Schloss Frydenholm. Hans Scherfig

Schloss Frydenholm - Hans Scherfig


Скачать книгу
Keine einzige Wolke war zu sehen. Von Niels Madsens Hof drang Eimerrasseln herüber und das Quietschen einer Pumpe. Irgendwo heulte ein Hund, hartnäckig und anhaltend. Und aus den Häusern hörte man die Lautsprecher.

      Adolf Hitler schrie in die Häuser hinein. So hatte man ihn in den letzten Jahren in kurzen Abständen schreien hören. Und jedesmal, wenn er im Radio geschrien hatte, bedeutete es Unglück. Diesmal galt es Polen, dessen Provokationen unerträglich geworden wären und zum Himmel schrien! Zuvor hatte es anderen Ländern gegolten.

      An dem milden Sommerabend hörte man den schreienden Mann. Aus jedem Haus am Wege hörte man ihn, wenn man durch das Dorf ging. Höschen-Marius hatte die Fenster weit geöffnet und das Radio ganz laut gestellt, damit seine Landsleute draußen seinen Führer hören konnten. Er selbst verstand zwar die Sprache des Führers nicht, doch er saß gehorsam mit offenem Mund vor dem Gerät, und wenn Beifall gebrüllt wurde, murmelte er anerkennend. Auch bei Niels Madsen lauschte man andächtig. Die Fürsorgejungen, die bei ihm ihr Brot verdienten, waren ins Zimmer gekommen und durften die stärkenden Worte hören. Sie saßen da und verstanden kein Wort, sie waren müde von der Arbeit des Tages und konnten sich nur mit Mühe wach halten. Der eine von ihnen, er hieß Harry, hatte eine gebrochene Nase; es hatte da einen Unfall gegeben im vorigen Jahr, als er während einer Züchtigung törichterweise den Kopf zur Seite gedreht hatte. Er war nicht schöner geworden dadurch, unheimlich sah er aus und abstoßend mit seiner schiefen Nase. Aber vielleicht würde man auch ihn einmal gebrauchen, wenn die Zeit der großen Taten kam.

      Das Land lauschte. Der Arzt, der Lehrer, der Pfarrer, der Graf, die Alten im Altersheim, die Bauern, die Ziegeleiarbeiter. Und Rasmus Larsen, Vorsitzender der Gewerkschaft und der Wählervereinigung, der politische Einsicht besaß und sich durch den in diesem Jahr unterzeichneten Vertrag gesichert fühlte, in dem sich das Königreich Dänemark und das Deutsche Reich verpflichtet hatten, auf keinen Fall gegeneinander Krieg zu führen oder irgendeine andere Art von Gewalt anzuwenden. Sie lauschten mit Wohlbehagen oder Ekel, je nach Neigung, die meisten mit Ekel. Einige fanden es lächerlich und gleichgültig, auf einigen lastete das Unbehagen wie ein Alp; vielleicht wäre es eine Erleichterung, wenn der Krieg wirklich käme.

      Nur die alte Emma weigerte sich zu lauschen. Sie hatte ihr Radio ausgeschaltet. „Ich will den widerlichen Hitler nicht in meinem Hause haben!“

      In der Villa des Doktors war das Radio auf eine erträgliche Lautstärke gedämpft. Dr. Damsø hatte den schreienden Führer schon längst als einen Kranken mit ausgeprägt paranoiden und manio-depressiven Zügen eingeschätzt. Die Karriere eines solchen Menschen konnte nicht von Dauer sein. Am besten wäre es, den Verrückten auf Rußland zu hetzen. „Sollen sich die beiden Länder doch im Krieg gegeneinander verbluten!“ sagte Dr. Damsø. „Wenn die beiden ausgestritten haben, wird sich England schon um den Nachlaß kümmern.“ Der Doktor hatte seine Pläne, und er nahm an, daß sie Englands und Frankreichs Beifall finden würden. Er unterbreitete seine Gedanken den wenigen Freunden, mit denen er zusammenkam. Es bekümmerte den liberalen Arzt, daß er in der dörflichen Abgeschiedenheit ebenbürtigen Umgang entbehren mußte. Er liebte geistreiche Gespräche. Er liebte es, auffallende und überraschende Ansichten zu äußern; aber die waren wohl kaum merkwürdiger und ungewöhnlicher als die Ansichten anderer Zeitungsleser.

      Er war geschieden und vorurteilsfrei. Er lebte, umsorgt von wechselnden Haushälterinnen, in seiner großen Villa, doch ihm fehlten Gespräche und Menschen mit Sinn für witzige Sätze. Mit dem Missionspfarrer und dem alten Lehrer verband ihn nichts. Es gab einen jüngeren Lehrer, mit dem er Schach spielte, und einige vernünftige Leute unter den Hofbesitzern, mit denen er verkehren konnte. Es gab auch ein paar radikale Kleinbauern, mit denen es sich lohnte, freimütig zu sprechen. Und es machte ihm Spaß, mit dem Kommunisten Martin Olsen zu diskutieren, wenn sie sich zufällig trafen, obwohl der ihn oft geärgert hatte, wenn er sich zur Unzeit in die Angelegenheiten anderer eingemischt hatte, wie damals bei der Sache mit dem Fürsorgejungen, dem die Nase gebrochen wurde. Der Doktor war sehr radikal und offenherzig – aber er würde sich doch nicht wegen einer Nase mit einem Nachbarn entzweien.

      „In Wirklichkeit sind Sie ja religiös“, sagte er zu Martin Olsen. „Sie sind gläubig! Sie sind gläubiger als die Missionsleute!“ Und wenn er sich zum Spaß mit Martin Olsen stritt, bekam er zuweilen Antworten, die er dann später benutzte, um seine Bekannten in Erstaunen zu versetzen.

      Wenn Johanne sonntagvormittags die „Arbeiterzeitung“ austrug, konnte sie immer damit rechnen, eine davon an Dr. Damsø zu verkaufen. „Du mußt nicht glauben, daß ich sie lese, Mädchen“, sagte er zu Johanne, die kein Mädchen mehr war, sondern eine Frau und mit Oscar Poulsen von der Molkerei verheiratet. „Ich kaufe sie nur deinetwegen. Das ist ja nicht lesbar, zum Teufel. Das ist so furchtbar talentlos!“

      „Aber was drin steht, ist wahr!“ antwortete Johanne dreist.

      „Das mag sein, meine Kleine. Doch es soll lieber erlogen, dafür aber ein wenig amüsant sein. Es ist ein Verbrechen, langweilig zu sein! Die Kommunisten in Deutschland haben ihr Schicksal verdient, denn sie waren langweilig!“

      Vielleicht las der Doktor trotzdem die Zeitung, die er nun mal gekauft hatte. Vielleicht fand er darin etwas, womit er seine Freunde aufziehen konnte. Und einige waren ganz bestimmt verärgert, daß er die kommunistische Zeitung im Hause hatte und sie offen mit allen anderen Blättern im Wartezimmer auslegte.

      Einmal hatte etwas über Pastor Nørregaard-Olsen in der Zeitung gestanden, und der Doktor hatte es ausgeschnitten, um die Missionsleute unter den Patienten in Verlegenheit zu bringen. Das war, als der Pfarrer einen seiner Vorträge im Rundfunk gehalten hatte. Denn was Pastor Nørregaard-Olsen in der Gemeinde an Boden verloren hatte, hatte er im Äther gewonnen. Mit Hilfe seines Freundes Harald Horn war er Rundfunkpfarrer geworden. Er formte seine Sonntagspredigt in einen volkstümlichen Vortrag um, machte sie ein wenig literarisch und politisch aktuell, ohne deshalb weltlich zu werden. Seine Verkündung erreichte nun Tausende Heime, während seine Kirchengemeinde kleiner und kleiner wurde. Es waren Freitagspredigten in unterhaltender Form, unbefangene Ermahnungen, das Leben im Jenseits jetzt schon vorzubereiten, statt Forderungen an das materielle Dasein zu stellen. Dr. Horn, der Mitglied des Rundfunkrates war, hatte ihm diese Tätigkeit vermittelt, und der Vorsitzende des Rundfunkrates, Kaspar Bobbel – selbst Theologe und ein kleiner Dichter –, war von Pastor Nørregaard-Olsens frischer, volkstümlicher Art begeistert.

      Der Literat Dr. Horn war ein häufiger Gast im Pfarrhaus – ein alter Freund, Schulkamerad von der Metropolitanschule, wo die angeborenen Talente unter gesunder Zucht geformt wurden. Er war Junggeselle, unabhängig, ohne Amt und feste Arbeitszeit, er konnte im Inland und Ausland reisen, wie es ihm paßte. Auf dem Pfarrhof Frydenholm war er stets gern gesehen. Er durfte ohne vorherige Anmeldung kommen, das Gästezimmer im Giebel war stets für ihn bereit. Die Kinder nannten ihn „Onkel“.

      Jetzt saßen die Herren im Gartenzimmer des Pfarrhauses und hörten Hitlers Geschrei aus dem Lautsprecher. „Sieg Heil! Sieg Heil! Sieg Heil!“ brüllten die Deutschen.

      „Das soll die Welt zur Kenntnis nehmen!“ schrie der deutsche Führer. „Sie mögen Pakte schließen, Erklärungen abgeben, soviel sie wollen. Ich vertraue nicht auf Papiere, sondern ich vertraue auf euch, meine Volksgenossen!“

      „Ich verneige mich vor seinem Idealismus“, sagte Pastor Nørregaard-Olsen. „Und ich bewundere seine Fähigkeiten, die Menschen zu begeistern. Aber – entschuldige, daß ich es so rundheraus sage – mich stößt seine Brutalität ab. Es ist doch beinahe etwas Vulgäres an seiner Art.“

      „Man muß ihn sehen, wenn er spricht“, entgegnete Harald Horn. „Ich habe ihn ja mehrere Male bei den großen Kundgebungen im Sportpalast gesehen, als ich in Berlin war. Man kann sich die Macht seiner Persönlichkeit überhaupt nicht vorstellen, wenn man ihn noch nicht erlebt hat. Das ist einfach hinreißend. Er wirkt keineswegs vulgär. Er ist ein Weltmann ganz großen Stils.“

      „Du brauchst nicht zu glauben, daß ich ihn unterschätze“, sagte der Pfarrer. „Ich bin tief davon ergriffen, den Hauch der Weltgeschichte hier in meiner Stube zu fühlen. Stell dir vor, man hätte Napoleon im Radio hören können, wenn er zu seinen Grenadieren sprach! Aber da ging doch noch etwas anderes von Napoleon aus. Man nimmt es


Скачать книгу