Steff. Bernt Danielsson

Steff - Bernt Danielsson


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war gar nicht so leicht.

      Er grunzte und fluchte, schwieg dann jedoch plötzlich, als er ihre rotschwarzschimmernden Haare ins Gesicht bekam, ein großer Teil blieb ihm an den Lippen kleben, und als er Luft holte, wurden sie in seinen halboffenen Mund gezogen, was ihn zum Spucken und Schnauben brachte (und jetzt klang er wirklich wie ein Elch).

      Die Haare waren rot und schwarz, eigentlich vor allem schwarz, aber wenn das Licht auf eine ganz bestimmte Art drauffiel (und das tat es nun gerade), schimmerten sie in dunkelroten Schattierungen.

      ‚Das schmeckt ausgesprochen komisch. Schmeckt überhaupt nicht so gut, wie es riecht. Es schmeckt sogar ein bißchen so, wie heißer Essig riecht – metallisch und so scharf, daß einem fast die Luft wegbleibt und man meint, Asthma zu kriegen. Nicht, daß ich schon mal Asthma gehabt hätte, aber so stelle ich es mir auf jeden Fall vor –‘

      Ja, ja. On with the show:

      Theodor Bach lag auf dem Boden und hatte ein Teenie auf sich liegen. Und sein Hosenstall war immer noch offen.

      ‚Du meine Güte, stell dir vor, wenn so eine griesgrämige, moralinsaure Lehrerin vom Gymnasium drüben in Bromma uns so sehen würde?! Was das für Folgen hätte!‘

      Er holte angsterfüllt Luft, schob den reglosen Körper beiseite. Dabei paßte er besonders gut auf, daß es ja nicht so aussah, als würde er sie begrapschen. Er stöhnte und stand auf. Als erstes versuchte er, den Hosenstall zuzumachen, aber der Reißverschluß hatte sich verklemmt. Als er versuchte, das winzige Ziehdingens loszukriegen, fiel sein Blick auf seine großen Zehen, die durch die Löcher in den Chinapantoffeln guckten.

      ‚Ich sollte mir öfter die Nägel schneiden‘, dachte er kummervoll. ‚Dann würden nämlich die Pantoffeln ein bißchen länger halten. Aber das gehört zu den Sachen, die man irgendwie vergißt. Geht es anderen Leuten auch so?‘

      Er gab den Versuch, seinen Hosenstall zuzumachen, auf, ebenso die Überlegungen betreffs des Fußnägelschneidens. Er schaute zur Tür hinaus. Er konnte nicht mal die unterste Treppenstufe sehen. Es muß der schlimmste Nebel seit Lützen sein. Auch wenn die Lehrerinnenziege auf dem Dach der Schule gestanden hätte und mit einem Infrarot-Laser-Fernglas ausgerüstet gewesen wäre, hätte sie nicht in seinen Eingang schauen können.

      ‚Da war es also ganz unnötig – ich meine, da hätte ich doch ... Verflucht noch mal ...‘

      Er machte die Tür zu und schaute auf ...

      ‚Das Mädchen? Den Teenie? Die junge Dame? Was sagt man denn? Es ist einfacher, wenn man weiß, wie jemand heißt. Alles wird dann viel einfacher.‘

      Er ging mit einem Seufzer in die Hocke. Sie lag unbeweglich da und atmete ruhig und gleichmäßig. Es sah richtig gemütlich aus. Als ob sie schlafen würde.

      ‚Wenn man doch bloß den Mut hätte. Was kann sie bloß von mir wollen?‘ Er schaute sie eine ganze Weile an. ‚Sie sieht richtig gut aus. A real beauty, in fact. Sie ist bestimmt der Meinung, daß die fein modellierte und entschiedene Nase viel zu groß ist, aber ich würde Gott weiß was für so eine Nase geben; na, das wäre in ihren Augen bestimmt kein Kompliment.‘

      Er beugte sich vor und studierte ihr Gesicht aus verschiedenen Blickwinkeln. ‚Hmm.‘ Er nickte zufrieden. ‚Auch nicht zu viel Make-up-Geschmiere. Genau richtig.‘ Immer noch in der Hocke, rutschte er wie ein Frosch um sie herum. ‚Und schau mal, was für tolle Schuhe. Oder Boots, so heißen die vielleicht. Sie haben Riemen um die Fesseln mit ganz kleinen Metallschnallen. Sieht sehr kompliziert aus. Kein Schuhe von der Sorte, in die man hineinsteigt, wenn man im Katastrophenfall schnell ausrücken muß. Ich glaube, solche Stiefel heißen Jodphurs. Keine Ahnung, warum. Komisches Wort. Ich muß es mal im Wörterbuch nachschlagen.‘ Er hob den einen Fuß und schaute auf die Sohle. ‚Fünfunddreißig! Ja verdammt. Sie hat sie noch nicht oft getragen, das steht fest. Sie sehen total neu aus und waren bestimmt scheißteuer.‘

      Er lehnte sich ein wenig zurück und schaute sie blinzelnd an, mit der linken Hand formte er vor dem linken Auge eine Kameralinse (so wie es Regisseure manchmal im Fernsehen machen) und zoomte langsam ihr Gesicht heran. ‚Und die drei kleinen Pickel auf dem Kinn erkennt man nur bei einer Nahaufnahme, aber man sieht, daß sie versucht hat, sie auszudrücken. So ein Dummerchen, sie sollte doch wissen, daß sie davon nur schlimmer werden. Mhmm, wirklich ein richtig delikater kleiner Braten.‘

      Was?

      ‚Ja, ja – ein richtig süßes Geschöpf, von mir aus.‘

      Er bemerkte neben ihr auf dem Boden eine schwarze Ledertasche und versuchte, sie hochzuheben, aber zu seiner Überraschung hing sie fest.

      ‚Wieso sitzt die denn fest?‘

      Wahrscheinlich weil es eine Schultertasche ist.

      „Das erklärt überhaupt noch nicht, daß sie festsitzt!“ knurrte er ärgerlich und zog daran.

      Der Schulterriemen liegt vielleicht immer noch über ihrer Schulter, und dann ist es ja kein Wunder, wenn sie so mit dem Arm daliegt.

      ‚Ähm ... naja, schon wahr. Genau. So wird es sein.‘ Mit überraschender Vorsicht hob er ihren rechten Arm. ‚Was für Handgelenke. Hast du das gesehen? So schmal! Guck mal, mein Zeigefinger reicht ja fast bis zur Daumenwurzel, wenn ich sie so halte. Daß die nicht abbrechen?‘

      Er löste die dünnen Lederriemen von der Schulter, nahm die Tasche und setzte sich mit einem Ruck auf den Boden, ein Stück von ihr entfernt. Er versicherte sich mit einem raschen Blick in ihr Gesicht, daß sie immer noch ohnmächtig war, zog eine Grimasse, die deutlich ausdrückte, daß er die Luft anhielt in der Hoffnung, daß es nicht allzu viel Lärm machen würde, wenn er den Reißverschluß aufzog.

      Es war eine ausgesprochen vorhersehbare Tasche. Es war in der Tat ein Klischee.

      ‚Ein Klischee?‘

      Ja, wenn man sie aufgemacht hat, ist sie genau wie ein Klischee, das; -s, -s <franz.> 1. Druck-, Bildstock. 2. Abklatsch, abgegriffene Redensart.

      ‚Ja, sie ist ziemlich abgetragen. Sie muß sich mal eine neue kaufen. Die fällt schon fast auseinander, guck mal, das Leder ist an der Seite richtig abgeblättert, und die Nähte am Griff gehen auf.‘

      Innen herrschte das totale Chaos: zerfledderte Schulbücher, zusammengeknüllte Papiertaschentücher, alte Kinokarten, Lippenstifte, ein sehr schmutziger Schreibblock DIN A5, kleine runde, flache Plastikdöschen, die sicher etwas mit Make-up zu tun hatten, abgebrochene Haarnadeln, viel durchsichtiges Zellophan, das von Zigarettenpäckchen zu stammen schien, ein paar Kaugummipäckchen mit jeweils einem oder zwei Kaugummis drin, ein Schlüsselbund, einige billige Tintenkulis, in denen schon seit Jahren keine Tinte mehr war, fünf weiße, fingerdicke, daumenlange, zylindrisch geformte Dinger, in Plastik eingepackt und mit einem knallroten Band in der Mitte (er verstand überhaupt nicht, was es war, tippte auf eine Süßigkeit, vielleicht auch Kaugummi, und nahm eins davon neugierig in die Hand, legte es dann aber sehr schnell mit einem merkwürdigen Gesichtsausdruck zurück), ein abgebrochenes Lineal, zwei Fläschchen Nagellack usw. usw.

      Mit anderen Worten, es sah genau so aus, wie es immer in Mädchentaschen aussieht, wenn sie in Büchern, Filmen oder Comics vorkommen – die Tasche war also ein Klischee.

      Mitten in dem Chaos bemerkte Theodor ein pfeilförmiges, kleines metallenes Etwas, das ihn so erstaunte, daß er es herausnahm und genau betrachtete. Er hatte so etwas noch nie gesehen, obwohl es ihn an etwas erinnerte. Es bestand aus zwei etwa fünf Zentimeter langen, sich verjüngenden Metallstangen, die an einem Ende miteinander verbunden und sanft gegeneinander gebogen waren, so daß sie sich am anderen Ende wieder berührten.

      Auf dem einen war noch ein schmaleres, kleineres Metallding. Er machte es los und stellte fest, daß man es drehen konnte und daß dann die gebogene Seite in die andere Richtung zeigte (also nach oben) (oder nach unten), und da wußte er plötzlich, was es war – ein Nagelschneider, aber wirklich der kleinste Nagelschneider, den er je gesehen hatte.

      ‚Kann man vielleicht mal gebrauchen‘,


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