Eberhard Arnold. Markus Baum

Eberhard Arnold - Markus Baum


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die Unsern und liebevoller als je sein“, hatte Eberhard Arnold an Emmy von Hollander vor Ausbruch des Konflikts geschrieben. Wie schwer es beiden fallen würde, die Liebe zu den verständnislosen Eltern zu bewahren, sollte sich rasch herausstellen.

      Emmy verbrachte das zweite Halbjahr 1907 überwiegend in einem Pfarrhaushalt in Brumby. Das Verhältnis zu den Pfarrleuten war gut, aber nicht besonders herzlich. Man gewährte ihr (und sie gewährte sich) kaum eine Stunde Pause. Ihre natürlich übersprudelnde Frömmigkeit war der Pfarrfrau manchmal peinlich; sie hatte das Gefühl, sich verstellen zu müssen. Dazu kam nun das unvermeidliche Rätseln, manchmal auch ansatzweise Empörung über die Haltung der Eltern, insbesondere des Vaters: Eberhard Arnold stellte bald fest, dass sein sonst so fröhliches „Amselchen“ nicht mehr singen konnte.

      Ihm ging es im Grunde auch nicht viel besser: die Sehnsucht wuchs ins Unerträgliche. Mehrmals musste er in Briefen gestehen, dass er drauf und dran war, sich in den nächsten Zug zu setzen; mehrmals spielte er in Gedanken Treffpunkte und -Termine durch, um sich und ihr solche Überlegungen sofort wieder zu verbieten: „Für unser Wiedersehen habe ich die freudigsten Hoffnungen. – Am 17. oder 24. kannst Du doch unmöglich nach Charlottenburg? Ich rede Dir gar nicht zu. Nach meiner Meinung solltest Du ein Jahr warten (...). Aber lass meine Meinung bitte in solchen Gewissensfragen nicht zu viel gelten ...“ Kommt dazu, dass er die Verfügung der Schwiegereltern vor seiner Familie verheimlicht hatte. Folge: schon bei harmlosen Neckereien der nichtsahnenden Mutter oder der Geschwister verlor er die Fassung, Türen knallten – „ich sehe furchtbar finster aus, wenn ich böse bin. Ich war glücklich, als Jesus und alle mir vergeben hatten“. Kurzum: beide empfanden die Trennung als kaum erträgliche, sinnlose Folter. Die Eltern von Hollander waren aber auch nicht völlig herzlos und litten selbst unter der Entfremdung. Spätestens seit Mitte November hatten die Brautleute Grund, auf ein Wiedersehen zu Weihnachten zu hoffen. Die Zeit bis dahin war noch lang genug. Der Breslauer Hauptbahnhof sah jedenfalls am 22. Dezember 1907 nachmittags – „Ankunft 1.45“ – zwei überaus glückliche Menschen, die sich viel zu sagen hatten. Von da an war der Bann gebrochen; die beiden trafen sich der Entfernung wegen selten genug, aber mit befreitem Gewissen. Die überstandenen „Kränkungen, Verletzungen und Taktlosigkeiten, Anfeindungen usw.“ verstanden sie im Nachhinein als „Stäubchen in der Sonne (...) – Unser Licht kann keiner absperren, weil es Oberlicht ist.“

       Prinzipienstreit im DCSV-Vorstand

      Die zwangsweise Trennung war nicht der einzige Schatten, der sich über das zweite Halbjahr 1907 legte. Ungemach bahnte sich auch im DCSV-Vorstand an. „Es ist eine starke Strömung gegen von Gerdtell, Oestreicher, Still und mich im Entstehen wegen unserer Entschiedenheit“, schrieb Eberhard Arnold Ende Juli an Emmy. Der Anlass: Ludwig von Gerdtell war am Rande der Weltbund-Konferenz der christlichen Studentenbünde in Japan mit DCSV-Sekretär Theophil Mann aneinandergeraten. Mann hatte bezweifelt, dass der 2. Petrusbrief zu Recht dem Neuen Testament zugerechnet wird. Von Gerdtell witterte Verrat an der sogenannten „Basis“ der DCSV und wollte mit Hilfe seiner Freunde im Vorstand eine Erklärung einbringen, die jedes Vorstandsmitglied auf die Anerkennung der ganzen Heiligen Schrift ohne Wenn und Aber verpflichten sollte. – Die alljährliche Studentenkonferenz in Wernigerode verlief noch harmonisch und ermutigend. In der abschließenden Vorstandssitzung allerdings wurde die bewusste Erklärung mit einer Stimme Mehrheit verworfen. Am Rand der Blankenburger Allianzkonferenz Ende August kamen Eberhard Arnold und von Gerdtell überein, beim nächsten Vorstandstreffen die Sache noch einmal ultimativ zur Sprache zu bringen. Eberhard Arnold setzte eine Protesterklärung auf, dass „von einigen Vorstandsmitgliedern die absolute Autorität der Schrift angetastet worden“ sei. „Wenn die Schrift nicht ist, was zwischen den beiden Deckeln steht, wenn der 2. Petrusbrief von einem Betrüger verfasst sein kann, wenn der Kritik von uns keine bestimmten Schranken gesetzt werden, so führt unser dann bloß noch formales Festhalten an der Basis zu einer Unaufrichtigkeit und Heuchelei, die den Geist Gottes von unserer Arbeit fortscheuchen muss.“

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       „Haus Gnadenfülle“, Allianzkonferenz Bad Blankenburg, Eberhard Arnold in der Bildmitte, Emmy sitzend, 1911

      Dieses Papier trägt deutlich die Handschrift Eberhard Arnolds. Der Plan, widrigenfalls eine Art Gegenvorstand auszurufen und dem alten Vorstand das Vertretungsrecht abzusprechen, klingt indessen sehr nach der Streitlust von Gerdtells. Eberhard Arnold klagte denn auch, „dass die Brüder mich durchaus zum Vorsitzenden haben wollen, an Pücklers Stelle. Das bringt mich in große innere Schwierigkeiten“. Emmy hat das abenteuerliche Vorhaben mit keiner Silbe kommentiert. – Die Palastrevolution fand dann doch nicht statt. Was passierte tatsächlich in der entscheidenden Sitzung des nationalen DCSV-Vorstandes am 23. Oktober? Zwar wurde die Protesterklärung behandelt, aber nur abgeschwächt angenommen. Ludwig von Gerdtell nutzte die Gelegenheit zu einem Abgang mit viel Donner und wenig Applaus, indem er alle andersdenkenden Vorstandsmitglieder für Heuchler erklärte, ihnen die Bruderschaft und der DCSV die Zusammenarbeit aufkündigte. Eberhard Arnold dagegen beklagte zwar die „Inkonsequenz, die zur Heuchelei führt“, betrachtete aber alle Vorständler „weiter als Brüder“. Aus dem nationalen DCSV-Vorstand zog er sich zurück; der DCSV blieb er trotzdem engstens verbunden. – An einem Nachhutgefecht im Gemeinschaftsblatt „Auf der Warte“ zwischen Ludwig von Gerdtell und Graf Pückler beteiligte sich Eberhard Arnold nicht.

       Anfänge der Pfingstbewegung

      Parallel zu DCSV-Konflikt, Tauf- und Kirchenfrage taucht in den Brautbriefen zwischen Emmy von Hollander und Eberhard Arnold immer wieder die Frage nach Dauer und Zukunft der Erweckung auf, die in Halle und vielen anderen Städten und Landstrichen dieser Zeit zu spüren war. Eberhard Arnold glaubte, „eine immer reiner werdende Rückkehr zum Urchristentum“ feststellen zu können: „Unsere Erweckung trägt den Stempel der Endzeit, der herrlichen Erwartung Seiner Ankunft (…) – Noch ist viel zu tun. Viel Gebundenheit, viel Unklarheit zu überwinden, die alleinige Autorität des Wortes im Geist durchzufechten und die Sünde als tot hinauszutun.“ Da kann es nicht erstaunen, dass er hellhörig war für Nachrichten über besonders auffällige Ereignisse in der Christenheit. In einem der ersten Briefe an Emmy, am 4. April 1907, gab er stichwortartig den Inhalt eines Berichts des Zeltevangelisten und Pastors Jonathan Paul wieder über seltsame Vorgänge bei einer Erweckung in Frederiksand bei Christiana (Oslo), „in der viele zur völligen Hingabe an Jesus gekommen sind und der Geist mit einer Kraft herniedergekommen ist wie an Pfingsten in der Apostelgeschichte, sodass auch dort heute Leute mit fremden Sprachen reden …“ Er war begeistert, „wie ruhig, nüchtern und doch wunderbar der Geist Gottes in unseren Tagen wirkt!“ Ein Vierteljahr später berichtete Emmy von Hollander über „vier Geschwister aus Norwegen“, die nach eigener Aussage vom Heiligen Geist nach Halle geschickt worden seien und sich ohne Vorankündigung bei einer Gemeinschaftsschwester einquartiert hätten, „vielleicht acht Tage, vielleicht ein Jahr, je nachdem der Geist es ihnen zeigt“. Sie war befremdet über die ungeordnete, unverständliche Art des Betens, aber auch bereit, die Sache gründlich zu prüfen. Nach der zweiten Begegnung schrieb sie: „Das Kreuz ist nicht der Mittelpunkt, weder gestern noch heute, sondern das Erfülltsein mit dem Geist, welches sie (so kommt es mir vor) erzwingen wollen.“ Eberhard Arnolds trockener Kommentar dazu: „Geistespredigt ohne Christusverkündigung ist die gefährlichste Schwärmerei. Der Geist ist nur dazu da, dass er Christus verherrlicht und von Ihm und Seinen Worten zeugt.“ Nach einer dritten Versammlung mit den Norwegern glaubte Emmy, die Bewegung sei womöglich doch göttlich. – Das Thema war in der Folge Gesprächsgegenstand am Rand der Blankenburger Allianzkonferenz und bei allen möglichen Gelegenheiten. Den positiven Bericht eines „äußerst nüchternen DCSV-Kollegen“ über die „Großalmerodener (Pfingst)-Bewegung“ schickte Eberhard Arnold ohne weiteren Kommentar an Emmy. Er legte großen Wert auf ihre Einschätzung, und die fiel zunächst vorsichtig positiv aus.

      Als dann erkennbar wurde, dass die Pfingstbewegung mehr noch als die Tauffrage Unruhe und Streit in die Allianzbewegung brachte, hielt er es mit den leitenden Männern


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