Schloss Frydenholm. Hans Scherfig
Er erstand sozusagen in der Stunde der Not. Ich verneige mich vor seinem Genie. Aber es ist gleichsam etwas Plebejisches an seiner Erscheinung, vielleicht liegt es an seinem Schnurrbart, vielleicht auch nur daran, daß er deutsch spricht.“
„Sieg Heil! Sieg Heil! Sieg Heil!“ lärmte das Radio.
„Dir geht es genauso wie deinem Kollegen, dem Dichterpfarrer drüben in Jütland“, sagte der Literat. „Auch er kann Mussolini nicht widerstehen.“
„Ich bin kein Dichter“, meinte der Pfarrer bescheiden. „Ich bin nur ein unbedeutender Schriftsteller. In unserer kleinen Kirchenzeitung.“
„Wenn die Vorsehung es so gewollt hat, daß dem deutschen Volk dieser Kampf nicht erspart werden kann, dann will ich dafür dankbar sein, daß sie mich mit der Führung eines historischen Ringens betraute, das für die nächsten fünfhundert oder tausend Jahre nicht nur unsere deutsche Geschichte, sondern die Geschichte Europas, ja der ganzen Welt entscheidend gestalten wird.“
Die Herren unterbrachen für eine Weile ihr Gespräch und hörten zu.
„Als ich mich vor dreiundzwanzig Jahren entschloß, in das politische Leben einzutreten, um die Nation aus ihrem Verfall wieder emporzuführen, war ich ein namenloser unbekannter Soldat. Der Weg der kleinen Bewegung von sieben Mann bis zur Übernahme der verantwortlichen Regierung am 30. Januar 1933 war ein so wundersamer, daß nur die Vorsehung selbst durch ihren Segen dies ermöglicht haben kann. Heute stehe ich an der Spitze des stärksten Heeres der Welt, der gewaltigsten Luftwaffe und einer stolzen Marine. Hinter mir und um mich als eine verschworene Gemeinschaft weiß ich die Partei, mit der ich groß geworden bin und die durch mich groß geworden ist.“
Hier unterbrach Harald Horn Adolf Hitler und sagte zum Pfarrer: „Ich bin kein Nationalsozialist, das weißt du. Aber ich frage dich: Wo wären wir heute, wenn wir nicht den Hitler in Europa hätten? Wir wären dem Kommunismus ausgeliefert! Wir wären Asien preisgegeben! Er hat nicht nur Deutschland gerettet, er hat uns alle gerettet!“
Der Pfarrer nickte. „Das stimmt schon. Wir sind ihm ohne Zweifel zu großem Dank verpflichtet.“
„Es ist so einfach, seine Methoden zu kritisieren“, sagte Harald Horn. „Unsere Kulturbolschewisten finden sicherlich eine ganze Menge, worüber sie jammern können. Aber ohne Hitler würde uns der Kommunismus zermalmen. Und dann könnte man Methoden erleben! Alter Schmutz erfordert nun mal einen harten Besen! Es geht um unsere Kultur! Es geht um unser Christentum!“
„Ja“, stimmte der Pfarrer zu. „Aber ist Hitler nicht Katholik?“
„Der Katholizismus ist doch auch Christentum.“ Dr. Horn lächelte.
„Wirklich?“ fragte Pastor Nørregaard-Olsen. „Ich weiß nicht, ob man das behaupten kann.“
Und aus dem Radio schrie es: „Der Herr der Welten hat so Großes in den letzten Jahren an uns getan, daß wir in Dankbarkeit uns vor einer Vorsehung verneigen, die uns gestattet hat, Angehörige eines so großen Volkes sein zu dürfen. Wir danken ihm, daß wir angesichts der früheren und kommenden Generationen des deutschen Volkes auch uns in Ehren eintragen können in das unvergängliche Buch der deutschen Geschichte!“
Das Gebrüll schwoll an: „Sieg Heil! Sieg Heil! Sieg Heil!“ Trommeln wurden geschlagen, Stiefel trampelten. Dann folgte das Horst-Wessel-Lied und „Deutschland, Deutschland über alles!“.
„Aber ich habe Angst vor dem Krieg“, sagte Pastor Norregaard-Olsen. „Hör nur, wie sie brüllen! Hör die Trommeln! Muß das nicht unausweichlich zum Kriege führen?“
„Nicht hier. Nicht in Europa“, antwortete Dr. Harald Horn. „Es wird gegen den Osten gehen. Gegen den Bolschewismus!“
„Gott der Allmächtige möge es fügen, daß es diesen Weg geht!“ sagte der Pfarrer und faltete die Hände.
7
Es gab sehr viel Obst in diesem Jahr. Die Äpfel waren groß und blank und dufteten. Die Gärten strotzten geradezu. Die Porrees der alten Emma waren trotz des Zerstörungswerkes des gräflichen Traktors dicker geworden als je zuvor. Die Kürbisse des Gärtners schwollen zu unwahrscheinlicher Größe an. Es gab von allem mehr, als man gebrauchen konnte.
Höschen-Marius’ Frau hatte so viel eingeweckt, daß sie einer Belagerung ohne Furcht entgegensehen konnte. „Mein Mann liebt Eingewecktes so sehr“, erklärte sie. „Für ihn gibt es nichts Schöneres als Zwetschgen. Aber auch Vogelbeergelee und Hagebuttenmarmelade sind etwas Herrliches. Und eingeweckte Birnen sind doch der beste Nachtisch, wenn einmal unerwartet Gäste kommen.“
Es kamen selten Gäste zu Höschen-Marius.
Der Sommer dauerte an. Weit in den September hinein hielt das Sommerwetter an. Auch die Abende und Nächte blieben mild. Es war herrlich, auf der Welt zu sein. Und da waren so viele, die in diesen Jahr sterben sollten. Viele junge Menschen, die noch nicht gelebt hatten. Und das Leben war so gut, und die Welt war so schön.
Nichts war überraschend gekommen. Was nun in der Welt geschah, hatten alle erwartet. Der Krieg war lange unterwegs gewesen. Doch nichts hatte sich geändert. Die Tage vergingen wie zuvor. Der Sommer dauerte an.
Schon Skjern-Svendsen hatte Pferde aufgekauft, der vorausschauende Skjern-Svendsen. Und während diese Pferde in den großen Koppeln weideten, stieg ihr Preis. Nun konnte der Graf den letzten Verdienst daran einstreichen. Schon seit langem hatte man die für diesen Zeitpunkt notwendigen Änderungen in der Bewirtschaftung des Herrenhofes vorbereitet. Stolz wie ein Feldherr ritt der Graf seine Runde, inspizierte er seinen Besitz. Er ritt durch seine Wälder, die einen völlig neuen Wert bekommen hatten. Er blickte hinaus auf die Moore, wo Torf gestochen werden konnte. Und seine Gefolgsleute grüßten ihn mit erhobenem rechtem Arm und Hackenzusammenschlagen.
Auch Nils Madsen besaß ein Stück Moor, das bisher völlig wertlos gewesen war. Dort wachsen nur gelbe Schwertlilien und Rohrkolben, und im Frühjahr quakten dort grüne Frösche mit weißen Bäuchen. Nun stellte das Torfmoor ein Vermögen dar. Und Niels hatte die Arbeitskraft gratis. Das war auch ein Vermögen. Es gab nichts, worüber er hätte betrübt sein können. Jetzt hatten auch die landwirtschaftlichen Produkte ihren Preis. Der Engländer bestimmte nicht mehr allein, wieviel der Bacon kosten sollte. Es gab andere, die bieten konnten und die sich nicht fürchteten, fetten Speck zu essen.
In seiner Sonntagspredigt schob Pastor Nørregaard-Olsen die Schuld am Kriege auf den Herrgott.
Der Krieg ist eine Maßregel Gottes, weil die Gemeinde seine Kirche im Stich gelassen hat. Steht nicht die Hälfte der Stühle leer? Spielt nicht die Jugend in diesem Augenblick am Dorfteich Fußball? Was der Mensch sät, soll er auch ernten. Und diese Ernte ist ein Wehgeschrei in der ganzen Welt. Es ist schwer, die Ernte der Gottlosigkeit nach Hause zu tragen. Die Not wird die Völker mit Skorpionen geißeln, doch im Tal der Demütigung wird sich der Blick zu Ihm wenden, dessen Namen die Gemeinde auf den Lippen hatte, während die Herzen weit von Ihm entfernt waren. Und der Pastor Nørregaard-Olsen erinnert an Johannes, den Mann Gottes, der auf der Insel Patmos saß und große und schreckliche Gesichte hatte. Nun sehet! Geht nicht all das jetzt in Erfüllung?
An diesem Sonntagvormittag wollte Dr. Damsø von Johanne keine „Arbeiterzeitung“ kaufen. „Bleiben Sie mir vom Halse mit Ihrer stinkigen Zeitung!“ rief er aus. „Ich mag sie nicht anrühren!“ Und er siezte sie, obwohl er sie seit ihrer Geburt kannte, ja, ihr in die Welt geholfen, sie später geimpft und ihr die Polypen herausgenommen hatte und was sonst noch so dazugehörte. „Gehen Sie, sage ich! Glauben Sie, daß ich Nazizeitungen kaufe? Glauben Sie, daß ich Fritz Clausen unterstützen will?“
„Ich – verstehe – nicht . . .“, stammelte Johanne.
„Verkaufen Sie Ihre Zeitungen doch an Ihre Freunde!“ schrie der Doktor. „Warum halten Sie sich nicht an Niels Madsen? Oder an Höschen-Marius, mit denen Sie ein Bündnis und einen Nichtangriffspakt geschlossen haben?“
Johanne war kein Dialektiker. Sie fand keine Antwort. Sie war es auch gar nicht gewohnt, jemandem zu widersprechen. Oscar hätte bestimmt darauf antworten