Rosenhain & Dschinnistan. Christoph Martin Wieland

Rosenhain & Dschinnistan - Christoph Martin Wieland


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»er empfahl uns, als er fortritt, sehr nachdrücklich, uns unsrer Gebieterinnen anzunehmen.«

      »Und wem bin ich denn meine Rettung schuldig?«

      »Hulderich«, sagte Rosalie errötend und mit Tränen im Auge, »Hulderich wagte sein Leben für Sie.«

      Die alte Dame schlug die Augen starr zum Himmel auf und schien auf einige Augenblicke Bewegung und Sprache verloren zu haben; sie faßte sich aber bald wieder, um sich mit sichtbarer Rührung nach ihrem Retter umzusehen, der sich in einer Ecke des Zimmers hinter andere verborgen hielt und von den Lobsprüchen und Danksagungen, die ihm seine Tat von allen Seiten zuzog, eher beschämt und gekränkt als geschmeichelt schien.

      Hulderichs Vater entfernte itzt, außer Rosalien und seinem Sohn, alle übrigen aus dem Gemach, warf sich dann der Frau von Eschenbach zu Füßen und bat sie, mit einer Herzlichkeit, welche Rosalien bis zu Tränen rührte, von diesem Augenblick an alles, was er besitze, als ihr Eigentum anzusehen. »Meine Voreltern und ich selbst«, sagte er, »haben das meiste im Dienst Ihrer guten Vorfahren erworben; Ihnen sind wir alles schuldig, und ich fühle mich glücklich, daß ich itzt imstande bin, einen Teil unsrer alten Schuld abzutragen.«

      Innig gerührt von der Biederherzigkeit des wackern Alten und von so mancherlei unerwarteten Ereignissen gepreßt, beantworteten Frau von Eschenbach und ihre Nichte dieses Anerbieten, wie man von edeln Seelen erwarten kann, die von keiner falschen, zur Unzeit stolzen Scham verhindert werden, die natürliche Gleichheit zu erkennen, die zwischen edelgesinnten Menschen alle Ungleichheit der Geburt und des Standes verschwinden macht, aber unfähig sind, von einem allzu großmütigen Anerbieten Gebrauch zu machen, und ihre Bedürfnisse nach ihren Umständen zu regeln wissen.

      Inzwischen fühlten sich beide Damen von dem, was sie Hulderichen schuldig waren, noch unendlichmal mehr gerührt und beklemmt als von dem edeln Benehmen seines Vaters. Seiner Entschlossenheit, seiner Selbstaufopferung hatte die Tante ihr Leben, Rosalie die Erhaltung ihrer zweiten Mutter zu danken. Womit konnten sie ihm eine solche Wohltat vergelten? Es war unmöglich; aber gleich unmöglich, unter der Bürde einer solchen Verbindlichkeit zu leben. Beide sprachen öfters hierüber miteinander, ohne zu einem Ausweg gelangen zu können.

      »Hulderich«, sagte die Base einst zur Nichte, »scheint etwas für dich zu empfinden, das er in seinem innersten Herzen verschlossen trägt.«

      »Fast glaube ich es selbst, liebe Mutter«, erwiderte Rosalie. »Wenn er von Geburt wäre...«, murmelte die Alte in sich hinein, als ob sie sich nicht getraute, ihren Gedanken ganz auszusprechen.

      »Er ist zu einem Menschen geboren, wie es nicht viele geben mag«, sagte Rosalie. »Aber – auch ohne den Umstand, worauf Sie zielen, wie könnt ich ihn belohnen, ich, die alles verloren hat? – Wenn ich noch wäre, was ich war – vielleicht – doch wozu diese Reden? Es ist nicht daran zu denken.«

      Und dennoch dachte sie oft genug daran und konnte sich selbst nicht verbergen, daß Hulderich ihr alle Tage liebenswürdiger vorkam. "Was ich nicht begreife" sagte sie zu sich selbst, "ist, wie ein so verächtlicher Mensch als Alberich mir jemals die Augen verblenden konnte."

      Der arme Hulderich dachte noch öfter an das, woran Rosalie nicht denken wollte, wiewohl er sein möglichstes tat, um sich solche Gedanken aus dem Sinn zu schlagen. Denn seitdem er Tag und Nacht von ihnen angefochten wurde, wagte er es immer weniger, die Augen zu Rosalien aufzuschlagen. Sie kam ihm alle Tage liebreizender vor, und er hätte nicht viel Geld dafür genommen, daß sie eine einzige Pockennarbe weniger gehabt hätte. Sie, so wie sie war, sein nennen zu können war das höchste Glück, so er sich denken konnte. Aber sich einzubilden, daß es ihm jemals erreichbar sein könne, würde ihn nur unglücklicher gemacht haben, und er war es schon so sehr, daß, wieviel Müh er sich auch gab, heiter und ruhig auszusehen, ihm doch jedermann ansah, daß ein geheimer Wurm an seinem Herzen nagte.

      Es war Zeit, daß die Dame mit dem goldnen Krönchen auf dem Kopfe sich entschloß, einen Knoten, den sie selbst hatte verwickeln helfen, wieder aufzulösen oder – zu zerhauen.

      Eines Abends, da Rosalie, die alte Tante, Hulderich und sein Vater, in stummer Teilnehmung aneinander, nachsinnend und traurig beisammensaßen, trat sie plötzlich, ihr schwarzes Stäbchen in der Hand, mitten unter sie und sprach: »Wenn ich jedes unter euch mit diesem Stäbchen berühren und dadurch nötigen wollte, eures Herzens Gedanken laut zu denken, so würde die Last, die euch drückt, flugs zu Boden sinken. Aber um euch eine kleine Schamröte zu ersparen, nehme ich die Sache auf mich selbst. Hulderich liebt Rosalien, wie nur wenige lieben können, und hat sie um ihre Pflegemutter wohl verdient. Er liebt sie selbst, nicht ihr Vermögen, das sie verloren hat, nicht die Lilien und Rosen ihres Gesichts, welche verschwunden sind. Ich habe ihr beides geraubt; es ist billig, indem ich sie, nach dem verschwiegenen Wunsch ihres Herzens, Hulderichen zur Belohnung gebe, daß ich ihr zugleich wiedergebe, was sie durch mich verlor. Das Handelshaus, dem ihr Vermögen anvertraut war, ist nicht gefallen; das alte Schloß, das ich selbst in den Brand steckte, ist neu und schöner, als es war, wieder aufgebaut; und es soll bloß auf Hulderichen ankommen, wieviel Pockengruben seine Braut zum Andenken ihres Abenteuers behalten soll.«

      Das Fräulein warf einen bittenden Blick auf Hulderich, und die Fee las in seinen Augen, daß er, Rosalien zulieb, sich an einer einzigen genügen lassen wollte.

      »Wir Feen«, fuhr die Feenkönigin fort, »sind, wie bekannt, sonst keine Freundinnen von Mißheuraten und sorgen immer dafür, daß die Königstöchter, die sich in Hirtenknaben, oder die Prinzen, die sich in Gänsemädchen und Aschebrödeln verlieben, am Ende ihresgleichen in ihnen finden. Aber keine Regel ohne Ausnahme. Indessen urkunde ich hiemit zum Trost der guten Tante, daß Hulderich in gerader Linie von Vercingetorix, einem uralten Fürsten der Gallier, abstammt, dessen Abkömmlinge, was bei so vielen hochstämmigen Geschlechtern schon der Fall war, mit der Länge der Zeit in Dunkelheit herabgesunken sind. Die Sorge, einander glücklich zu machen und es selbst dadurch zu sein, wird nun künftig euer eigen Werk bleiben. Ich habe getan, was einer guten Fee zukommt, tut nun das Eurige! – Und das tun auch Sie, meine gnädigen Damen und Herren, und – zischen mein Märchen ohne Schonung aus, wenn es Ihnen Langeweile gemacht haben sollte.

      Die Gesellschaft war zu höflich, die liebenswürdige Erzählerin beim Worte zu nehmen. Im Gegenteil, es wurde ihr viel Schönes sowohl über ihre Art zu erzählen als über das Märchen selbst gesagt.

      »Was das letztere betrifft«, sagte Amanda, »so muß ich gestehen, daß mein Verdienst dabei sehr gering ist, weil nur das wenigste, und gerade das Alltäglichste darin, mir selbst angehört. «

      »Soviel mich meine ziemlich starke Belesenheit in diesem Fache belehrt hat«, sagte der junge Herr von P., »dürfte dies wohl von den meisten Erzählungen und Märchen behauptet und im Notfall leicht nachgewiesen werden können. Aber diesmal läßt mich mein Gedächtnis im Stich. Darf man fragen, wie die Quelle heißt, aus welcher Sie geschöpft haben?«

      »Ein Traum.«

      »Ein Traum! – der Ihnen selbst geträumt hat?« rief Rosalinde.

      »Der mir selbst, an einem schönen Morgen, vor nicht langer Zeit geträumt hat. Anfang und Ende hing wohl nicht ganz so alltäglich darin zusammen wie in meiner Erzählung; aber alles, was in dieser Feerei ist, schöpfte ich aus meinem Traume und setzte das übrige bloß hinzu, um ihm die Gestalt einer Sache zu geben, die sich auch außerhalb der Feenwelt hätte zutragen können, insofern als etwas Ausgemachtes angenommen wird, daß höhere Mächte sich in die Leitung der menschlichen Angelegenheiten mischen.«

      »Die Feen haben Sie mit einer beneidenswürdigen Gabe beschenkt, liebe Amanda«, sagte Rosalinde, »wenn solche Träume etwas Gewöhnliches bei Ihnen sind.«

      »Gewöhnlich nun eben nicht«, erwiderte jene, »aber doch auch nicht so selten, daß nicht eine ganz artige Sammlung herauskäme, wenn ich aus jedem, der sich dazu schickte, ein eigenes Märchen machen wollte.«

      »Eben dies«, sagte Herr M., der Philosoph, »beweiset den natürlichen Beruf, den Fräulein Amanda zum Märchendichten hat. Das Märchen ist eine Begebenheit aus dem Reich der Phantasie, der Traumwelt, dem Feenland, mit Menschen und Ereignissen aus der wirklichen verwebt und mitten


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