Schloss Frydenholm. Hans Scherfig
weißt du das?“
„Das hat der schwedische Rundfunk gebracht.“
Ja, es gab ja noch den schwedischen Rundfunk! Den konnte man ja auch hören. Stimmen wurden laut, Rasmus Larsens Radio auf einen schwedischen Sender einzustellen, doch Rasmus wollte davon nichts wissen. Es war seine Pflicht als Vorsitzender und verantwortliche Persönlichkeit, sein Radio für die Botschaften und Anweisungen bereitzuhalten, die kommen mußten.
„Ihr könnt mir nicht einreden, das alles sei unerwartet geschehen“, sagte der, der Karl hieß. „Es gibt bestimmt einige, die vorher Bescheid gewußt haben. Es müßte doch mit dem Teufel zugehen, wenn nicht einige Minister und Generale und Admirale unterrichtet waren. So etwas läßt sich nicht über Nacht machen! Sie haben es gewußt!“
„Das ist haargenau das verantwortungslose Gerede, mit dem man uns jetzt am besten verschonen sollte“, sagte Rasmus Vorsitzender streng. „Das ist genau das Gequatsche, das jetzt gefährlich und schädlich ist. Die Lage im Lande ist heute nicht mehr die gleiche wie gestern. Die Verhältnisse sind äußerst ernst. Das muß den Leuten wohl erst einmal aufgehen!“
Aus dem Radio erklang wieder die Botschaft des Königs: „Unter diesen für unser Vaterland so ernsten Verhältnissen fordere ich alle in Stadt und Land auf, ein völlig korrektes und würdiges Auftreten zu zeigen, da jede unüberlegte Handlung oder Äußerung die schwersten Folgen haben kann.
„Hörst du?“ sagte Rasmus Vorsitzender.
16
Martin Olsen wollte sich durchaus nicht von seinen geliebten Broschüren trennen. Sie durften nicht verbrannt werden. Ausgeschlossen! Sie waren unentbehrlich. Es war gut, sie zu haben.
Nur widerstrebend erklärte er sich damit einverstanden, das, was er das „Archiv“ nannte, zu opfern. Das Archiv der Parteigruppe war ein riesiger Stapel Papier – alte Rundschreiben, Mitteilungen und Einladungen zu Versammlungen –, der die beiden untersten Kommodenschubladen füllte. Sie leer zu bekommen war seit langem einer von Margretes großen Wünschen. Der traurige Tag brachte also auch ein wenig Gutes. Sie stapelte das Papier auf den Fußboden und begann, die Schubfächer auszuwaschen.
Martin war, wie erwartet, gegen Mittag nach Hause gekommen. Oscar Poulsen war aus der Molkerei herübergekommen, unternehmungslustig und voll von Parolen und Fremdwörter. Ein alter Ziegeleiarbeiter, Jakob Enevoldsen, war ebenfalls gekommen. Er wohnte in seinem selbstgebauten Haus draußen am Moor und hatte den Weg von einer halben Meile auf einem alten Fahrrad mit schlechten Reifen zurückgelegt. Es waren ja keine Fahrradreifen mehr aufzutreiben, die Leute hatten gehamstert, auch solche, die gar kein Fahrrad besaßen. Jakob hatte seinen Hund mitgebracht, einen kleinen, japsenden Foxterrier, der von dem Weg so ermattet war, daß er sich auf die Seite legte und aussah, als müßte er sterben. Er konnte Kunststückchen machen und war klug und gutmütig, doch als die graue Katze des Hauses den Hund erblickte, wurde sie furchtbar erregt und fauchte wie wahnsinnig: ihr Schwanz stand aufrecht und war dick und buschig wie ein Fuchsschwanz. Die fromme Katze, die sich sonst drücken und von den Kindern umherschleppen ließ, hatte sich in ein rasendes, wildes Tier verwandelt, und als Martin sie hinausbringen wollte, biß sie ihn, so daß er blutete. Margrete entschuldigte die Katze: „Sie ist tragend. Sie ist nur jetzt so nervös, sonst ist sie so eine gute Mieze!“
Martin mußte Jod für seine Hand haben. „Sie hat tief gebissen. Dieser Satan!“
Noch mehr Genossen kamen. Es wurde eine richtige Versammlung. Auch der lange Anton, der sich selten bei Versammlungen sehen ließ, tauchte auf. „Was wird geschehen? Ist es wahr, daß alle Jagdgewehre beschlagnahmt werden?“
Margrete kochte Kaffee. Der Herd wurde mit dem Archiv geheizt; alle diese uralten Einladungen und Berichte und Mitteilungen waren nun endlich zu etwas nütze. Margrete kam es vor, als träume sie das alles. Ihr war, als sei sie Zuschauer und außerhalb des eigenen Ichs, während sie in der Küche hantierte und die Männer in der Stube sprechen hörte. Wenn sie doch alle bloß bald gehen wollten, so daß sie mit Martin allein sein könnte. Alle sprachen gleichzeitig. Jakob Enevoldsens Pfeife verbreitete schrecklichen Qualm. Jakob rauchte einen Tabak, den er aus getrockneter Schafgarbe herstellte. Die Pfeife war zerbrochen und auf bemerkenswerte Art mit Gummi und Heftpflaster umwickelt; und der Schafgarberauch machte Kopfschmerzen und Ohrensausen.
Brüderchen war hereingebracht worden und schrie wütend und ausdauernd.
„Na aber! Ist er denn traurig, der Kleine?“ sagte Margrete. „Na, jetzt kriegst du aber auch gleich etwas zu essen, Peterle!“
Der Kleine schrie weiter. Niels und Gerda zankten sich. „Sie ärgert mich die ganze Zeit!“ brüllte Niels.
„Das darfst du nicht“, mahnte Margrete.
„Er fängt doch immer wieder an!“ rief Gerda.
„Seid jetzt friedlich! Martin, sage ihnen, daß sie friedlich sein sollen!“
„Ihr sollt friedlich sein!“ sagte Martin. „Hört jetzt auf! Hör auf, ihn zu ärgern!“
„Das tue ich ja auch gar nicht! Er ärgert mich immerzu!“
„Hört jetzt beide auf! Geht auseinander!“
„Komm und stell die Tassen hin, Gerda!“ rief Margrete. „Nimm die Tischdecke aus der obersten Schublade.“ Es ärgerte sie ein bißchen, daß Johanne untätig in der Stube hockte und ihr nicht half, wo sie doch soviel zu tun hatte; und der Kleine schrie. Johanne mit ihrem geschminkten Mund saß steif auf dem Sofa. Konnte sie nicht ein bißchen helfen? Vielleicht aber fühlte auch sie ein Grauen in sich, das sie steif machte.
Gerda legte die Decke auf den ovalen Tisch und stellte die geblümten Tassen hin. „Geh vorsichtig damit um!“ rief Margrete.
„Wir müssen in der kommenden Periode unsere Tätigkeit nach konspirativen Methoden durchführen“, sagte Oscar und sprach wie eine Broschüre. „Wir müssen uns schnellstens auf die Illegalität umstellen. Wir müssen die Kader organisieren!“ Nicht alle verstanden richtig, was er meinte. Oscar sammelte schwierige Wörter, wie Martin Drucksachen sammelte.
Das Radio blieb während der Beratung eingeschaltet. Verschiedene Befehle, Anordnungen und Anweisungen wurden durchgegeben. Nach Sonnenuntergang sollte das ganze Land verdunkelt werden, man sollte alle Fenster mit schwarzem Papier verhängen. Außerdem war von sofort an der Verkauf und Ausschank von Bier, Wein und Spirituosen aller Art verboten. Auch die Proklamation der Regierung und die des Königs wurden wiederholt. „Unter diesen für unser Vaterland so ernsten Verhältnissen . . . “
Keiner hatte bisher einen Deutschen gesehen. Es wurde erzählt, sie seien in Korsør und auf Falster an Land gegangen. Sie seien über die Storestroms-Brücke gefahren, ohne daß jemand versucht habe, sie daran zu hindern; und die Brücke sei nicht gesprengt worden. Aber in Jütland werde gekämpft. Hieß es. Im Konsum wußte man, daß die Soldaten in Sønderborg bis zum letzten Mann kämpften; denn der Verkaufsstellenleiter hatte einen Sohn in der Kaserne in Sønderborg und war ganz außer sich. Sein Sohn gehöre nicht zu denen, die sich ergeben, niemals! Doch wer konnte wissen, was in Sønderborg geschah? Das alles waren nur Gerüchte.
Die Gerüchte gingen vom Konsum und vom Kaufmannsladen aus, wo die Leute schwarzes Verdunklungspapier kauften. Der Postbote brachte auch Gerüchte mit und trug sie von Haus zu Haus. Mit dem Autobus kam ein Gerücht aus Roskilde: Die Garnison dort habe sich geweigert zu kapitulieren; sie habe sich nach Helsingør durchgeschlagen, sich einer Fähre bemächtigt und sich dem schwedischen Heer angeschlossen. Der Busfahrer kannte selbst den Fuhrunternehmer in Roskilde, der morgens um sieben die Fahrzeuge für den Transport beschafft hatte. Schweden solle sich auch im Krieg befinden, da die Deutschen durch Schweden nach Norwegen marschieren wollten.
Aber man konnte ja den schwedischen Rundfunk hören, und da fiel kein Wort davon, daß dort Krieg sei. Man sprach dort nür von Kampfhandlungen in Norwegen. Die Deutschen hätten Oslo erobert, doch der norwegische König und die Regierung seien beim Heer, das sich nach Norden zurückzöge. Norwegen solle verteidigt werden. Die mächtige britische Flotte würde selbstverständlich zu Hilfe