wir haben ein feines Haus; ein Moosbett ist auch rasch zurechtgemacht und ist fein trocken in diesen Tagen.“

      Über diese Rede wunderte sich das Mägdlein.

      „Ja, fürchtest du dich denn gar nicht, Bub? So allein in der Nacht, wenn die Käuze schreien? Und beim Propheten und im Haus am Stein ängstigten sie sich ja zu Tode, wenn wir nicht heim kämen.“

      Da machte der kleine Prophet ein pfiffiges Gesicht:

      „Nein, du, dagegen hab’ ich schon gesorgt; wenn’s Nacht ist, und die Ziegen sind nicht in den Ställen, so wird meine Mutter den Pechschaberleuten sagen: Die Annemirl und unser Bub sind miteinander in der Drei-Brünneleinhütt’. Ein Brot hat der Bub mitgenommen, das für zwei langt, und wenn sie nicht gekommen sind, haben sie auch Schwämme und Beeren gefunden und tragen morgen davon herein. Damit werden die Pechschaber zufrieden sein.“

      „Freilich wohl,“ sagte die Annemirl, war aber doch noch ein wenig nachdenklich. „Weisst du, vor Menschen ist mir nicht bange, es gehen keine bei den drei Brunnen hinauf. Aber die Schlangen und Molche, wenn sie einem des Nachts kellerkalt über die Hände laufen ...!“

      So redeten sie miteinander. Wenn das Mägdlein etwas dagegen sagte, wusste der kleine Prophet etwas dafür. Sie gingen über Schläge, gingen im Schatten des Hochwaldes und gingen auf feuerheissen Bergsteigen. Sie kamen an einen Waldstein, der von stachlichtem Brombeergebüsch umrankt war, und pflückten sich die reifen Beeren; die waren aber in diesem Jahre klein wie die Blaubeeren; denn der Grund, auf dem sie wuchsen, sperrte das Maul auf und wollte trinken. Die Bäume, die in den Runsen des Gesteins Wurzel geschlagen und in der kargen Krume jahrelang Nahrung gefunden hatten, waren verdorrt.

      Immer weiter schritten die Kinder. Die Ziegen hoben zeitweilig verwundert die Köpfe und trotteten träge hinterdrein.

      „Es ist ein gar zu weiter Weg bis zu den drei Brunnen,“ klagte die Annemirl.

      Der Junge tat sein Brot aus der Tasche und gab dem Mädchen davon.

      „Du,“ sagte er, wie sie wieder über den trockenen Nadelgrund des Hochwalds schritten, „die alt’ Steinhöferin hat meiner Mutter, wie die noch ein Kind gewesen ist, von den drei Brunnen eine Geschichte erzählt; dort läg’ ein Tor, und wer sich hindurchfindet, der kommt in die silbernen Tiefen der Berge, in denen die Unterirdischen des Nachts die Schätze schürfen.“

      „Ach, Bub, wenn’s wahr wär’! Aber die Steinhöferin hat allerhand Dinge gewusst und für wahrhaftig gehalten. Es hat zuletzt kein Mensch klug aus ihr werden können und — zuerst auch nicht,“ setzte die Annemirl halblaut hinzu. „Es ist schad, dass alles, was sie gewusst hat, nur Märchen gewesen sind.“

      Darauf der kleine Prophet: „Dass sich die alt’ Steinhöferin das alles ausgedacht haben soll, das glaub’ ich nicht. Mein Vater sagt, etwas Wahres wär’ wohl an allem; selbst das wunderlichste Märchen wüchse auf etwas Wahrem. Freilich, wenn eine Zeit der Not im Waldland ist wie heute, da haben die Leute für derlei Dinge keine Zeit und haben keine Freude daran.“

      Da blieb er auf einmal stehen und schaute ringsum:

      „Du, jetzt, bei den drei Brunnen sind wir!“

      Sie standen in einer Schlucht, in die kalte Felswände herniederfielen. Hundertjährige Bergfichten ragten ringsum; die hatten graue Flechtenbärte. Durch das dichte Geäst spannte sich nur da und dort das feine Goldband eines Sonnenstrahles. Der Grund war von schwellendem Moos überzogen.

      Die Kinder gingen langsam durch das geheimnisvolle Dämmerlicht, das kühl um ihre Stirnen wehte und gingen langsam auf ihren blossen heissen Füssen über das feuchte Moos. Die Ziegen hatten sich, von dem langen mühsamen Wege matt, schon niedergelegt


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