Das Dekameron. Джованни Боккаччо

Das Dekameron - Джованни Боккаччо


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und Damen gewesen waren, standen jetzt bis auf den geringsten Stallknecht leer! Wieviel denkwürdige Geschlechter blieben ohne Stammhalter, wie viele umfassende Verlassenschaften und berühmte Reichtümer ohne Erben! Wieviel rüstige Männer, schöne Frauen und blühende Jünglinge, denen, von andern zu schweigen, selbst Galen, Hippokrates und Äskulap das Zeugnis blühender Gesundheit ausgestellt hätten, aßen noch am Morgen mit ihren Verwandten, Gespielen und Freunden, um am Abend des gleichen Tages in einer andern Welt mit ihren Vorfahren das Nachtmahl zu halten!

      Es schmerzt mich, so lange bei solch großem Elend zu verweilen. Deshalb will ich nun die Erzählung aller jener Ereignisse auslassen, die ich schicklich übergehen zu können glaube, und sage statt dessen, daß es sich, während unsere Stadt von Bewohnern fast verlassen stand, zutrug (wie ich später von jemand Glaubwürdigem gehört habe), daß sieben junge Damen, die einander sämtlich als Freundinnen, Verwandte oder Nachbarinnen nahestanden, sich an einem Dienstagmorgen in der ehrwürdigen Kirche Santa Maria Novella, die nahezu von niemand besucht war, trafen, nachdem sie in Trauerkleidern, wie sie für eine solche Zeit sich schickten, dem Gottesdienst beigewohnt hatten. Keine von ihnen hatte das achtundzwanzigste Jahr überschritten, keine zählte weniger als achtzehn Lenze. Jede war verständig, jede schön von Gestalt, von reinen Sitten und von anständiger Munterkeit. Ich würde ihre wahren Namen nennen, hielte nicht ein guter Grund mich davon ab. Ich wünsche nämlich nicht, daß eine von ihnen um der Geschichte willen, die sie damals erzählt und angehört und die ich in der Folge mitteilen werde, sich in Zukunft zu schämen habe, was doch geschehen könnte, da heute den Sitten viel engere Grenzen gesetzt sind als damals, wo sie aus den oben erwähnten Gründen nicht nur ihrem, sondern auch viel reiferem Alter zu Belustigungen die größte Freiheit ließen. Ebensowenig möchte ich den Neidischen, die immer bereit sind, löblichen Lebenswandel zu verleumden, Gelegenheit geben, durch üble Nachrede in irgendeiner Hinsicht den guten Ruf dieser ehrenwerten Damen zu schmälern. Um indes ohne Verwirrung unterscheiden zu können, was eine jede von ihnen sprach, gedenke ich ihnen fernerhin Namen beizulegen, die den Eigenschaften einer jeden vollständig oder teilweise entsprechen. Und so wollen wir denn die erste und im Alter am meisten vorgerückte Pampinea nennen, die zweite Fiammetta, Filomena die dritte, die vierte Emilia, Lauretta soll die fünfte heißen, die sechste Neifile, und die letzte mag, nicht ohne Grund, Elisa genannt werden.

      Diese sieben waren nun in einer Ecke der Kirche zusammengekommen, wo sie bald das Vaterunserbeten aufgaben, sich fast im Kreis niedersetzten und nach einigen Seufzern untereinander von den schlimmen Zeiten viel und mancherlei zu reden begannen. Nach einer Weile begann Pampinea, als die andern alle schwiegen, also zu reden:

      „Liebe Mädchen, ihr werdet so gut wie ich gehört haben, daß es niemand Schande bringt, sich in geziemender Weise seines Rechts zu bedienen. Das natürliche Recht eines jeden, der auf Erden geboren ward, ist es aber, sein Leben, soviel er vermag, zu pflegen, zu erhalten und zu verteidigen. Dies ist auch so anerkannt wahr, daß schon manch einer um des lieben Lebens willen einen anderen ungestraft getötet hat. Erlauben nun die Gesetze, denen es obliegt, darüber zu wachen, daß jeder recht und schlecht leben kann, solche Handlungen, wieviel mehr muß es uns und jedem andern freistehen, alle Mittel, die wir kennen, zur Erhaltung unseres Lebens anzuwenden, ohne daß wir dadurch irgend jemand zu nahe träten. Indem ich unser Betragen an diesem Morgen und an vielen andern vergangenen Tagen aufmerksam betrachte und bedenke, worüber und wie wir uns miteinander zu besprechen pflegen, so fühle ich, und bin gewiß, daß ihr es ebenso werdet fühlen können, daß eine jede unter uns für sich selbst bangt.

      Auch wundere ich mich darüber keineswegs, wohl aber erstaunt mich, daß wir, die wir alle weiblicher Ängstlichkeit teilhaftig sind, dennoch für unsere wohlbegründete gemeinsame Furcht den Schutz nicht suchen, der uns zu Gebote stände. Wir verweilen meiner Meinung nach hier nicht anders, als wollten oder müßten wir Zeugnis darüber ablegen, wie viele Leichen hier zu Grabe getragen werden, oder ob die, welche hier im Kloster wohnen und deren Zahl auf nichts zusammengeschmolzen ist, ihre Horen zur gehörigen Zeit singen, oder als dächten wir, durch unsere Trauerkleider jedem, der uns antrifft, anzuzeigen, wie groß und vielfach unser Elend sei.

      Verlassen wir aber diesen Ort, so sehen wir entweder Leichenund Krankenüberführungen, oder wir begegnen denen, die einst um ihrer Verbrechen willen von den Rechtsbehörden aus der Stadt verbannt wurden und nun, gleichsam zum Spott, weil sie die Vollstrecker der Gesetze tot oder krank wissen, mit lästigem Ungestüm durch die Straßen ziehen; oder wir sehen endlich den Abschaum unserer Stadt, von unserem Blute erhitzt, unter dem Namen Pestknechte zu unserm Unglück überall reiten und streifen, wobei sie uns unser Unglück mit schändlichen Liedern vorhalten. Auch hören wir nie etwas anderes als ,die und die sind tot und die und die liegen im Sterben‘, und außerdem würden wir, wenn es noch Leute gäbe, die es täten, nichts als schmerzliches Weinen vernehmen.

      Kehren wir endlich in unsere Wohnungen zurück — ich weiß nicht, ob es euch ebenso geht wie mir, aber ich fürchte mich, wenn ich von einer zahlreichen Familie niemand mehr als eine Magd antreffe. Alle Haare sträuben sich mir, und wo ich gehe und stehe, glaube ich die Schatten meiner Verstorbenen zu sehen, und nicht mit den gewohnten Gesichtern, sondern ich erschrecke vor ihrem fürchterlichen, ich weiß nicht wodurch, so sehr entstellten Aussehen. Aus allen diesen Gründen fühle ich mich hier und anderwärts und zu Hause unglücklich, und das um so mehr, da es mir unmöglich scheint, daß jemand, der noch Blut in seinen Adern hat und anderswohin zu gehen imstande ist, außer uns hiergeblieben sei. Und sind wirklich noch einige hier, so habe ich mehrmals vernommen, daß diese, allein und in Gesellschaft, ohne zwischen anständigen und unanständigen Frauen einigen Unterschied zu machen, sobald die Lust sie dazu antreibt, mit einer jeden bei Tage und bei Nacht vornehmen, was ihnen am meisten Vergnügen macht. Und nicht allein die freien Leute, sondern auch die in den Klöstern eingeschlossenen haben unter dem Vorwand, was den andern nicht verwehrt werden könne, müsse auch ihnen freistehen, die Gesetze des Gehorsams über den Haufen geworfen, sich der Fleischeslust ergeben und sind in der Hoffnung, so dem Tode zu entgehen, ausschweifend und schamlos geworden.

      Verhält es sich aber so, und daß es sich so verhält, ist offenbar, was tun wir dann hier? Worauf warten, wovon träumen wir? Warum sind wir saumseliger und träger, unsere Gesundheit zu schützen, als alle unsere übrigen Mitbürger? Halten wir uns für geringer als die anderen Frauen oder denken wir, unsere Seele sei mit stärkeren Banden an den Körper geknüpft, als die der übrigen ist, so daß wir uns um nichts zu kümmern brauchten, das unsere Gesundheit zu erschüttern vermöchte? Wir irren, wir betrügen uns; wie töricht sind wir, wenn wir solches wähnen! Sooft wir uns daran erinnern, wie viele und wie kräftige Jünglinge und Mädchen von dieser grausamen Seuche dahingerafft sind, sehen wir den offenbarsten Beweis dafür.

      Damit wir nun nicht aus Trägheit oder Sorglosigkeit einem Unglück erliegen, dem wir, wenn wir wollten, auf irgendeine Weise entgehen könnten, dächte ich, wiewohl ich nicht weiß, ob ihr die gleiche Meinung habt, es wäre am besten, wir verließen, so wie wir sind, diese Stadt, wie es viele vor uns getan haben und noch tun. Die bösen Beispiele anderer wie den Tod verabscheuend, könnten wir mit Anstand auf unseren ländlichen Besitzungen verweilen, deren jede von uns eine Menge hat, wo wir uns dann Freude, Lust und Vergnügen verschafften, soviel wir könnten, ohne die Grenzen des Erlaubten irgendwie zu überschreiten. Dort hört man die Vöglein singen, dort sieht man Hügel und Ebenen grünen, dort wogen die Kornfelder nicht anders als das Meer, dort erblickt man wohl tausenderlei Bäume und sieht den Himmel offener, der, wie erzürnt er auch gegen uns ist, seine ewige Schönheit nicht verleugnet, was alles zusammen viel erfreulicher ist als der Anblick der kahlen Mauern unserer Stadt.

      Außerdem ist die Luft dort frischer und der Vorrat von Dingen, die man zum Leben braucht, ist dort größer, und geringer die Zahl der Unannehmlichkeiten. Denn obgleich die Landleute dort sterben wie hier die Städter, so ist doch der üble Eindruck, der dadurch entsteht, um so geringer, als dort die Häuser und die Bewohner sparsamer verstreut sind wie hier in der Stadt. Hier verlassen wir auf der andern Seite, wie mich dünkt, niemand, vielmehr können wir umgekehrt uns verlassen nennen, da die Unsrigen, entweder sterbend oder dem Tode entfliehend, uns, als ob wir ihnen nicht zugehörten, in so großem Elend alleingelassen haben. Kein Tadel kann also auf uns fallen, wenn wir diesen Vorschlag annehmen, wohl aber können uns Schmerz, Leid und vielleicht der Tod treffen, wenn wir ihn verwerfen.

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