Rosenhain & Dschinnistan. Christoph Martin Wieland
geschmückt und seine Rolle, wie er sich schmeichelte, so gut spielend, daß alle Anwesenden, Tänzerinnen und Zuschauende, dadurch getäuscht werden müßten. In der Tat war auch niemand, der den mindesten Zweifel hegte, daß er nicht Timandra, Menalippens Tochter, sei, welche den meisten Anwesenden nicht unbekannt war, da man sie vor kurzem an einem großen Feste zu Delphi im Chor der Jungfrauen, die den Päan sangen, glänzen gesehen hatte. Nur Dämonassa entdeckte den Betrug beim ersten Blick in die leichtfertigen Augen des vorgeblichen Mädchens und wurde, je länger sie dieselbe beobachtete, durch tausend kaum merkliche Kleinigkeiten, die den verkappten Zentaur verrieten, in ihrer Vermutung bestärkt.
Phöbidas, ob er sich schon gegen die vermeinte Daphnidion sehr ehrerbietig und anständig zu betragen glaubte, konnte sich doch nicht so gut zurückhalten, daß eine andere als Mykale nicht ein wenig Argwohn hätte schöpfen mögen; aber die gute Dirne tat sich so viel auf die Person, die sie vorstellte, zugut und fühlte sich durch die ungewohnten Schmeicheleien und Liebkosungen, die ihr von der unechten Timandra gesagt und gemacht wurden, so glücklich, daß sie den von Dämonassa empfangenen Unterricht, wie sie sich zu verhalten habe, unvermerkt vergaß und in Daphnidions Gestalt so ziemlich ihre eigene Person zu spielen anfing.
Der verkappte Phöbidas, anstatt etwas Auffallendes in ihrem Betragen zu finden, war eitel genug, alles, was einen wahren und zartfühlenden Liebhaber befremdet hätte, zu seinem Vorteil zu deuten. Die Natur, meinte er, spreche hier, und die Sympathie entwickle, durch eine geheime Ahnung der Gegenwart eines Liebhabers, Gefühle in ihr, die ihr vermutlich zu neu seien, als daß sie sich ihnen nicht ohne alles Mißtrauen überlassen sollte. Diese Gedanken und die durch den Tanz sich immer mehr belebenden und erhöhenden Reize der schönen Nymphe wirkten endlich so stark auf ihn, daß er den ersten Augenblick, wo es mit einiger Schicklichkeit geschehen konnte, ergriff und, indem er die vermeinte Daphnidion liebkosend umarmte, ihr zugleich, wiewohl mit zitternder Hand, den gefährlichen Ring vom Finger zu ziehen suchte.
Ob die ehrliche Mykale wirklich, ohne es zu wollen und zu wissen, etwas Sympathetisches in diesem Augenblick fühlte oder ob sie nur Höflichkeit mit Höflichkeit erwidern wollte, genug, sie gab der verkappten Timandra ihre Liebkosung mit der treuherzigsten Wärme zurück; aber sobald sie merkte, daß es bloß auf den Ring, dessen Bewahrung ihr sehr ernstlich eingeschärft worden war, abgesehen sei und daß Timandra sich dessen mit Gewalt bemächtigen wolle, verwandelte sich ihre getäuschte Zärtlichkeit plötzlich in Ingrimm, und sie setzte sich so tapfer zur Wehr, daß der talismanische Stein seine Wirkung zugleich an beiden tat und, bevor Phöbidas sein Axia tuxil naxum anbringen konnte, zu größtem Erstaunen der ganzen zahlreichen Versammlung, in der schönen Timandra einen kräftigen Jüngling und in der vermeinten Daphnidion die hochgebrüstete Mykale darstellte, in einem unbegreiflichen Zweikampf begriffen, der beinahe in ebendemselben Augenblick anfing und aufhörte und den ebenso bestürzt als beschämt zurückprallenden Thessalier einem allgemeinen Gelächter preisgab.
Aber dieses verwandelte sich, nur zu bald für ihn, in laute Ausbrüche des stärksten Unwillens; und während tausend zugleich erschallende Stimmen die Bestrafung eines so unerhörten Frevels foderten, fielen mehr als zwanzig derbe Bauermädchen über den unglücklichen, bald um Gnade bittenden, bald mit Faust und Ferse sich wehrenden Sünder her und würden ihn wahrscheinlich das klägliche Schicksal des Orpheus und Pentheus haben erfahren lassen, wenn Hippalektor (den alle seine Zauberkünste in diesem furchtbaren Augenblick im Stiche ließen) sich der Priesterin nicht zu Füßen geworfen und um Gnade für seinen Schützling und sich selbst gebeten hätte. Dämonassa war zu menschlich, um dem Gedemütigten nicht zu verzeihen. Sie gebot, von dem Jüngling abzulassen, glücklicherweise für ihn noch früh genug, daß er, einige Schrammen, Beulen und blaue Mäler und ein paar Hände voll ausgerißner Haare abgerechnet, mit allen seinen Gliedmaßen davonkam, von welchen einige der edelsten in großer Gefahr gewesen waren.
Dämonassa ließ den jungen Thessalier und seinen Ratgeber die in dieser Geschichte offen genug zutage liegende Moral selbst daraus ziehen und begnügte sich, beiden die Betretung ihres Dianen geheiligten Bodens und jeden fernern Versuch auf ihre kleine Daphne scharf genug zu untersagen, um ihnen die Lust dazu auf immer vergehen zu machen.
Aber wiewohl Phöbidas durch die schmachvolle Vereitlung seines Anschlags und die Todesangst, die er unter den Nägeln von zwanzig grimmigen Dorfnymphen ausgestanden, für seine Leichtfertigkeit hart genug gezüchtiget schien, so konnte oder wollte die Priesterin doch der öffentlichen Stimme nicht entgegen sein, welche verlangte, daß das Andenken dieser Begebenheit erhalten und zu einem warnenden Beispiel für die künftigen Zeiten aufgestellt werden sollte. Sie verordnete also oder ließ es (was mir wahrscheinlicher ist) bloß geschehen, daß, sooft der Jahrstag derselben wiederkehrte, alle Mädchen der Gegend auf einem großen Rasenplatz am Eingang des Hains, den sie Dianen geheiligt hatte, sich unter den Augen ihrer Mütter zu fröhlichen Spielen und Tänzen versammelten und, wenn der letzte große Rundtanz geendigt war, einen aus Lumpen zusammengeflickten und mit gehacktem Stroh ausgestopften Popanz, der Pböbidas genannt, unter großem Jubel so lange mit Hasenpappeln peitschten, bis er ihnen in lauter einzelnen Fasern um die Köpfe flog. Diese Gewohnheit soll mehrere Jahrhunderte durch in Übung geblieben sein; und wenn einer von den vielen gelehrten und forschlustigen Wandersmännern, welche seit einiger Zeit Griechenland nach allen möglichen Richtungen bereisen und durchforschen, falls er in diese Gegend kommt, Nachfrage tun will, so wird sich vielleicht finden, daß sie sich bis auf diesen Tag erhalten hat.
Ob übrigens der wirkliche Phöbidas sich die auf eigene Kosten erworbene Erfahrung und die jährliche Züchtigung seines leblosen Stellvertreters zur Besserung habe dienen lassen, ist nicht bekannt, dürfte aber aus mehrern Ursachen, deren Anführung den Scharfsinn meiner Zuhörer beleidigen würde, mit gutem Fug bezweifelt werden.
Die Erzählung, womit die Gesellschaft zu Rosenhain am dritten Abend unterhalten werden sollte, war durchs Los dem Fräulein Amanda von B., einer entfernten Verwandtin des Hauses, zugeteilt worden.
Alle Glieder des freundschaftlichen Kreises zeigten ihr so unverhohlen, wieviel Vergnügen man sich von diesem Abend verspreche, daß auch eine viel weniger bescheidene junge Person als Amanda ein wenig verschüchtert hätte werden mögen. »Ich bedarf Aufmunterung«, sagte sie, »und Sie machen mich durch Erwartungen zittern, die ich zu erfüllen nicht hoffen kann. Bedenken Sie, wie sehr ich schon dadurch im Nachteil bin, daß ich auf Herrn von P. folge.« – »Der Abstich wird schwerlich zu meinem Vorteil sein«, fiel ihr dieser ins Wort, »aber auf jeden Fall ist es um keinen Wettstreit, sondern um eine bloße Unterhaltung zu tun, die auf beiden Seiten gleich anspruchlos ist. Wir geben, was wir haben, und unsre Zuhörer, in billiger Erwartung, daß wir unser Bestes tun, sind bereit, mit dem, was wir geben, vorliebzunehmen.«
»Auf diese Bedingung«, sagte Fräulein Amanda lächelnd, »kann ich es um so getroster wagen, Ihnen sogar ein Feenmärchen zum besten zu geben.«
Die Entzauberung
Rosalie von Eschenbach, ein liebenswürdiges junges Mädchen, welches seine Eltern schon in der Kindheit verloren hatte, war unter den Augen einer bejahrten und begüterten Vatersschwester, zu deren Erbin sie bestimmt war, mit allen Vorteilen und Nachteilen einer ländlichen Erziehung, fern von der Hauptstadt auf einer alten Ritterburg in einer wildanmutigen romantischen Gegend erzogen worden. Von ihren frühesten Jahren an war Lesen ihr angenehmster Zeitvertreib; das gute Kind hatte aber nichts zu lesen als Ritterbücher und Feenmärchen, wovon die alte Tante selbst eine große Liebhaberin war und deren sie eine ziemliche Menge besaß, welche, nebst einigen Andachtsbüchern und einer mit silbernen Buckeln beschlagenen großen Kupferbibel, die ganze Bibliothek des Schlosses ausmachte. Im Lesen und Schreiben hatte das Fräulein von dem Pfarrer des Orts, in der Musik von dem Kantor eines benachbarten Städtchens, in weiblichen Arbeiten von einer ziemlich geschickten Hausjungfer und im Tanzen von einem gewesenen Kammerdiener ihres Vaters, einem alten Hausratsstück des Schlosses, Unterricht bekommen. Von der Ausbildung, so sie auf diese Weise erhielt, war eben kein hoher Grad von Vollkommenheit zu erwarten; aber die Natur hatte das Beste bei ihr getan, und da Fähigkeit und innerer Trieb sie in allen weit über ihre