Eberhard Arnold. Markus Baum
sollten auf den Blankenburger Konferenzen nicht geübt werden – um der Einheit willen.
Es ist nicht bekannt, dass Eberhard Arnold später engere Fühlung mit pfingstkirchlichen Gemeinden oder Gemeinschaften gehabt hätte. Es gibt freilich auch keine Anhaltspunkte dafür, dass er die Pfingstbewegung pauschal verurteilt oder absichtlich gemieden hätte. Wie hätte er auch seine deutliche Prägung durch Torrey und Finney verleugnen können? In seinem Leben sind mit den Jahren eine ganze Reihe von Charismen wirksam geworden: Urteilskraft, prophetischer Weitblick, tätige Liebe.
CVJM und CVJF
Die ersten Monate des Jahres 1908 verlebten Eberhard Arnold und Emmy von Hollander verhältnismäßig einträchtig mit ihren Familien, er in Breslau, sie in Halle. Was ihm an freier Zeit neben dem Studium der Kirchen- und Philosophiegeschichte blieb, davon investierte er nur wenig und ungern in die DCSV und ebenfalls wenig, aber dafür mit großer innerer Anteilnahme in Dienste bei der Breslauer Heilsarmee. Sonntagnachmittags betreute er regelmäßig eine Gruppe von anfangs etwa 30 jungen Männern in Brockau. Der Breslauer CVJM hatte ihm die Verantwortung für diese Arbeit übertragen. Einige der jungen Leute entschlossen sich, in die Nachfolge Jesu zu treten. Im Mai gab Eberhard Arnold die Gruppe an andere Mitarbeiter ab. Eine regelrechte Mitgliedschaft im CVJM hat Eberhard Arnold für sich ausgeschlossen, „da ich einige Tatsachen der Verfassung und der Rednerbenutzung niemals mitverantworten könnte.“
Derweilen engagierte sich Emmy in der „Jungfrauenvereinigung“ der Stadtmission in Halle, die dem „Christlichen Verein Junger Frauen“ CVJF angeschlossen war. Das ging nicht ohne Schwierigkeiten ab. Einzelne aus den Reihen der „taufgesinnten“ Gemeinschaftsleute an der Alten Promenade zweifelten offen an der „Entschiedenheit“ der Stadtmissionsleute und fürchteten, Emmy könnte Mädchen aus der einen in die andere Arbeit abwerben. Umgekehrt geriet sie bei der Stadtmission bald in die Kritik, weil sie ihre Taufüberzeugung nicht verleugnete. So blieb das Thema CVJM sowohl für Emmy von Hollander als auch für Eberhard Arnold nur ein Zwischenspiel. Gleichwohl haben beide auch in späteren Jahren enge und freundschaftliche Kontakte zur CVJM-Bewegung gepflegt.
Pläne
Über den vielschichtigen Ereignissen, Fragen und Verpflichtungen kann man leicht aus den Augen verlieren, dass Eberhard Arnold eigentlich noch Student war. Durch seine neugewonnene Taufüberzeugung sah er sich erst recht genötigt, das Studium mit Hochdruck voranzutreiben. Welchen Beruf er nach dem Examen ergreifen, was für eine Stellung er anstreben sollte, darüber machte nicht nur er selbst sich Gedanken:
– Bei der DCSV-Konferenz in Wernigerode hörte er fasziniert die Berichte der Ostasienfahrer aus dem Vorstand über Mission in China und überlegte: „Kann ich hinausgehen? – Wenn ich kann, so will ich.“
– Theophil Mann und andere fragten ihn, wann er für den Posten als DCSV-Sekretär frei sei.
– General von Viebahn redete ihm bei gleicher Gelegenheit zu, „zunächst der Studentenarbeit treu zu bleiben.“
– Am 6. September erwog er, „wenn Gott im Examen (Dr. theol oder phil) hilft, schon im nächsten Herbst von Gerdtells Bitte zur Mitarbeit“ zu folgen.
– Von Gerdtell drängte ihn in den folgenden Monaten wiederholt, sich dem baptistischen Missionskomitee anzuschließen.
– Im Januar 1908 erklärte er, sich bei der China-Allianzmission bewerben zu wollen, „sobald mich keine bestimmte Führung Gottes in Deutschland bindet.“
– Baron von Tiele-Winckler, ein gläubiger Millionär, Vorstandsmitglied des Blankenburger Allianzkomitees, bot ihm eine Hauslehrerstelle an „für freie Station und 1200 M. pro Jahr, freie Zeit zur Examenarbeit gern gewährt“. Aus Zeitmangel musste er abwinken.
– Der Baron beriet daraufhin mit Graf von der Recke-Volmarstein, ob man eine Stelle im CVJM oder im Weißen Kreuz schaffen könne. „Nicht Gottes Weg“, vermerkte Eberhard Arnold gegenüber Emmy.
– Ende März fragte der angehende Mediziner und Baptist Gotthelf Müller aus Leipzig „im Namen einiger Brüder“, ob er nicht die dringend nötige Nacharbeit zu von Gerdtells Vortragstätigkeit übernehmen könne. Das konnte sich Eberhard Arnold schon eher vorstellen.
– Die Hallenser DCSV überlegte seit Anfang Juli 1908 ernsthaft, Eberhard Arnold als „Lokalsekretär“ anzustellen. Das hätte alleine für den Lebensunterhalt nicht ausgereicht, aber zusammen mit einer weiteren Teilstelle im „Müllerschen Komitee“ schien es ihm denkbar, sofern er allein dem Hallenser Kreis und nicht dem nationalen DCSV-Vorstand verantwortlich sein würde.
– Sogar seine Eltern wollten seiner „Berufswahl als freier Gemeinschafts- oder Studentenarbeiter nicht in den Weg treten, sondern nur der Taufe“ (15.03.08).
All diese Überlegungen traten in den Hintergrund durch eine Wendung der Ereignisse, die sowohl Eberhard Arnold als auch Emmy von Hollander zu diesem Zeitpunkt wohl schon ausgeschlossen hatten.
Examen verweigert
Bis Anfang August 1908 rechnete jeder damit, dass Eberhard Arnold im Herbst das erste theologische Examen ablegen würde. Im März 1908 hatte er sich zum Examen angemeldet; am 6. April jubelte er über die Zulassung und das ihm zugewiesene Examensthema: „Die Abhandlung ist ganz großartig, eins der angenehmsten Themen, die ich hätte bekommen können (…). – Auch die Predigt hat einen schönen Text für jemand, der wie ich für die Aussaat im Reich Gottes leben will.“ Die Eltern überzeugte er, dass er die Examensarbeit nur auf dem Land ungestört und konzentriert vorantreiben könne. Ende Mai quartierte er sich in Bebra, „Haus Elim“, bei einer Familie Wiegand ein; es handelte sich um die Schwiegereltern seines früheren DCSV-Vorstandskollegen Albert Still. Die Umgebung tat ihm gut („Ich fühle mich wie erneuert in dieser vom Geist Gottes getragenen Atmosphäre“). Obendrein lebte Emmy gerade wieder in Halle bei den Eltern und war damit „viel, viel näher gerückt“. Die schriftliche Examensarbeit hatte er Mitte Juli abgeschlossen und bei der theologischen Fakultät der Universität Breslau eingereicht.
Komplikationen kamen von unerwarteter Seite. Anfang August erwähnte Clara Arnold bei einem Besuch des Breslauer Oberkonsistorialrates Genrich beiläufig die Taufabsichten ihres Bruders. Carl Franklin Arnold äußerte die Überzeugung, dass diese Taufe nie stattfinden werde. Genrich ließ erkennen, dass er – entgegen seiner Amtspflicht – von diesem Wissen keinen Gebrauch machen werde, denn die Zulassung zum Examen setze die Bereitschaft zum Eintritt in den kirchlichen Dienst voraus. Wie Eberhard Arnold in Bebra überhaupt von diesem Gespräch erfahren hat, ist nicht mehr auszumachen – er hat jedenfalls von dem Vorgang gehört. „Die Folge davon war, dass ich um der Wahrhaftigkeit willen meiner Eingabe an das Consistorium beifügen muss, dass ich nach dem Examen mit meiner Glaubenstaufe aus der Kirche austreten würde“, berichtet er am 8. August an seine Verlobte, und zwei Wochen später: „Mein Zusatz über die Taufe war eine Forderung der Offenheit (…). Es wäre Heuchelei und feiges Verstecken gewesen, wenn ich unter solchen Umständen geschwiegen hätte. Ich kann dem Herrn nicht genug danken, dass er mich vor solchem ungraden Handeln bewahrt hat.“
Über die Folgen dieses Schritts war er sich sehr wohl klar. „Am korrektesten wäre behördlich meine Zurückweisung“, schrieb er am 21. August. Er reiste nach Breslau, um die Sache im direkten Gespräch mit dem Konsistorium zu klären. Am 12. September war es für ihn so gut wie sicher, am 22. September hatte der Generalsuperintendent der schlesischen Landeskirche es ihm mündlich bestätigt, am 2. Oktober war es amtlich: Die schlesische evangelische Landeskirche verweigerte Eberhard Arnold die Zulassung zum theologischen Examen.
War Eberhard Arnold „in Irrtum, Unrecht und Ruin“; hat er sich leichtsinnig und ohne Not sein „Examen und eine vernünftige Existenz unmöglich gemacht“, wie die Eltern in der ersten Aufregung meinten? Hätte er fünf gerade sein lassen sollen? „Ich hasse alles Anschmiegen