Es wird wieder Tag. Minka Pradelski
belustigt, lächelt vergnügt, hält mich noch fester im Arm.
»Na, komm schon. Sieh ihn dir an«, lockt er und legt mich sanft in ihre Arme. Als habe sie auf eine Ermunterung gewartet, blickt die entkräftete Frau mich unsicher an.
Mein Gott, was hatte sie sich bei dem einzigartigen Vorgang meiner Geburt dämlich angestellt. Von den Schmerzen einer Wehe überflutet, rief sie verängstigt nach ihrer eigenen Mutter. Es fehlte nur noch, dass sie all ihre weiblichen Verwandten um sich versammelt, ganze Generationen schlichter Frauen, die alle schon mal geboren haben und sie nun mit ihren als Weisheiten getarnten, törichten Ratschlägen überhäufen, so dass die verstörte Frau nicht mehr wissen kann, welchen sie zuerst befolgen sollte.
»Tja«, meinte die knochige Hebamme, während sie das Hörrohr barsch auf den arg gewölbten Bauch presste, »Wehen kommen nun mal von wehtun.«
»Wehen kommen von wehtun«, wiederholte die einsame Frau beschwörend, als sei dies eine unfehlbare Anleitung zum Gebären, bis ein unbekannter Schmerz in ihrem Unterleib sie plötzlich überrannte und ihre Kehle Urlaute hervorstieß, die sie noch nie gehört hatte. Erschrocken bäumte sie sich auf.
»Ich will nicht wissen, woher sie kommen!«, schrie sie in einem so schrillen Ton, dass ich in ihrem Bauch aufmerksam wurde und das hübsche Spiel mit der Nabelschnur für einen Augenblick unterbrach.
»Ich will diese Wehen loswerden«, flüsterte sie schwer atmend und schlug das Hörrohr fort.
»Sie müssen pressen!«, rief die Hebamme. »Die Herztöne werden schwächer!«
»Die Frau will nicht pressen«, petzte die Hebamme dem Arzt, der leise das Entbindungszimmer betrat.
»Nun, Mutter«, sagte er forsch, »warum wollen wir denn nicht pressen?«
»Ich fürchte mich, Herr Doktor«, antwortete sie mit letzter Kraft, »ich weiß nicht, ob ich einen Dackel oder ein Kind zur Welt bringe.«
Meine Herrlichkeit mit einem Dackel im gleichen Atemzug zu nennen! Wie einfältig, die stupide Drohung der Hundebesitzerin, die ich durch die Bauchwand hörte, so ernst zu nehmen!
Nun wurde es für mich ungemütlich in ihrem Bauch. Ich spürte die Hand des Arztes erbarmungslos die Bauchdecke nach mir abtasten. Geschickt entzog ich mich, doch der Arzt verfolgte mich, bis er mich in einem unachtsamen Moment am Bein packte. Flugs schlängelte ich mich aus seiner Hand und schwamm befreit ein paar fröhliche Runden.
»Zange«, hörte ich den Arzt zischend zur Hebamme sagen. Zum ersten Mal während meines unbehelligten Werdens erschrak ich. Bisher hatte keiner gewagt, Hand an mich zu legen, geschweige denn eine kalte, unbarmherzige Zange. Dem galt es zuvorzukommen. Bedroht von dem eisernen Löffelpaar, das mich wie ein welkes Salatblatt schnappen würde, lockerte ich eilig die Nabelschnur, die ich mir als Schmuck um den Hals gelegt hatte, schwamm mit einem eleganten Schwung noch ein letztes Mal durch die Schlinge, paddelte zum Abschied traurig mit den Armen, besann mich, nabelte mich hurtig ab, ehe ich mich kopfüber durch den tosenden Geburtskanal in die Hände des Arztes fallen ließ.
Zu meiner Überraschung waren die Hände jung, nicht allzu groß, es waren die Kinderhände eines uralten Arztes. Ein glatter, gut gepolsterter Handrücken, gerade so, als habe der Zahn der Zeit vergessen, die Hände des Arztes altern zu lassen. Gewiss freut der Arzt sich seiner jugendlichen Hände. Die zwillingsgleichen Hände haben ein endlos langes Leben vor sich, noch auf seinem Totenbett leben sie fort, begleiten ihn hinunter in sein Grab. Zwei stumpfe Löcher werden seitlich in das Holz des Sargs geschnitzt, ein luftiger Sarg für einen Toten mit lebendigen Händen.
Wo bin ich? Bin ich im Kreißsaal eines Altersheims zur Welt gekommen? Alle um mich herum sind verwirrend groß und steinalt. Werde ich auch einmal so abscheulich aussehen? Ich schaue mir die unbekannte Greisin an, die ab jetzt die Mutterschaft übernommen hat. Warum wollte sie mich nicht mehr bei sich haben? Wie schön wäre es gewesen, immer in ihr zu leben, geschützt vor Kälte und Schnee, Hitze und Regen, gut genährt und versorgt, ich, der nackte König in seinem Reich, ihrem Bauch. Sie wird bald erkennen, wie mühselig es ist, mich außerhalb ihrer selbst zu nähren, zu kleiden, zu pflegen, mir die Langeweile zu vertreiben, und alles begleitet von meinem unerhört nervigen Geschrei. Sie wird sich nach dem alten Zustand, bauchpack mit mir, zurücksehnen.
Ich nehme ihr übel, dass sie mich nicht zurücknimmt. Meine Rache wird süß sein, langwierig und quälend. In ein paar Monaten wird sie von mir erwarten, dass ich Mama zu ihr sage. Sag schön Mama. Ma-ma wird sie jede Silbe betonend sagen. Nichts da. Von mir hört sie keinen Ton. In froher Erwartung wird sie die zwei Silben aussprechen, die Lippen erwartungsvoll aufeinandergepresst lauschen, ob ich es wiederhole. Ich bleibe stumm. Sie wird erneut versuchen, beide Silben melodisch zu wiederholen, um sie schließlich zu einem Lied zu vertonen. Vergeblich, mein Mund bleibt verschlossen.
Ich könnte augenblicklich Mutter zu ihr sagen, um den Spuk zu beenden, aber wozu ihr eine so tiefe Furcht vor einem sprechenden Neugeborenen einjagen? Sie würde mich vor Schreck fallen lassen und sich weigern, mit mir zusammen das Krankenhaus zu verlassen, und ich bliebe jämmerlich als Waisenkind zurück.
Die Arme weit von sich geschoben, als könne sie sich bei mir anstecken, hielt sie mich vorsichtig im Arm. He, pack mich ruhig an, ich bin nicht aus Glas, wir Säuglinge mögen es hart, wir liegen gerne im Arm einer Frau, die keine Angst vor uns hat. Neugierig beäugte sie mich wie einen auf dem Rücken liegenden zappelnden Käfer. An einem hübschen kleinen Maikäfer hätte sie gewiss mehr Freude. Den könnte sie von einer Hand zur anderen laufen lassen, bis er sich im Labyrinth ihrer überkreuzten Arme verirrt, und ihn dann mit dem Zeigefinger schnell in einem Gefängnis, einer leeren Zündholzschachtel verschwinden lassen. Meine feinen Arme ruderten, ich wollte sie näher ansehen, kam aber nicht vom Fleck. Die Greisin war gewiss mal ein schönes Kind gewesen, ich schaue interessiert ihre zarten Wangen an, die sanft gewölbten rosigen Lippen mit dem ausladenden Schwung, von einem pastellfarbenen Rand liebevoll eingerahmt, aus welchem Winkel ich sie auch betrachtete. Ihr unbewegliches Gesicht wirkte blässlich, die blonden Haare hingen ihr klebrig im Gesicht. Sie hätte sich zu meiner Begrüßung ruhig kämmen können! Plötzlich trieb es mich zu den schmackhaft riechenden Rundungen unter ihrem cremefarbenen Spitzennachthemd, das ihr die knochige Hebamme gerade übergezogen hatte. Hunger tobte in meinem Bauch, ein hässliches, widerliches Gefühl, das ich sogleich weghaben wollte. Hunger, schrie ich. Aber die beiden hörten mich nicht.
»Siehst du«, sagte der Fremde zu der Frau, »du bist mit einem eigenen Nachthemd in die Klinik gegangen, genau, wie du es dir gewünscht hast.«
Die Frau rang sich ein müdes Lächeln ab und nickte. Ich verhungere, während die beiden sich über Nachthemden unterhalten! Ich brüllte los: Hallo ihr beiden, hört ihr nicht, ich habe Hunger, Hunger! Was interessiert mich euer albernes Nachthemd? Bloß weil ihr im Lager keine Nachtwäsche hattet, glaubt ihr, ich, euer Sohn, sei in Freiheit geboren, weil die Fremde bei meiner Geburt ein Nachthemd neben sich liegen hatte? Ich pfeife auf euer Spitzennachthemd, zernage es, zerreiße es in tausend Stücke. Füttert mich, ich will trinken, wachsen und gedeihen, dann entscheide ich, ob ich bei euch bleibe! Ich bewege mich heftig, will mich an die monströse Frau krallen, aber ich erreiche sie nicht. Sie ist gefühllos und kalt. Wie soll sie einen brüllenden Säugling ertragen? Schon beim Bäuerchen wird sie versagen. Womöglich muss mein winziger Finger auf die volle Windel deuten, damit sie mich bitteschön trockenlegt? Sie wird mich mit Essen betäuben und füttern, bis ich unbeweglich bin. Bei so einer Mutter muss ich ja um mein Leben bangen. Ich sehe ihr an, dass sie außer mir keine weiteren Kinder zur Welt bringen wird. Auch dulde ich keine plärrenden kleinen Geschwister, die von den Freiheiten profitieren, die ich mir in hartem Kampf erobert habe. Sie gehört mir. Am liebsten würde ich sie behutsam an die Hand nehmen und mit ihr nach Hause gehen. Den hässlichen Alten brauchen wir nicht.
»Hören Sie«, sagte der Arzt jetzt laut zur ehemaligen Schwangeren, ein dünnes Lächeln umspielte seine Lippen. »Ich kann Ihnen versichern, dass es ein gesunder kleiner Junge ist. Er schreit wie ein Dreimonatskind, ist sogar schon am Kopf behaart. Er ist ungewöhnlich kräftig für ein Neugeborenes.«
Erneut warf er einen Blick auf mich. Am liebsten hätte ich ihm aus Spaß die Zunge herausgestreckt, damit