Rosenhain & Dschinnistan. Christoph Martin Wieland
mir vorgegangen, das ich nicht begreife. Aber Sie, Herr Alberich, Sie, der mir vor wenig Augenblicken noch die feurigste Liebe zuschwor, der mich mit den Augen der Liebe sehen sollte, Sie hätten diese Veränderung gar nicht gewahr werden sollen.«
»Ich verstehe Sie nicht, gnädiges Fräulein«, erwiderte Alberich, der sie mit immer größerer Bestürzung anglotzte, weil er sich in dem Gedanken bestätigt sah, daß ihr Kopf bei dieser unerklärbaren Verwandlung gelitten haben müsse; »erlauben Sie, daß ich zu einem Arzt eile, der hier, wie es scheint, ganz allein Rat schafften kann.« – Mit diesen Worten entfernte sich der getreue Schäfer, so schnell er konnte, nicht um einen Arzt aufzusuchen, sondern sich in der Stille mit sich selbst zu beraten, was für einen Entschluß er bei diesem seltsamen Unfall zu nehmen habe.
Das Fräulein hatte ihn kaum aus den Augen verloren, so kam Hulderich (den die alte Dame seit kurzem zum Aufseher über ihre Gärten bestellt hatte), mit einem prächtigen Blumenstrauß in der Hand, von einer andern Seite heran und schien einen Augenblick zweifelhaft, ob er sich nähern und Rosalien die Blumen, die er alle Morgen für sie zu pflücken pflegte, selbst überreichen oder (nach bisheriger Gewohnheit) durch ihr Mädchen auf ihren Putztisch legen lassen sollte.
Sobald ihn Rosalie erblickte, erinnerte sie sich der Stellung, worin sie ihn im Palast der Feenkönigin gesehen, und befahl ihm in einem freundlichen Tone, näher herbeizukommen. Ein milder, gütiger Blick schien ihm die Erlaubnis zu geben, ihr seine Blumen selbst zu überreichen, und er tat es mit einer so ehrerbietigen und bescheidenen Art, daß sie ihm, in der Stimmung, worin sie war, beinahe Dank dafür wußte. Der Schleier, den sie über ihren Kopf gezogen hatte, ließ von ihrem Gesichte wenig mehr als die Augen sehen, und der einzige Blick, den der bescheidene Jüngling zu ihr zu erheben gewagt hatte, entdeckte ihm nichts an ihr, was ihn hätte befremden können. Aber itzt schlug das Fräulein den Schleier zurück, sah ihm scharf ins Gesicht und sagte: »Wir sind alte Bekannte, guter Hulderich; betrachte mich wohl und sage mir, wie ich dir vorkomme.« – »Sie haben, wie ich sehe, während ich von Eschenbach abwesend war, die Blattern gehabt, gnädiges Fräulein; gottlob! daß es so glücklich abgegangen und daß Ihre schönen Augen nichts dabei gelitten haben!«
»Rede, wie dir's ums Herz ist; du findest mich also nicht so gar häßlich?«
»Häßlich?« rief Hulderich. »Das verhüte der Himmel, gnädiges Fräulein! In meinen Augen können Sie nie häßlich werden, das ist unmöglich.« – Er wurde feuerrot, wie dies Wort über seine Lippen gekommen war, weil er fürchtete, etwas gesagt zu haben, das ihm nicht gezieme.
Rosalie dankte ihm für seine Blumen und seinen guten Willen gegen sie und entließ ihn mit einem Lächeln, wobei ihm war, als ob sich der Himmel auftue und aus jeder Grube ihres Gesichts ein Engelsköpfchen hervorlächle.
Das Fräulein kehrte ins Schloß zurück, und da es unmöglich war, ihrer Base die leidige Veränderung, die ihr Gesicht erlitten hatte, zu verhehlen, so hüllte sie sich, um ihr das Unangenehme der Überraschung zu ersparen, in ihren Schleier ein und berichtete ihr umständlich, was ihr diesen Morgen mit den beiden wunderbaren Damen begegnet war. Die Alte glaubte zu stark an das Feenwesen, um in der Überzeugung, daß es Feen gewesen, nicht hinlänglichen Grund zur Beruhigung zu finden. »Sie haben ganz gewiß, trotz dem widrigen Anschein, etwas Gutes mit dir vor«, sagte sie; »befahl dir die Feenkönigin nicht ausdrücklich, dich vor nichts zu entsetzen und auf ihren Beistand zu vertrauen?« Aber da die gute Rosalie sich nicht enthalten konnte, von Zeit zu Zeit einen verstohlnen Blick in einen großen venezianischen Spiegel zu werfen, der ihr gegenüber hing, so war es ihr nicht wohl möglich, sich, mit allem ihrem Respekt vor den Feen, eines kleinen Grolls gegen die Launen dieser Halbgöttinnen zu erwehren, und sie konnte sich selbst nicht überreden, die Pockengruben und Leberflecken, die sie ihr angezaubert hatten, für ein Unterpfand zu nehmen, daß sie viel Gutes mit ihr im Sinne hätten.
Tante und Nichte besprachen sich noch über diese seltsamen Ereignisse, als der ersten ein Brief gebracht wurde, der ihr ankündigte, daß sie durch den plötzlichen Fall eines der ersten Handelshäuser in der Hauptstadt um den größten Teil ihres Vermögens gekommen sei. Die gute Dame klebte noch zu stark am Irdischen, als daß ihr eine solche Nachricht hätte gleichgültig sein können, und die Reihe war nun an der Nichte, die jammernde Tante zum Vertrauen auf den guten Willen der Feen aufzufodern. »Wem geht es schlimmer dabei als dir?« sagte die Alte; »ich habe wenig Ansprüche mehr an die Welt; du allein dauerst mich. Aber ich glaube wirklich, du wärest leichtsinnig genug, wenn die Feen es auf deine Wahl ankommen ließen, deine Pockennarben und Leberflecken mit meinem ganzen Vermögen abzukaufen.«
Man mußte nun auf große Einschränkungen denken; denn außer dem Gute Eschenbach, dessen Ertrag nicht sehr beträchtlich war, blieb unsern beiden Damen nichts als die alte Burg und was etwa an Silbergeräte, Kleinodien, vergoldeten Pokalen, alten Schaupfennigen und dergleichen von Großmüttern und Ältermüttern auf sie vererbt worden war. Mit allem diesem war Rosalie freilich keine reiche Erbin mehr, und der edle Ritter Alberich, der sehr lebhaften Anteil an diesem neuen Unfall nahm, mußte gestehen, daß es ein hartes Schicksal für die liebenswürdige Rosalie sei, an einem und demselben Tage Schönheit und Vermögen zu verlieren. Er ließ es indessen vorderhand nicht an schönen Trostgründen fehlen, womit er sich aus einer alten Übersetzung des Seneca bewaffnet hatte; und wiewohl er sehr ernstlich auf seinen baldigen Abzug bedacht war, so hatte er doch zuviel Artigkeit und Gefühl des Schicklichen, um das Schloß, wo ihm seit einigen Tagen ein Zimmer eingeräumt worden war, auf der Stelle zu verlassen. Dieser Umstand gab ihm Gelegenheit, seinen Charakter in einem noch blendendern Lichte zu zeigen.
Der Unstern der Damen von Eschenbach hatte seinen höchsten Punkt noch nicht erreicht. In der Nacht, die auf diesen Unglückstag folgte, kam, um die Zeit, da alles im ersten Schlafe lag, Feuer im Schloß aus. Die Flamme griff schnell um sich, und die winklichte altfränkische Bauart dieser Ritterburg machte die Gefahr der Bewohner um soviel größer. Der edle Alberich, des klugen Spruchs eingedenk: »Jeder ist sich selbst der Nächste«, war der erste, der – seine eigene Person in Sicherheit brachte; doch vergaß er nicht, beim Abschied den kopflos durcheinanderrennenden Bedienten die Rettung ihrer Gebieterinnen bestens zu empfehlen. Für das Fräulein hatte bereits eine große, majestätische Frau gesorgt, die gleich anfangs, als das Feuer ausbrach, von mehrern gesehen worden war, wie sie die widerstrebende Rosalie auf ihren Armen davontrug und sie durch die Versicherung zu beruhigen suchte, daß für die Tante bereits gesorgt sei. Dies schien indessen keineswegs der Fall zu sein. Denn während die Hausbedienten (wie in solchen Fällen gewöhnlich ist) beschäftigt waren, die geringfügigsten Sachen zu retten, hatte das Feuer das Schlafzimmer der alten Dame ergriffen, die, vom Rauch halb erstickt, um Hülfe schrie, ohne daß jemand den gefährlichen Versuch wagen wollte, sie den immer näher zuckenden Flammen zu entreißen.
In dieser äußersten Not kam plötzlich ein keuchender Jüngling herbeigerannt, der sich mit Armen und Beinen durch das Gedräng Platz machte und, in ein um sich her geschlagenes nasses Tuch gehüllt, sich in den brennenden Flügel des Schlosses stürzte. Es war kein andrer als der bescheidene, schüchterne Hulderich, der aber bei Gelegenheiten, wo die meisten Herz und Kopf verlieren, die Besonnenheit und den Mut eines Helden zeigte. Jedermann schrie ihm zu, daß er verloren sei, und sein alter Vater, der mit Gewalt zurückgehalten werden mußte, ihm nicht zu folgen, rang die Hände in trostlosem Jammer – als Hulderich, mit der alten ohnmächtigen Dame im Arm, so unbeschädigt aus dem Feuer zurückkam, daß auch nicht ein Haar an seinem lockichten Haupte versengt war. Im nämlichen Augenblick erlosch das Feuer auf einmal von sich selber, wiewohl zu spät, als daß, außer den Schloßbewohnern, etwas anders als die dicken steinernen Mauern und einige angebrannte Balken von der ganzen Burg übriggeblieben wäre.
Die gerettete und gleichfalls völlig unversehrte Dame wurde sogleich in die benachbarte Pachterswohnung getragen, wo Rosalie mit ihren Kammerleuten und Hulderich mit seinem Vater geschäftig waren, sie zu sich selbst zu bringen, zu pflegen und zu trösten, soviel in ihrem Vermögen war. Das letztere gelang ihnen um so leichter, da die alte Dame, gegen alles Erwarten, eine Standhaftigkeit und Ergebung zeigte, die den Anwesenden ebensoviel Ehrfurcht als Mitleid einflößte. Sobald sie wieder zu sich selbst kam, war ihre erste Frage: »Wo ist Alberich?« – »Vermutlich bei gutem Wohlsein«, sagte einer der Hausbedienten; »sobald er ›Feuer‹ rufen