Eberhard Arnold. Markus Baum

Eberhard Arnold - Markus Baum


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von der Fakultät beurlaubt, schrieb an einem Buch über „Die ältesten Berichte über die Auferstehung Jesu Christi. Eine historisch-kritische Untersuchung“ und hätte sich lebhaften Besuchsbetrieb wohl verbeten. Abends war es ihm ganz angenehm, dass der Neffe als Gesprächspartner und Spielpartner für Schach und Halma zur Verfügung stand. Eberhard Arnold musste dann wohl oder übel sein eigenes Programm opfern, und die Kommilitonen zogen ohne ihn los.

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       Erste studentische Arbeitskonferenz der DCSV unter Vorsitz von Eberhard Arnold (obere Reihe, 5. von links), 1907

      Hinsichtlich des Studiums waren Nähe und Rat des Onkels Gold wert. Eberhard Arnold belegte neben den theologischen Fächern auch Vorlesungen in Philosophie. Das erwies sich später als entscheidend fürs wissenschaftliche Überleben. Bei den Professoren Uphues und Ebbinghaus hörte er Logik, Philosophiegeschichte und Psychologie. In seinem Stammfach Theologie profitierte er vor allem von dem Kirchengeschichtler Prof. Loofs und natürlich von Heinrich Voigt. Dogmatik und Systematische Theologie hörte er bei den einflussreichen Professoren Kähler und Lütgert. Außerdem darf man nicht vergessen, dass Eberhard Arnold auf Schritt und Tritt den wissenschaftlichen Spuren seines Vaters begegnete. In der Bibliothek der theologischen Fachschaft prangt der Name Carl Franklin Arnold heute noch auf einem halben Dutzend Buchrücken. Für den studierenden Sohn eine ständige Herausforderung und auch eine Hypothek: bewusst oder unbewusst haben ihn seine Lehrer wohl immer am Vater gemessen.

      Unter den mehr als 300 Theologiestudenten der Fachschaft standen ihm zweifellos die Freunde aus der DCSV am nächsten. Da finden sich Namen wie Hermann Schafft und Friedrich Siegmund-Schultze, den Eberhard Arnold noch aus der Breslauer Schulzeit kannte – Leute, die auch später noch eine Rolle in seinem Leben spielen würden. Aber auch unter den anderen Studenten, die keinen ausgesprochen erwecklichen oder Gemeinschafts-Hintergrund hatten, pflegte er Bekanntschaften. Zu Paul Tillich beispielsweise: mit ihm zusammen hörte Eberhard Arnold dieses eine Semester lang Theologie, dann liefen die Wege auseinander, um sich erst nach vielen Jahren wieder zu kreuzen.

       Das Schlesische Konvikt

      Zu Beginn des Sommersemesters 1906 hatte das mönchische Leben im Haushalt Heinrich Voigts ein Ende. Die Eltern hatten bei den wenigen Besuchen in Breslau aus Eberhard Arnolds Berichten herausgehört, dass er sich nach jüngerer und lebhafter Gesellschaft sehnte. Die fand sich im Stift der Schlesischen Evangelischen Kirche, Wilhelmstraße 10. Das klotzige Gebäude grüßt Besucher und Passanten noch heute mit dem in Stein geschnittenen Satz aus Psalm 27: „Herr, weise mir deinen Weg, und leite mich auf ebener Bahn.“ Hier hatten einige schlesische Theologiestudenten Quartier, auch einige aus der DCSV. Manche fühlten sich von der Hausordnung eingeengt, empfanden die Atmosphäre als spießig. Für Eberhard Arnold dagegen war das Leben im Schlesischen Konvikt eine Art Befreiung. Inspektor des Konvikts war im übrigen Dr. Karl Heim.

      Karl Heim, wiewohl auch nur etwa zehn Jahre älter als die jungen Studenten, war für viele eine Art Vaterfigur. Zumal für die DCSVer: sie fanden bei ihm ihre geistliche Linie, ihre Sprache. Noch 1898 war er selbst im Vorstand der Hallenser DCSV-Gruppe; von 1899 bis 1902 war er hauptamtlicher Reisesekretär der DCSV gewesen. Seine geistliche Autorität stand außer Frage. Im Konvikt ergaben sich reichlich Gelegenheiten zum Austausch; hier wurde der Grundstein für eine dauerhafte, wenn auch nicht allzu innige Freundschaft gelegt. Eberhard Arnold und Karl Heim haben sich in den folgenden Jahren manche Auseinandersetzung geliefert, haben über die notwendigen Folgen aus ein und denselben geistlichen Erkenntnissen gestritten, haben ganz unterschiedliche Wege eingeschlagen. Dennoch hat Karl Heim stets am Schicksal Eberhard Arnolds Anteil genommen, bis zu dessen Lebensende.

       Wachsende Verantwortung in der DCSV

      Mit Beginn des Semesters, am 26. April 1906, war Eberhard Arnold zum Vorsitzenden der Hallenser DCSV gewählt worden. „Die Ehre Jesu, unsres Königs, ist es, die wir vertreten wollen in der Studentenwelt“, sagte er in seiner Antrittsrede; „Er ist allein der feste rettende Grund für die ankerlosen Wracks, die von den Meinungen und Strömungen der Gegenwart hin und her geworfen werden (...). – Ihn wollen wir hineinstellen mitten in die Welt, die Ihn verlacht und für abgetan erklärt. (...) Wir wollen kein Konventikel sein noch werden, sondern eine missionierende Macht für alle Kreise unserer Universitäten. (...) Jesus allein! ist die Devise unserer Vereinigung. Wir wissen, dass wir uns nicht mehr selbst gehören, sondern dass Er uns Gott erkauft hat mit seinem Blut!“

      Seit seinem Eintritt hat sich die örtliche DCSV-Gruppe stetig und kräftig entwickelt. „Als ich nach Halle kam, war in der D.C.S.V. ein Durcheinander ohnegleichen“, schrieb Eberhard Arnold später; „Gott gab Gnade, den Geist Jesu zur Herrschaft zu bringen und das Fremde und Unklare zurückzudrängen. Wunderbare, herrliche Dinge haben wir erlebt. Aber nicht ich war es, auch nicht sonst einer, sondern der Herr und Sein Geist“. Seine Reife und sein Einsatz in der örtlichen DCSV sprach sich herum. Binnen kurzer Zeit wurde er auch in den nationalen DCSV-Vorstand berufen als „studentisches Mitglied“. Er fand sich dort in einer Runde mit dem Grafen von Pückler, dem Methodistenprediger Theophil Mann, der zu der Zeit DCSV-Sekretär war, dem Wuppertaler Pastor Paul Humburg, dem baptistischen Reiseprediger Ludwig von Gerdtell und anderen.

      Ludwig von Gerdtell kannte er schon aus der Zeit, als dieser gerade DCSV-Sekretär geworden war. Im Jahr 1902 hatte eine Vortragswoche Gerdtells in Breslau eine kleine Erweckung unter Gymnasiasten ausgelöst. Von Gerdtell, elf Jahre älter als Eberhard Arnold, war ein brillanter, kraftvoller Redner, von Haus aus Jurist, reiste aber mit populär aufgemachten geistlichen Vorträgen durchs Land. Er lehnte die Kindertaufe ab, geißelte die Staatskirche und scheute auch die offensive Auseinandersetzung mit der modernen Naturwissenschaft nicht. Er legte Wert auf gepflegte Umgangsformen, konnte aber unvermittelt sprachlich ausfällig und verletzend werden und machte gerne Pointen auf Kosten anderer. Das sicherte ihm über viele Jahre ein aufmerksames Publikum. Karl Heim bewunderte ihn: „Mit der Logik eines Advokaten wird die Wahrheit des Anspruchs Jesu bewiesen. Dazwischen Zeugnisse von fulminanter Kraft“, so schrieb Heim 1906. Der Mann war so rigoros in seinem Reden, freilich auch so konsequent in seiner Lebensgestaltung – das konnte auf einen jungen Mann mit ganz ähnlicher geistiger Schärfe nicht ohne Eindruck bleiben. Und so finden wir Eberhard Arnold in der folgenden Zeit immer wieder in der nächsten Umgebung Ludwig von Gerdtells. Im DCSV-Vorstand schloß er sich öfters dessen Haltung an. Vom Sprachstil von Gerdtells, von der Argumentationsweise hat er sich manches angeeignet. Zeitweise nannte er ihn gar seinen „besten Freund“. Wenn er Karl Heim bei aller Verbundenheit „zu weich und als Christ zu nachgiebig“ fand, dann mag das daran liegen, dass er an Ludwig von Gerdtell zur selben Zeit Entschlossenheit und kompromisslose Härte um der Wahrheit willen sah. Aber eben: Wahrhaftigkeit ohne Liebe, Entschiedenheit bis zur Rechthaberei – so empfanden es andere. Ausgerechnet der scharfsinnige Student mit seinem feinen Gespür für Echtes und Unechtes soll das nicht bemerkt haben? Manches an dieser Beziehung bleibt rätselhaft.

      Von Gerdtell sah seine Berufung in der „Arbeit unter den Gebildeten“. Evangelium für die gebildete Oberschicht, für Reiche und Einflussreiche – Eberhard Arnold konnte sich persönlich vom Erfolg dieser Strategie überzeugen. Vor Weihnachten 1906 und dann noch einmal Anfang 1907 hielt Ludwig von Gerdtell in Halle zwei spektakuläre Vortragsreihen, von Karl Heim und Eberhard Arnold maßgeblich mit vorbereitet. Seine Themen waren zum Beispiel „Das Sühnopfer Christi“ oder auch „Kann der moderne Mensch noch an die Auferstehung Jesu glauben?“ Unter Leuten aus dem gebildeten Bürgertum löste er damit eine regelrechte Erweckung aus. Die Hallischen Tageszeitungen merkten zwar nur kurz auf und gingen rasch zur Tagesordnung über: Die „russischen Wirren“, der Burenkrieg, Kaisers Geburtstag, die bevorstehende Reichstagswahl, die deutsche Flotte, und was man von den Sozialdemokraten zu erwarten habe. In den Gemeinschaften allerdings lieferten die Vorträge noch auf Monate Gesprächsstoff; die gedruckten Manuskripte wurden von Hand zu Hand gereicht. Es bildeten sich Bibelgesprächskreise und Gebetskreise in den Privathäusern prominenter Hallenser.


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