Glashütte. Peter Vogler

Glashütte - Peter Vogler


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ist eben nicht einfach.

      Wenn auch für die Brötchen noch eine gewisse Wartezeit angebracht war hatte Aichberger doch veranlasst, dass jede im Raum anwesende Person mit einem Glas Sekt versehen war. Schließlich wollte man doch mit Dr. Klein auf seinen Freudentag anstoßen. Pünktlich um 15:00 Uhr begann der Vorstandsvorsitzende mit seiner Rede. Für seine Verhältnisse fiel sie übrigens mit 17 Minuten Dauer geradezu extrem kurz aus.

      Natürlich gibt es bei einer solchen Rede keine Bewertung, aber wenn wir einmal einen Blick in die Köpfe der Anwesenden werfen ergibt sich ein interessantes Bild. Eine Person (Aichberger selbst) empfand die Rede als launig und nett. Etwa ein Drittel der Zuhörer vergab die Einstufung „blabla“, ein weiters Drittel wertete sie als primitiv und das restliche Drittel als peinlich.

      Na ja, so interessant ist das Bild auch wieder nicht, schaut eher nach weit verbreitetem Standard aus.

      Während einer Rede eines Vorstandsvorsitzenden steht die Welt ja nun wirklich nicht still und der Betrieb in der Amicus AG schon gar nicht. Und da gehört viel dazu. Viel Wichtiges, aber auch viel Routine. Eine dieser regelmäßigen Aktivitäten oblag der Putzfrau Bogdana Matijovic, die einmal wöchentlich das vertrauliche Altpapier einzusammeln und zur geordneten Vernichtung zu bringen hatte. Pflichtbewusst betrat sie also während der Rede Aichbergers das Sekretariatszimmer und leerte den Altpapierkorb. Dabei fiel ihr auf, dass in einem Kuvert ein harter Gegenstand steckte. Eingedenk ihrer Einschulung, dass nur Papier zur Vernichtung gelangen durfte steckte sie das Kuvert in die Tasche ihres Arbeitsmantels, verließ das ohnehin verwaiste Sekretariat und setzte ihre Runde fort.

      Aichberger hatte also seine Rede beendet. Launig wie immer griff er zu der hölzernen Uhrenkassette. „So, Herr Jungpensionist! Dass du immer weißt, was die Stunde geschlagen hat haben wir dir einen netten Zeitmesser als Erinnerung gekauft.“

      Mit diesen Worten öffnete er die Kassette. „Oha, do is jo gor ka Uhr drin!“

      Barbara Richter war schon ins Sekretariat gegangen, um die Uhr zu holen. Nun kam sie mit kreidebleichem Gesicht zurück, flüsterte Sichrovsky ein paar Worte ins Ohr und stürzte dann mit einem Aufschluchzen wieder hinaus.

      Sichrovsky war nur ganz kurz verlegen. „Herr Aichberger, Frau Richter hat die Uhr aus Sicherheitsgründen getrennt von der Kassette aufbewahrt und hat mir gerade mitgeteilt, dass sie jetzt verschwunden ist. Ich schlage also vor, dass sie im Moment die Uhr nur symbolisch in Form der Kassette übergeben. Wir werden das Verschwinden der Uhr aufklären und sie dann nachreichen.“

      „Jo, so moch ma des, oba wissts eh, ohne Aufsehen und ohne Polizei und so weiter. Sichrovsky, mir wern jo irgendwem do im Haus hobn, der si um des kümmern kann! Oder net?“

      „Genau das habe ich mir auch gedacht, Herr Aichberger. Ich denke da an Herrn Sagmeister, unseren Leiter der Innenrevision, ein tüchtiger Mann!“

      „Na gut, hätt ma des auch besprochen. Aber jetzt, Alles Gute Ferdl! Auf viele schöne Jahre in deiner Pension! Prost!“

      Allgemeines Anstoßen. Dr. Klein schien von der Bedeutung des Augenblickes ergriffen. Oder verärgert? Jedenfalls verzichtete er darauf, irgendetwas Passendes oder Unpassendes zu sagen. Aber eigentlich kam er auch gar nicht dazu, denn mit einem fröhlichen „Das Buffet ist eröffnet“ leitete Aichberger zu dem Teil über, der ihm ohnehin mehr am Herzen lag. Er zögerte daher nicht lange, griff sich einen Teller und belud diesen mit einigen Brötchen. Also, was man eben auf so einem kleinen Teller gut geschlichtet unterbringt.

      Sichrovsky hätte gerne Frau Richter angewiesen, Herrn Sagmeister kommen zu lassen. Da diese aber nirgends zu sehen war beauftragte er einen der dienstbeflissenen Abteilungsleiter, sich darum zu kümmern.

      Sichrovsky war mit dem Ablauf der Ereignisse einigermaßen zufrieden. Die Richter würde ihm noch erklären müssen, wie es dazu kommen konnte. Lächerlich, eine Uhr nicht ein paar Minuten so aufzubewahren, dass sie nicht abhandenkommen konnte. Und wo war sie selbst eigentlich? Immerhin hatte er diese leidige Sache der verschwundenen Uhr mit Aichberger halbwegs elegant hingekriegt, die Feier war ganz gut verlaufen, seine Rolle als neuer Generaldirektor kam sichtlich in den Hirnen der Leute an und den Erbsenzähler von der Innenrevision würde er sich in den nächsten Tagen noch speziell zur Brust nehmen.

      2

      Peter Sagmeister war seit knapp drei Jahren Leiter der Innenrevision. Vor seiner Zeit war „Erbsenzählerverein“ unter den Mitarbeitern der Amicus AG der gängige Sprachgebrauch für diese wichtige Einrichtung gewesen. Wiewohl die Versicherungsbranche relativ wenig mit Hülsenfrüchten zu tun hat. Ja, schon, die Ernteversicherungen der Bauern, aber da werden auch nicht einzelne Erbsen gezählt.

      Von Beginn an hatte Sagmeister unermüdlich gepredigt, dass er die Rolle der Innenrevision anders als üblich sehe, was ihn bei vielen in den oberen Rängen der Hierarchie gleich mal verdächtig erscheinen ließ. Nicht die des Beckmessers, der Fehler zählt, sondern eine helfende, eine Rolle einer Art unternehmensinternen Unternehmensberatung. Oha, was ganz Neues!

      Viel Überzeugungsarbeit erst einmal bei seinen vier Mitarbeitern. Ist ja nicht so einfach, vom „Auf die Finger klopfen“ wegzugehen und auf einmal argumentieren zu müssen, wie es vernünftiger geht. Wo kommt man denn da hin?! Na gut, zwei ließen sich davon nicht überzeugen und wanderten in andere Abteilungen ab. Dafür hatte er Ersatz bekommen, Magistra Elisabeth Olbrich, eine „frisch Gfangte“ – wie man in Wien zu sagen pflegt, wenn jemand nach Abschluss einer Ausbildung ins Berufsleben eintritt – Absolventin der Wirtschaftsuniversität und einen männlichen Kollegen namens Roderich Hagenmüller, bisher Schadensreferent. Beide jung, 24 die Dame und 26 der Herr, engagiert und ganz auf Sagmeisters Linie.

      Auch in den anderen Abteilungen der Amicus AG hatte seine Philosophie Anklang gefunden. Macht ja schon was her, wenn da einer nicht sozusagen von Amts wegen recht hat, sondern auf das eingeht, was man selbst denkt. Am wenigsten positiv war das noch beim obersten Chef Dr. Klein angekommen, der ihm sogar einmal empfohlen hatte, seinen Job ordentlich zu machen. Ohne dieses ordentlich irgendwie zu konkretisieren. Oder vielleicht überhaupt konkretisieren zu können? Aber der kurze Ferdl war ja ohnehin so gut wie Geschichte.

      Peter Sagmeister war also mit dem Leben und seiner Arbeit durchaus zufrieden. Überdies sah er heute einem Heurigenabend mit zwei alten Freunden entgegen und war soeben dabei, seinen Arbeitstag zu beenden und sich gebührend auf diesen erfreulichen Abend einzustimmen. Wozu nicht ganz das Läuten des Telefons passte. Fast reflexartig hob Sagmeister ab und verfluchte sich umgehend für diesen Fehler. Am Apparat war Engelbert Weiss, der Abteilungsleiter der Buchhaltung, ein begnadeter Pedant, staubtrocken wie Saharasand, hundertprozentig humorbefreit, ein Mensch, der Sagmeister immer schon unsympathisch gewesen war. Was nebenbei gesagt intensiv auf Gegenseitigkeit beruhte. Und von einem Engel hatte der schon gar nichts! Eher etwas von einem Türsteher zur Vorhölle. Viel weiter hätte es wahrscheinlich da unten auch nicht gereicht, da es ja in der Hölle angeblich lustig zugehen soll. Und zum Lustig sein fehlten ihm, wie schon erwähnt, die wichtigsten Anlagen.

      „Gehn’s Herr Sagmeister, kommen’s auf Weisung von Herrn Generaldirektor Sichrovsky schnell mal ins Büro vom Generaldirektor! Wir haben da was für Sie. Und es ist wichtig und dringend!“. Muss wirklich ganz dringend sein, dachte Sagmeister, wenn Weiss nicht einmal die Zeit zu grüßen fand. Oder war das nur ein Ausfluss seiner schlechten Manieren?

      „Ihnen auch einen guten Tag, Herr Weiss!“ Zu mehr kam er nicht, da hatte dieser schon aufgelegt.

      Wenn Kleins Nachfolger Sichrovsky ‚dringend und wichtig‘ nach ihm verlangte konnte das nur Unangenehmes bedeuten.

      Trotzdem räumte er noch in aller Ruhe seinen Schreibtisch auf und begab sich dann gemächlich um zwei Stockwerke tiefer. So viel Zeit zum Überlegen durfte er sich schon nehmen. Vielleicht könnte er sich noch schnell von Kleins Sekretärin Barbara Richter ein paar Hintergrundinformationen holen, mit ihr hatte er sich immer gut verstanden.

      Aber im Sekretariat wartete schon Engelbert Weiss und keine Frau Richter war zu sehen. Aus dem Zimmer von Klein, jetzt bald das von Sichrovsky drang Stimmengewirr. Ach ja, die Abschiedsfeier! Peter Sagmeister war zwar auch eingeladen gewesen, hatte sich aber entschuldigt. Der Heurigentermin


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