Rosenhain & Dschinnistan. Christoph Martin Wieland

Rosenhain & Dschinnistan - Christoph Martin Wieland


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gefahren wäre, ergriff sie, von neuen, ihr selbst fremden Gedanken und Vorsätzen getrieben, einen Leuchter mit brennender Kerze, öffnete ihre Tür und ging mit großen feierlichen Schritten gerade auf das Zimmer Don Alonsos zu.

      Indem sie hineintrat, fuhr der bereits eingeschlafne Alonso in seinem Bette auf und erschrak nicht wenig, da er zu einer so ungewöhnlichen Zeit die weiße weibliche Gestalt mit dem Wachslicht in der Hand auf sich zukommen sah. Sein Entsetzen vermehrte sich, als er, wie sie näher herankam, die Züge des Grafen in ihrem Gesicht zu sehen glaubte. »Fassen Sie sich, Don Alonso«, sagte sie; »Ihre Augen täuschen Sie nicht – ich bin Don Manuel – aber Don Manuel ist nicht, was er bisher geschienen: er ist – was ich wirklich bin – ein Weib!«

      »Ein Weib?« rief Alonso, außer sich vor Bestürzung.

      »Hören Sie mich ruhig an, Alonso«, sagte Galora, indem sie das Licht auf ein Tischchen setzte und sich selbst in einen Lehnstuhl, Alonso gegenüber, niederließ. »Ich habe Ihnen eine große Entdeckung zu tun und ein großes Unrecht gutzumachen. Ort und Zeit sind unschicklich; aber eine Gewalt, die mir selbst fremd ist, treibt mich unwiderstehlich; ich muß tun, was ich itzt tun will, und die Sache leidet keinen Aufschub, denn wir sehen uns zum letztenmal.«

      Alonso, dessen Erstaunen immer höher stieg, wollte sie hier unterbrechen; aber sie befahl ihm in ihrem gewohnten herrischen Ton, sie anzuhören und zu schweigen. Und nun fing sie an, ihm alles zu entdecken, was uns bereits bekannt ist, die Erbschaft, das Testament, den Tod ihres einzigen Bruders und wie die Verzweiflung über den Verlust eines so großen Vermögens ihre Eltern zu der unüberlegten Maßnehmung gezwungen, ihre einzige Tochter Galora dem sterbenden Bruder unterzuschieben, und wie es ihnen gelungen, den Betrug so glücklich vor aller Welt zu verbergen, daß der rechtmäßige Erbe bis auf diese Stunde keinen Argwohn schöpfe. »Es kommt mir nicht zu«, fuhr sie fort, »meine Eltern eines Verbrechens anzuklagen, das sie bloß aus Liebe zu mir begangen haben. Sie wollten mein Glück, als sie mich, aus einem fatalen Irrtum, zu einem unnatürlichen Wesen umschufen. Die Gerechtigkeit des Himmels hat es anders verfügt. Sie, Don Alonso, mußten zu Altariva erscheinen, und – die Natur rächte sich durch Sie auf eine grausame Art an dem törichten Geschöpf, das ihr Trotz geboten hatte. Eine unglückliche Leidenschaft überwältigte meine bisher behauptete Unempfindlichkeit. Ich habe lange mit ihr gerungen; aber sie ist ebenso unbezwingbar als hoffnungslos. Das Leben ist mir verhaßt und die unwürdige Rolle, die ich gespielt habe, unerträglich. Morgendes Tages verbirgt mich ein Kloster auf ewig vor den Augen der Welt. Ich überlasse dem rechtmäßigen Erben, was ihm gebührt, und Sie, Don Alonso«, sagte sie mit sinkender Stimme, indem sie einen Ring von hohem Wert vom Finger zog, »nehmen Sie dieses Andenken an eine Unglückliche an, die zu tief fühlt, daß sie Ihrer unwürdig ist, als daß sie den geringsten Anspruch an Gegenliebe zu machen fähig wäre.«

      Hier schwieg Galora, indes in Don Alonso plötzlich eine Verwandlung vorging, die ihm selbst noch vor wenig Minuten unmöglich geschienen hätte. Wir sind wunderliche Geschöpfe, wir Männer, und ich zweifle sehr, ob einer von uns dafür stehen könnte, daß ihm in einer ähnlichen Lage nicht dasselbe begegnen könnte. Wie viele zugleich auf sein Gemüt und seine Sinnen eindringende Vorstellungen und Gefühle vereinigten sich, ihn gerade auf der schwächsten Seite des Mannes anzufallen! – Die überraschende Umgestaltung des Grafen Don Manuel in eine junge Dame, welche zwar an Schönheit und Anmut mit Doña Rosa nicht zu vergleichen war, aber, was ihr von dieser Seite fehlte, durch eine seiner Eitelkeit unendlich schmeichelnde Leidenschaft ersetzte, eine Leidenschaft, an deren Wahrheit und Stärke die Größe des Opfers, so sie ihr zu bringen bereit war, keinen Augenblick zweifeln ließ – der wunderbare Zauber, womit ein Weib, das wir für uns leiden sehen, sich plötzlich in unsern Augen verschönert – der Umstand des Orts und der Zeit, der (ich gesteh es im Namen aller Männer) uns schon die bloße Nähe eines weiblichen Wesens gefährlich macht – zu allem diesem noch das ihm so neue Gefühl, daß es in seiner Macht stehe, die stolze Galora durch das Opfer, womit er das ihrige erwidern wollte, an Großherzigkeit noch zu übertreffen – alle diese Gedanken und Gefühle, die auf einmal mit Blitzes Geschwindigkeit in seiner Seele aufloderten, drangen ihm plötzlich eine rasche Entschließung ab, welche drei Minuten kühler Überlegung in der Geburt erstickt haben würden.

      »Hören Sie«, sprach er, als sie zu reden aufgehört hatte, »hören Sie nun auch mich, Doña Galora, und bewundern Sie mit mir, auf welchen sonderbaren Wegen das Schicksal unsre Vereinigung zu wirken gewußt hat. Auch ich bin nicht, was ich Ihnen scheine; der Name, unter welchem Sie mich kennen, ist ein angenommener; mein wahrer Name ist Antonio Moscoso – ich bin dieser im Testament Ihres Großoheims Ihrem Bruder substituierte Erbe...«

      »Was hör ich? Ist's möglich?« rief Galora, vor Bestürzung zusammenfahrend und aller ihrer Stärke benötigt, um sich in ihrem Lehnstuhl aufrecht und bei Besonnenheit zu erhalten.

      »Daß ich«, fuhr er fort, »Antonio Moscoso bin, soll Ihnen und allen, denen daran liegt, sehr leicht bis zur völligsten Überzeugung gewiß gemacht werden. Und daß ich es bin, ist mir in diesem Augenblick nur darum lieb, weil es mich in den Stand setzt, Sie durch einen rechtsgültigen Titel im Besitz der Güter Ihres Oheims zu bestätigen. Wie könnt ich unempfindlich gegen eine so großmütige Liebe sein? Nein, Doña Galora«, rief er, indem er ihre Hand ergriff und an seine Lippen drückte, »ich liebe Sie, ich widme Ihnen mein Leben, und es ist in Ihrer Gewalt, mich in diesem Augenblick zum glücklichsten aller...«

      »Halten Sie ein«, fiel ihm Doña Galora in die Rede. »Ich bin durch der Meinigen und meine eigne Schuld unglücklich; aber verächtlich – in meinen eignen Augen, und unfehlbar auch in den Ihrigen, sollen Sie mich nicht sehen! – Ich lasse mir selbst Gerechtigkeit widerfahren, Don Antonio. Sie können mich nicht lieben; ich weiß zu gut, daß ich nicht gemacht bin, mit Doña Rosa um Ihr Herz zu kämpfen; ich weiß, daß ich nicht liebenswürdig bin. Die Gewohnheit, von früher Jugend an mein Geschlecht zu verleugnen, hat mir jede seiner Reizungen geraubt. Die Gewalt, die meine Natur dadurch erlitten hat, ist nie wiedergutzumachen. Die unglückliche Fertigkeit, den Mann zu spielen, würde mich nie verlassen. Ich bin für alle zarten weiblichen Verhältnisse und Gefühle unwiederbringlich verloren. Ich würde Sie unglücklich machen, Don Antonio, und mich selbst dafür verabscheuen, daß es nicht in meinem Vermögen stände, anders zu werden. Überlassen Sie mich meinem Schicksal!«

      »Nein, edelmütige Galora«, erwiderte Don Antonio, der indessen wieder zur Besinnung gekommen war und, durch stille Vergleichung der unweiblichen Galora mit der zauberischen Rosa mächtig abgekühlt, es jener in seinem Herzen Dank wußte, daß sie ihn ausschlug. »Nein, Doña Galora, Sie sollen wenigstens eine Erbschaft mit mir teilen, woran die Natur und die Gesetze Ihnen ein näheres Recht gegeben haben als mir – Sie sollen –« meine Schwester sein, wollte er hinzusetzen, aber die ungestüme Galora ließ ihn nicht zum Worte kommen. »Nichts von Ihrer Großmut«, rief sie mit einer Heftigkeit, die zu allem Überfluß noch einen Strom kalten Wassers auf Antonios schon verloderte Flamme goß. »Da ich die Ihrige nicht sein kann, will ich auch von Ihrem Vermögen nichts. Die Summe, die das Testament mir versichert, ist für meine Bedürfnisse mehr als hinreichend. Leben Sie wohl, Don Alonso – oder Antonio! Wenn wir uns je wiedersehen, so wird es im Sprachzimmer der Karmeliterinnen zu San Jago de Compostela sein.«

      Hiemit stand sie auf, kehrte, ohne noch einen Blick auf Don Antonio zu werfen, in ihr Zimmer zurück, rief der erstaunten Dueña, sagte ihr, was sie getan hatte, befahl ihr, mit dem frühesten Morgen einen Reisewagen bereitzuhalten, und fuhr mit ihr und ihrer Tochter nach dem selbsterwählten Ort ihrer künftigen Bestimmung ab – mit Hinterlassung eines Blatts für Doña Rosa, worin sie ihr und den sämtlichen Bewohnern von Altariva in wenig Worten soviel Licht über diese seltsame Katastrophe gab, als für den ersten Augenblick nötig war.

      Nachdem in der Folge alles seine rechtsbeständige Aufklärung erhalten hatte, nahm Don Antonio Besitz von der Erbschaft; und da weder die Augen noch das Herz, noch die Eitelkeit der schönen Rosa die geringste Einwendung gegen seine Liebe zu machen hatten, so endigte sich diese Novelle ohne Zweifel, wie sich alle Komödien und beinahe alle Novellen endigen; die wenigen abgerechnet, die ein tragisches Ende nehmen – was, wie Sie sehen, auch hier gar leicht der Fall hätte sein können, wenn ich hartherzig genug gewesen wäre, Sie insgesamt, zur Belohnung Ihrer Geduld, mit der Anwartschaft auf gräßliche


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