Das Dekameron. Джованни Боккаччо
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Giovanni Boccaccio
Das Dekameron
Saga
Das Dekameron ÜbersetztKarl Witte Coverbild / Illustration: Shutterstock Copyright © 1349-1352, 2020 Giovanni Boccaccio und SAGA Egmont All rights reserved ISBN: 9788726544862
1. Ebook-Auflage, 2020
Format: EPUB 2.0
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BEGINNT DAS BUCH,
GENANNT DEKAMERON,
BEIGENANNT DER ERZKUPPLER,
WORIN
HUNDERT GESCHICHTEN ENTHALTEN SIND,
DIE VON SIEBEN DAMEN
UND
DREI JUNGEN MÄNNERN
ERZÄHLT WERDEN.
VORREDE
Mitleid mit dem Betrübten zu haben, ist ein menschliches Gefühl, das jedermann wohl ansteht, vor allem aber von denjenigen gefordert wird, die schon einmal des Trostes bedurften und ihn bei anderen gefunden haben. War aber unter diesen einer, der Teilnahme nötig hatte, dem sie willkommen war, der sich durch sie erquickt fühlte, so bin ich es gewesen. Denn von meiner frühesten Jugend an bis zu dieser Zeit bin ich immer in einer hohen und adeligen Liebe über die Maßen entbrannt gewesen, so sehr, daß es meinem niedrigen Stande vielleicht nicht angemessen erschiene, wollte ich davon erzählen, obgleich diejenigen, die der Liebe kundig sind und meine Geschichte kennen, mich deshalb loben und um vieles höher schätzen. Um dieser Liebe willen habe ich viel gelitten; nicht weil die geliebte Dame grausam gegen mich gewesen wäre, sondern wegen des übermäßigen Feuers, das schlecht gezügelte Begier in meinem Gemüt entfachte, und das mich an keinem vernünftigen Ziel befriedigt verweilen ließ, mir vielmehr häufig größeren Kummer verursachte, als nötig gewesen wäre. In dieser Trübsal gewährten mir die ergötzlichen Erzählungen eines Freundes und seine liebenswürdigen Tröstungen so viel Erfrischung, daß ich der festen Meinung bin, ich sei allein um ihretwillen am Leben geblieben.
Weil es aber Dem gefiel, der, selbst unendlich, allen Dingen dieser Welt das Gesetz auferlegt hat, ein Ende zu haben, so geschah es, daß meine Liebe, die so überschwenglich glühend gewesen war, daß weder die Kraft des eigenen Entschlusses noch fremder Rat, weder die Furcht vor Schande noch die drohende mit ihr verknüpfte Gefahr vermocht hatten, sie zu zerstören oder wankend zu machen, mit der Zeit so dahinschwand, daß mir jetzt nichts in der Seele zurückgeblieben ist als das süße Behagen, welches der empfindet, der sich auf seiner Fahrt nicht allzu weit in ihre finsteren Meere hinauswagt. Obgleich aber alle Qualen verschwanden, so ist doch das Andenken an die Wohltaten nicht entflohen, die ich einst von denen empfing, welche mich gern hatten und darum ungern leiden sahen. Auch wird mich dies Andenken, wie ich hoffe, nicht eher verlassen als im Tode.
Da nun nach meinem Dafürhalten die Dankbarkeit vor allen anderen Tugenden vorzügliches Lob, so wie ihr Gegenteil besonderen Tadel verdient, habe ich, um nicht undankbar zu erscheinen, bei mir beschlossen, nun, da ich mich frei fühle, zwar nicht denen, die mir halfen, da sie wegen ihres eigenen Verstandes oder guten Glücks dessen vielleicht nicht bedürfen, wohl aber anderen, denen es not tut, nach meinen schwachen Kräften zur Vergeltung dessen, was ich empfing, einige Erleichterung zu bringen. Und obgleich das, was ich beitrage, um die Bedürftigen aufzuheitern oder zu trösten, wie wir es nennen wollen, nicht viel bedeuten will und kann, so bedünkt mich doch, man müsse es da am liebsten darbieten, wo die Not am größten ist, weil es dort am meisten Nutzen stiften und auch am wertesten gehalten werden wird.
Und wer wird wohl leugnen, daß es richtiger ist, diesen Trost, wie wenig oder wie viel er bedeuten mag, den holden Damen als den Männern zu spenden? Sie tragen voll Furcht und Scham die Liebesflammen im zarten Busen verborgen, und wieviel größere Gewalt geheime Gluten haben als offenbare, das wissen die, welche es erfahren. Überdies sind die Frauen, abhängig von Willen, Gefallen und Befehl ihrer Väter, Mütter, Brüder und Gatten, die meiste Zeit auf den kleinen Bezirk ihrer Gemächer beschränkt, und es ist unmöglich, daß sie immer heiter sein können, während sie den ganzen Tag fast müßig sitzen und im selben Augenblick, wollend und nichtwollend, widerstreitende Gedanken in sich beherbergen.
Entsteht nun in ihrem Gemüt aus den feurigen Wünschen des Herzens eine gewisse Schwermut, so muß diese zu ihrer großen Qual so lange darin verweilen, bis neue Gespräche sie wieder vertreiben, wobei ich noch nicht einmal erwähne, daß die Frauen weit weniger Kraft als die Männer haben, um das zu ertragen, was ihnen widerfährt. Daher wird auch deutlich, daß die Leidenschaften der Männer kein gleiches Schicksal haben. Suchen Schwermut oder trübe Gedanken sie heim, so haben sie viele Mittel, um jene zu mildern oder zu vertreiben; denn sobald sie es wünschen, bieten sich ihnen Spaziergänge dar, Neuigkeiten, die sie hören oder besehen können, Vogelstellen, Jagd, Fischerei, Reiten, Spielen und Handelsgeschäfte. Ein jedes dieser Dinge vermag wenigstens für einige Zeit ganz oder zum Teil den Geist zu beschäftigen und von dem betrübenden Gedanken abzulenken, und inzwischen findet sich entweder auf die eine oder andere Weise ein Trostgrund, oder der Schmerz wird geringer.
Damit nun durch mich die Unbilligkeit des Glücks teilweise wiedergutgemacht werde, welches, wo die Kraft — wie bei den zarten Frauen — am geringsten ist, auch mit seinen Gaben am geizigsten zu sein pflegt, gedenke ich, zur Hilfe und Zuflucht der Liebenden — denn den übrigen genügen Nadel, Spindel und Haspel — hundert Geschichten, Fabeln, Parabeln oder wirkliche Begebenheiten, wie wir sie nennen wollen, mitzuteilen, die zur verderblichen Zeit der letzten Pest von sieben Damen und drei jungen Männern erzählt wurden. Auch will ich einige Liedlein hinzufügen, die eben jene Damen zu ihrer Lust gesungen haben.
In diesen Geschichten wird man lustige und traurige Liebesmärlein und andere abenteuerliche Begebenheiten kennenlernen, die sich in neuer und alter Zeit zugetragen haben. Aus ihnen werden die Damen, welche sie lesen, gleichermaßen Lust an den spaßhaften Dingen, die darin vorkommen, schöpfen können als auch guten Rat und Belehrung, was zu fliehen und was zu erstreben ist. Mich dünkt, dies alles könne nicht geschehen, ohne daß die üble Laune entschwände. Geschieht aber das, und Gott gebe, daß es geschehe, so mögen die Leser Amor ihren Dank sagen, der mich von seinen Fesseln befreit und mir erlaubt hat, auf ihr Vergnügen bedacht zu sein.
ES BEGINNT
DER ERSTE TAG DES DEKAMERON,
AN DEM NACH EINER DARLEGUNG
DES AUTORS, WARUM DIE
SPÄTER AUFTRETENDEN PERSONEN
ZUSAMMENKAMEN,
UM EINANDER GESCHICHTEN
ZU ERZÄHLEN, UNTER
PAMPINEAS HERRSCHAFT
VON DEM GESPROCHEN WIRD,
WAS EIN JEDER
AM LIEBSTEN HAT.
Sooft ich, holde Damen, in meinen Gedanken erwäge, wie mitleidig ihr alle von Natur aus seid, erkenne ich auch, daß eurer Meinung nach dies Werk einen betrübten und bitteren Anfang haben wird, da es an seiner Stirn die schmerzliche Erwähnung jener verderblichen Pestseuche trägt, die vor kurzem jeden, der sie sah oder sonst kennenlernte, in Trauer versetzte.
Doch wünsche ich, daß ihr euch nicht vom Weiterlesen in dem Glauben abschrecken lasset, ihr müßtet immer zwischen Seufzern und Tränen lesend weiterwandeln. Dieser schreckensreiche Anfang soll euch nicht anders sein wie den Wanderern ein steiler und rauher Berg, jenseits dessen eine schöne und anmutige Ebene liegt, die ihnen um so wohlgefälliger scheint, je größer die Anstrengung des Hinauf- und Hinabsteigens war. Und wie der Schmerz sich an das Übermaß der Lust anreiht, so wird auch das Elend von der hinzutretenden