Steff. Bernt Danielsson

Steff - Bernt Danielsson


Скачать книгу

      

      Bernt Danielsson

      Steff

      Aus dem Schwedischen

      von Regine Elsässer

      Saga

      1

      Kabadasch!

      Normalerweise wurde er unter schnorchelndem Protest gezwungen, sich aus dem Schlaf zu graben. Das fühlte sich dann so an, als ob er sich in einem dunklen, engen Tunnel befände und jemand ihm mit einem Schwert hinterhergekrochen käme und drohte, ihm den Hintern in Stücke zu schneiden, wenn er nicht weitergraben würde. Das machte er dann – er grub immer weiter, geriet immer mehr in Panik und konnte nicht begreifen, warum er nur mit einem so lächerlichen Plastikspaten ausgerüstet war.

      Nach 150 schweißtreibenden Kilometern gab die Erdwand endlich nach, und da plumpste er mit einem Platsch in ein dunkles stinkendes Gewässer, schluckte viel zu viel Wasser und schwamm verzweifelt zur Oberfläche, während der Sauerstoff im Gehirn zur Neige ging.

      Wenn der Kopf dann durch die Wasseroberfläche stieß, prustete er und schnappte nach Luft, bis er schließlich widerwillig einsehen mußte, daß es wieder einmal Morgen und er leider aufgewacht war.

      So war es also normalerweise.

      Aber jetzt machte es nur Kabadasch!, und er lag auf dem Rücken und war sehr wach. Er konnte sich nicht erinnern, schon jemals so schrecklich wach gewesen zu sein. Die Augen starrten geradewegs nach oben zu dem, was einmal eine weiße Decke gewesen war und inzwischen eine schmutzigcremiggraustaubige Farbe angenommen hatte. Aber er sah die Decke deutlich, und das mußte heißen, daß es nicht mehr Nacht war.

      Warum war er aufgewacht?

      ‚Ich muß etwas gehört haben.‘

      Was denn?

      ‚Keine Ahnung, aber ich glaube nicht, daß es etwas Angenehmes war. Es kann mein Fahrrad gewesen sein, also muß es etwas Unangenehmes sein.‘

      Er lag still und lauschte mit angespannten Nerven und Muskeln. Er hörte nichts, auf jeden Fall nichts Ungewöhnliches: Der Wecker auf dem Schreibtisch tickte müde, sein Herz schlug heftig, das Bett quietschte und knarrte (was darauf schließen ließ, daß gewisse Körperteile sich trotz Befehl nicht still verhielten), der Kühlschrank in der Küche brummte wie immer, die Kühltruhe räusperte sich und stimmte mit ein, der Morgenverkehr brauste abgelegen auf der Tranebergsbron (er hörte den Verkehr eigentlich nicht, aber er war überzeugt davon, daß man es merken würde, wenn es ihn nicht gäbe), ein Flugzeug brummte in ungewöhnlich niedriger Höhe über das Haus (und in seiner Erinnerung lief im Schnellvorlauf das Video von der langen Flugreise Tokio hin und zurück; vierundzwanzig Stunden in einer Blechkiste, die in 35000 Fuß Höhe über Sibirien hinweggeschaukelt war; schrecklich), im Badezimmer gluckste der Umschalter für die Dusche, der Kaltwasserhahn am Waschbecken tropfte fröhlich vor sich hin, und der kaputte Schwimmer in der Klospülung lärmte ständig, jemand stand vor der Haustür und rüttelte an der Klinke, die Vögel zwitscherten frühlingshaft, obwohl es Anfang November war, die Blätter, die in einer Frostnacht vor einer Woche steifgefroren waren, klirrten im leisen Wind und –

      ‚Steht jemand vor der Tür und rüttelt an der Klinke?!‘

      Er setzte sich auf und blinzelte zum Wecker – halb neun.

      ‚Da kann es auf jeden Fall weder der Briefträger noch ein unangenehmer Behördenbürokrat sein‘, dachte er einigermaßen erleichtert. ‚Um die Zeit sitzen die beim Kaffee und reden dummes Zeug auf Kosten des Steuerzahlers.‘

      Als dann heftig an die Haustür im Erdgeschoß gedonnert wurde, war er, gelinde gesagt, ein wenig beunruhigt, denn nach den Faustschlägen zu urteilen, mußten sie von einem bodygebuildeten, zwei Meter großen, schrankähnlichen Muskelpaket stammen.

      ‚Bestimmt so ein Verrückter, von denen es in amerikanischen Gefängnissen nur so wimmelt. Auf jeden Fall im Fernsehen. Oft sind es auch noch Schwarze, und dann haben sie meistens so eklige Tätowierungen auf ihren anabolika-mißgebildeten Oberarmen.‘

      Er schauderte vor Unbehagen und zog zitternd die Unterhose an. Mit nervösen, fahrigen Bewegungen durchwühlte er einen halben Meter hohen Berg mit Kleidern auf einem Stuhl am Fenster und fand schließlich zuunterst eine schwarze, zerknitterte Baumwollhose. Während er sie anzog, hörte er, daß es vor dem Schlafzimmerfenster raschelte, schlurfte und prasselte. Es klang, als ob jemand direkt durch den verwachsenen Jasminbusch trampeln würde. Seit zehn Jahren schaute er ihn jeden Herbst an und dachte, daß man ihn vielleicht ein bißchen zurückschneiden könnte.

      Dann klang es, als ob der Vandale mit schweren Militärstiefeln Größe 46 geradewegs in das Beet steigen und seinen mühsam gezogenen Thymianstrauch kurz und klein treten würde.

      Er lief zum Fenster und zog vorsichtig die Gardine zur Seite, um in den Garten schauen und den psychopathischen Mörder einschätzen zu können – um dann zu entscheiden, was er machen sollte, entweder wütend werden und fluchen oder aus dem Küchenfenster springen.

      Er sah aber nur dichten, milchigen Nebel, der wie eine große, wuschelig weiße Katze über dem Garten lag.

      Er wollte gerade mit einem Ruck den Hosenstall zumachen, als der Hooligan wütend gegen das Fenster schlug.

      ‚Das gesunkene Ausbildungsniveau in diesem Lande kann einem allmählich Angst machen, es wird geradezu lebensgefährlich, wie soll das bloß enden, wenn die Leute nicht mal mehr Warnschilder lesen können?‘ Er holte tief Luft, machte den Hosenknopf zu, atmete aus und konnte förmlich hören, wie der schwarze Faden unter der Belastung stöhnte.

      ‚Vielleicht brauche ich ein größeres Schild? Mit deutlicheren Buchstaben? Ein einfach zu lesendes Schild. Mit klaren, kurzen Sätzen, das sogar ein halbblinder Schimpanse mit minimaler Begabung begreifen würde.

      Aber vielleicht sieht man es nicht, wenn es so nebelig ist? Ich hätte mir so ein selbstleuchtendes Teil leisten sollen.‘

      Er fand das T-Shirt ganz oben auf dem Bücherregal, es hatte sich über alle Bücherrücken zwischen den Buchstaben B und D drapiert. Er sprang hoch, erwischte es an einem Ärmel und zog es runter.

      Eine neuerliche Faustattacke ließ die Scheiben unten im Wohnzimmer klirren.

      Nachdem er eine Weile überlegt hatte, ob er seine neuen Timberland-Tractor-Schuhe anziehen sollte, um fixoflotto abhauen zu können (er bewahrte seine Schuhe immer im Schlafzimmerschrank im ersten Stock auf, um im Katastrophenfall schnell ausrücken zu können), entschied er sich doch für die Chinapantoffeln, die er in Japan gekauft hatte.

      Er stürmte schweren Schrittes aus dem Schlafzimmer, hoffend, daß es ordentlich polterte und so den Eindruck erweckte, daß der Verursacher groß, um nicht zu sagen gigantisch war und außerdem undefinierbare Tätowierungen auf seinem muskulösen Bizeps hatte.

      „Ja, ja, immer mit der Ruhe, verdammt!“ brüllte er und wollte eigentlich eine erschreckend tiefe Stimme hervorbringen, sie sollte durch den Flur dröhnen, schicksalsschwanger die Treppe hinabkollern und wie ein Donnerschlag in den Ohren des Eindringlings detonieren.

      Es gelang leider nicht, was daher kam, daß seine Stimme noch nicht aufgewacht war – sie hatte normalerweise das beneidenswerte Privileg, noch eine Stunde länger schlafen zu dürfen, wenn alle anderen schon hatten aufstehen müssen.

      Als sie jetzt überrumpelt wurde und plötzlich den Befehl bekam, unter Hochdruck zu arbeiten, war das Ergebnis eher ein krächzendpiepsiges Jaulen. Er fluchte in Gedanken vor sich hin, räusperte sich und versuchte es noch einmal.

      „Wart einen Moment! Ich lege bloß noch die Hunde an die Kette und schalte den elektromagnetischen Stolperdraht aus!“ brüllte er und trampelte die Treppe runter.

      Die Stimme klang zweifellos ein bißchen besser, aber er fragte sich doch, ob er nicht ein wenig übertrieben hatte, auf jeden Fall hörte das Klopfen auf. Er stürmte ins Wohnzimmer, starrte durch das Fenster und glaubte zu sehen, wie eine undeutliche Gestalt von den Gazebinden des Nebels verschluckt wurde.

      ‚Gazebinden des Nebels? War es nicht eben noch eine wuschelige Katze gewesen?


Скачать книгу