Keiner zwischen uns. Carolin Hristev
Über das Buch
Eben hat der 15-Jährige Nelson noch gedacht, auf der Klassenfahrt könnte er endlich mit Marie zusammenkommen. Doch im nächsten Moment sieht er sie eng umschlungen mit Hamsa. Hamsa, seinem Blutsbruder und besten Kumpel! Aber als er ihn zur Rede stellt, offenbart ihm Hamsa etwas, das seine Welt aus den Fugen geraten lässt: Hamsa ist schwul. Wenn das rauskommt, wird nicht nur Hamsas hart erkämpfter Ruf zerstört sein, sondern auch Nelsons. Und das Allerschlimmste: Der gefährlichste Typ ihrer Klasse weiß davon …
Ein packender Roman über eine typische Klassengemeinschaft - ein Schmelztigel unterschiedlichster Backgrounds.
Inhalt
ALS OB ES GESTERN GEWESEN WÄRE …
Ich stolpere über dieses verdammte Feld in diesem hässlichen Bundesland namens Mecklenburg-Vorpommern und kriege es einfach nicht in meinen Schädel. Wie kann man so derbe reinfallen?! Wie kann man sich so dermaßen täuschen?! Und wie kann jemand einen so eiskalt anlügen? Jemand, dem du mehr vertraut hast, als irgendwem sonst auf dieser verfickten Welt? Nelson, Bro. Wir sind Brüder, Nelson. Und ich Idiot hab das wirklich geglaubt. Mein Leben hätte ich Hamza anvertraut. Ohne auch nur eine Sekunde zu zögern. Zum zwanzigsten Mal bleibe ich an irgend so einer Kartoffelpflanze hängen oder was immer das für ein Zeugs ist, das hier wächst. Alter, wie konnten wir nur auf die unterirdisch bekloppte Idee kommen, die Klassenfahrt nach Mecklenburg-Vorpommern zu machen?! Ich sehe überhaupt nichts, es ist fast komplett dunkel. Meine Schuhe kann ich wahrscheinlich auch in den Müll schmeißen. Das heißt, wenn dieses beschissene Feld überhaupt irgendwann aufhören sollte. Ich habe keine Ahnung, in welcher Richtung die Jugendherberge liegt. Aber es interessiert mich auch nicht. Nicht im Geringsten. Auf meinem Handy öffne ich das Bild von Marie. Verdammt, ich finde kein Wort dafür, wie sehr mir mein Herz wehtut. Ich denke daran, wie sie vor drei Monaten neu in unsere Klasse gekommen ist. Ich weiß es noch, als ob es gestern gewesen wäre. Es war der Tag, der mein Leben in so was verwandelt hat, was zum Beispiel Gefangene auf Alcatraz statt einem Leben haben. In anderen Worten: Die Hölle.
Oh, verdammt, das Leben ist so ein Verräter! Nein, nicht das Leben. Jemand anderes ist der Verräter. Hamza ist der Verräter, und je länger ich darüber nachdenke, desto mehr habe ich das Gefühl, gleich durchzudrehen. Ich bleibe stehen und schaue das Foto von Marie noch einmal ganz genau an. Ich habe es bei unserem Sportfest gemacht, und es sind noch ein paar andere aus der Klasse darauf. Ich vergrößere das Foto, sodass Maries Kopf den gesamten Bildschirm ausfüllt, und streiche mit dem Finger vorsichtig über ihr blondes Haar. Dann lösche ich es. Und dann lösche ich jedes einzelne Bild, das ich von Hamza habe. Es sind Hunderte. Eine halbe Stunde stehe ich mitten in der Nacht auf einem nach Jauche stinkenden Feld und lösche Fotos.
Verdammt, wer hätte geahnt, dass mein bester Freund ein Lügner und ein Verräter ist?!? Ein Heulen kommt aus meiner Brust, als ich das letzte Bild von ihm lösche. Ich fühle mich, als habe ich eine Blutsbrüderschaft aufgelöst. Und genau das habe ich ja auch getan.
ALS OB ES
GESTERN
GEWESEN
WÄRE …
1
NELSON
»Oh, là, là, chica«, sagt Djamila und schnalzt mit der Zunge, als Frau Häuser zur Tür reinkommt. Seit Frau Häuser schwanger ist, trägt sie meistens Kleider, und das heute sieht richtig gut aus. Aber Frau Häuser mag es anscheinend nicht, wenn sie von Djamila Komplimente bekommt, und guckt Djamila nur streng an. Und dann guckt sie noch mal in den Flur und sagt: »Hereinspaziert!