WIR. Heimat - Land - Jugendkultur. Группа авторов
von Detlev Lindau-Bank und Margit Stein sowie Patrick Küpper und Tobias Mettenberger in diesem Band dezidiert auf –, dass es „das Land“ oder „die“ ländliche Region so nicht gibt. Ländliche Räume sind im Plural zu denken. Es handelt sich um ganz verschiedene Soziotope, je nach Lage und Ausstattung. Das meint: Je nach Nähe oder Ferne zu urbanen Zentren, je nach soziodemografischer Zusammensetzung und sozio-ökonomischen Basisdaten handelt es sich um ganz verschiedene „Länder“. Dies gilt selbstredend auch für städtische Strukturen – Stadt ist nicht gleich Stadt, und in Metropolen lassen sich für die einzelnen Bezirke Differenzierungen vornehmen bis hin – wie in Berlin – auf der Ebene der „Kieze“.
Wer also über Jugendliche auf dem Land spricht, hat Diversifikationen ernst zu nehmen, denn ebenso, wie es „das“ Land oder „die“ Stadt nicht gibt, haben wir uns schon viel länger von der Rede über „die“ Jugend verabschiedet. Jugend wird spätestens seit den frühen 1980er-Jahren eingedenk des sog. Individualisierungstheorems von Ulrich Beck (1983, 1986) als eine sehr ausdifferenzierte Lebenslage „jenseits von Stand und Klasse“ aufgefasst und mit den Stichworten der Pluralisierung und Diversifikation versehen (Ferchhoff 2011, Krüger 2010, Mey 2011) – auch wenn sich zuweilen hinterrücks wieder „Stereotypien“ in der Geschichtsschreibung finden, spätestens dann, wenn „Generationsgestalten“ ausgemacht werden, die für eine doch mehr oder weniger homogene Gruppe stehen. Damit sind jene markanten Generationen gemeint wie „die 68er“ bis hin, dass in den seit 2002 unter der Leitung von Klaus Hurrelmann durchgeführten Shell-Jugendstudien am Ende die (ganze) Generation als „pragmatisch“ charakterisiert wird (Shell 2019).2
Solche generationalen Kategorisierungen sind aber gar nicht prinzipiell auszuschließen. Sie können – analytisch gesehen – auch sinnvolle Raster sein, um Trendaussagen zu schärfen oder historische Wandlungen anzuzeigen. Es sollte dann eben nur explizit gemacht werden, dass mit solchen Kontrastierungen einer Generation X vs. Generation Y etc. – ebenso wie mit „Jugend vs. Erwachsene“, „Stadt vs. Land“, wie aber auch „Ost vs. West“ oder „Frau vs. Mann“ – zuweilen mit dem Singularkollektiv im Versus mehr verdeckt als aufgedeckt wird. Denn bei solchem Vorgehen werden Unterschiede zwischen den Gruppen von den Differenzen innerhalb der Gruppen überstrahlt. Mehr noch: Es können sogar Gemeinsamkeiten zwischen diesen Gruppen unentdeckt bleiben, da sie hinter den „groben“ Rastern (Stadt, Jugend, Frau bzw. Land, Alte, Mann) verschwinden.
Wenn nun „die“ Jugend auf „dem“ Land betrachtet wird – und auch wenn dies wie im vorliegenden Band im Plural als die Jugendlichen in den ländlichen Regionen geschieht –, lässt sich allerdings durchaus sagen, dass dieses Forschungsfeld ein weitgehend peripheres Thema ist, selbst eingedenk einiger Konjunkturen, die es zu verzeichnen gilt.
Einsichten aus der Peripherie
2015 wurde eine Tagung an der Hochschule Magdeburg-Stendal ausgerichtet und unter den Titel „(Über)Leben in der Provinz. Sozial- und kulturwissenschaftliche Betrachtungen der Peripherie von Jugendkultur(forschung)“ gestellt. Diese Tagung3 – gemeinsam ausgerichtet u. a. mit der Respekt!-Stiftung, die auch die in diesem Band dokumentierte Studie „WIR. Heimat – Land – Jugendkultur“ (Ollendorf/Borkowski/Mey) mitinitiiert hat, – hatte zum Ziel, Schlaglichter auf das weitgehend vergessene oder eben in der Jugendforschung peripher verhandelte Thema zu werfen (vgl. Leser/Mey 2017). Diagnostiziert wurde, was auch ein paar Jahre später noch gültig ist: Jugend, vor allem Jugendkulturen (die wie Land und Jugend im Plural zu denken sind, vgl. Farin 2011, Hitzler/Niederbacher 2010; zusammenfassend Böder u. a. 2019, Mey/Pfaff 2015) werden überwiegend als urbanes Phänomen verhandelt. Dies zeigt sich sehr deutlich daran, dass jugendkulturelle Ausdrucksweisen und Praxen spätestens seit den beginnenden 1980er-Jahren weitgehend als „städtische Revolten“ beschrieben wurden: „Züri brennt“, die Hausbesetzungen in Berlin, der „Kampf“ gegen die Startbahn-West in Frankfurt oder die „Hafenstraße“ in Hamburg. Solche Bewegungen haben die „Landkommunen“ aus den 1970er-Jahren überstrahlt, die als „Aussteiger“-Milieus ebenso als markanter Gegentrend zu beschreiben wären wie die Wandervögel – gegründet in Berlin Steglitz –, die gerne als erste Jugendbewegung angeführt werden und als Gegenkultur zur Verstädterung und Industrialisierung zu lesen sind (Bucher/Pohl 1986).
Das überbordende Narrativ der großstädtischen Jugend überschreibt dabei nicht nur diese bedeutsamen „Gegenerzählungen“, sondern missachtet auch, dass das größte Metal-Spektakel „Wacken“ auf den Stoppelfeldern in einem Dorf in Schleswig-Holstein abgehalten wird und die Relevanz des Provinziellen deutlich macht. Auch im Falle des deutschen Hip-Hop ist evident, dass der v. a. durch mediale Dominanz auffällige Gangsta-Rap zwar als Stimme aus den Metropolen-Betonsilos (etwa der „Block“ im Märkischen Viertel, vgl. Dietrich/Seeliger 2012) gelten kann, die Kultur aber insgesamt lange zuvor im eher kleinstädtischen Süden Deutschlands (so Heidelberg) in Erscheinung trat. Anzumerken ist aber, dass, wenn auch „Provinzen“ – also ländliche Regionen, Kleinstädte oder gar Dörfer als Orte der Jugendkultur – kaum Aufmerksamkeit innerhalb der sozialwissenschaftlichen Forschung erhalten haben, andere Formate durchaus den Blick öffnen: seien es Dokumentarfilme (wie ostPunk von Boehlke/Fiebeler 2006, Wacken 3D von Heitker 2014 oder Fernab. Subkultur in der Provinz von Petzoldt 2014) sowie Themenausstellungen wie Break through to the other side im Schlossmuseum Jever (Schmerenbeck 2007), The Beat goes on im Museum Industriekultur Osnabrück (Keller/Wolf 2013) oder Jugendkultur in Stendal: 1950–1990 im Altmärkischen Museum (Mey 2018a).4
Einschätzungen von (Un-)Zufriedenheiten von Jugendlichen in ländlichen Lebenswelten
Wenn über die Lebenssituationen von Jugendlichen in ländlichen Regionen gesprochen wird, wird schnell ersichtlich, dass es insbesondere immer um die Frage nach den Angeboten geht, die ihnen für ihre Freizeitaktivitäten zur Verfügung stehen, und damit um die Fragen danach, welche Aktionsräume sie haben, ihnen eröffnet werden oder sie sich aneignen und selbst schaffen können. Verglichen mit den Infrastrukturen einer Großstadt fällt zuweilen das Resultat vorentschieden als „defizitär“ aus. Es gibt von allem weniger. Ob aber dieses quantitative Maß entscheidend ist für eine qualitative Aussage – eben die Frage nach Nutzung überhaupt und nach Zufriedenheit mit den Ressourcen –, steht auf einem anderen Blatt.
Wenn es in den Großstädten eine Vielfalt an szenespezifischen Orten gibt, geht es in den ländlichen Regionen oftmals um einen Raum, der szenenspezifisch aufgeteilt ist. Daher setzt die Metropole die Kenntnis von Lokalitäten voraus, in Dörfern und Kleinstädten ist das Wissen um spezielle Treffzeiten wichtig (Mey 2013). Durchzieht Städte ein Netz von U-/S-Bahn oder Tram, um von hier nach dort zu kommen, sind Jugendliche in der ländlichen Region auf Regionalbahn und Busse angewiesen, um an die für sie interessanten – z. T. weit entlegenen – Orte zu gelangen, die es dort, wo sie leben, nicht gibt. Die Bushaltestelle ist auch deshalb oft das Sinnbild für „Jugend auf dem Land“. Und das Auto scheint weniger Statussymbol denn Mobilitätsgarant.
Bieten Städte angesichts der Stilvielfalt die Option auf Verweilen in homogenen Gruppen, leben die ländlichen Regionen zwangsweise von einer Art der friedlichen Koexistenz verschiedener Stile und sind von generations-übergreifenden Momenten geprägt. Bedient Stadt das Bild von Anonymität und reduzierter Sozialkontrolle, gilt für das Dorf, dass jede*r jede*n kennt. Die Lebenswirklichkeit von Städten und ländlichen Regionen schaffen also andere Voraussetzungen je nach der konkreten Lage und den Gelegenheitsstrukturen – also der Verfügbarkeit und Erreichbarkeit von Angeboten und der Machbarkeit und Durchsetzbarkeit jugendlicher Alltagspraxen. Trotz alledem zeigt sich in Surveys (so auch in diesem Band die Beiträge von Küpper/Mettenberger oder die WIR-Studie), dass die Jugendlichen in den ländlichen Regionen weit weniger unzufrieden sind, als dies aufgrund der „(Vor-) Urteile“ mit Blick auf Angebotsmangel, Enge, Langeweile vermutet wird.
Wer ist eigentlich unzufrieden und aus welcher Perspektive?
Gemeinhin wird gerne angeführt, dass es sich bei den hohen Zufriedenheiten auch um ein methodisches Artefakt handeln könnte, eben der quantitativen Forschung, die aufgrund