Incels. Veronika Kracher

Incels - Veronika Kracher


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wieso sein eliminatorischer Frauenhass eine legitime Wiedergutmachung der Kränkung sei, noch nie einen weggesteckt zu haben. Größere Bekanntheit erlangten Incels nach einem Attentat in Toronto: Am 23. April 2018 raste der 25 Jahre alte Alek Minassian mit einem Sprinter in eine Menschenmenge in einem belebten Geschäftsviertel. Er ermordete zehn Menschen, 16 weitere wurden verletzt. Auf Facebook ließ er verlauten: »Private (Recruit) Minassian Infantry 00010, wishing to speak to Sgt 4chan please. C23249161. The Incel Rebellion has already begun! We will overthrow all the Chads and Stacys! All hail the Supreme Gentleman Elliot Rodger!«5

      Wenn man sich die Debatte über Incels anschaut, werden diese oft als psychisch krank, Freaks, Außenseiter, das Andere oder als ein Kult gelabelt – als etwas, mit dem der ganz normale Mann überhaupt nichts zu tun hat. Dies ist jedoch ein gewaltiger Fehlschluss – böse Zungen könnten gar behaupten, dass die Auseinandersetzung mit dem Incel als frauenhassendem Gewalttäter eine unbewusste Abwehr der Tatsache ist, dass der durchschnittliche Mann und der Incel ideologisch gar nicht so weit voneinander entfernt sind.

      Die Gesellschaft, in der wir leben, ist auf der systematischen Unterdrückung von Frauen aufgebaut, und nicht nur Incels reagieren mit Gewalt auf die narzisstische Kränkung, von einer Frau abgelehnt zu werden. Männer weigern sich, Frauen als eigenständige Subjekte anzuerkennen, und bestrafen sie, wenn sie auf ihr Recht auf einen Subjektstatus pochen. Männer objektivieren Frauen, belästigen Frauen, stalken Frauen. Sie verprügeln Frauen, kaufen sich die Körper von Frauen und verfassen anschließend vor Frauenhass triefende »Bewertungen« in Freierforen. Sie vergewaltigen und sie ermorden Frauen. Laut einem Bericht des Bundeskriminalamtes wurden 2018 114.393 Frauen in Deutschland Opfer häuslicher Gewalt6, 122 Frauen wurden von ihrem Partner oder Ex-Partner ermordet.7 Männer unterdrücken Frauen sowohl auf gesellschaftlicher als auch individueller Ebene, in einem patriarchalen System, das die Herrschaft aller Männer über alle Frauen, wie auch generell über Menschen, die außerhalb binärer Geschlechterkategorien fallen, garantiert. Und selbst wenn man zu den selbsternannten feministischen Helden zählt, die eine Frau niemals aktiv vergewaltigen würden, profitiert man von einer Gesellschaft, in der Frauen permanent durch patriarchale Gewalt in die Schranken gewiesen werden. Denn Frauen wird von klein auf eingebläut, dass es einfacher ist, sich den patriarchalen Vorstellungen von Frausein zu unterwerfen, als gegen diese Strukturen aufzubegehren. Der Kampf gegen das Patriarchat ist ein schwerer und wird gegen die heftigen Widerstände von Männern und deren Steigbügelhalter*innen geführt. Jede Feministin, jeder Mensch, der von den hegemonialen Vorstellungen des Geschlechterverhältnisses abweicht, kann ein Lied davon singen.

      Es ist also mitnichten so, dass Frauenhass ein Spezifikum von Incels ist. Er ist, tragischerweise, konstitutiv für unsere Gesellschaft. Das Phänomen »Incels« entsteht nicht in luftleerem Raum, sondern ist Resultat eines Systems, in dem patriarchales Anspruchsdenken, Misogynie und Gewalt gegen Frauen an der Tagesordnung sind.

      Dieses Buch hat es sich zur Aufgabe gemacht, einen Einblick in die Incel-Subkultur zu liefern. Im ersten Teil werde ich einen Abriss über die Entstehungsgeschichte der Incels von einer Selbsthilfegruppe hin zu einem toxischen Kult liefern und über die Mitglieder der Szene sprechen – über die Anzahl, ihre Herkunft, ihr Alter und ihre Organisation auf unterschiedlichen Foren.

      Im darauffolgenden Kapitel werde ich eine tiefenhermeneutische Analyse der Incel-Ideologie anhand Elliot Rodgers Manifest My Twisted World leisten, das innerhalb der Incel-Community inzwischen Kultstatus erlangt hat. Anschließend wende ich die Textanalyse auf Incel-Foren an und analysiere dort exemplarisch an der verwendeten Sprache die dahintersteckende Ideologie. Diese Ideologie basiert, wie ich aufzeigen werde, auf pathologischem frauenfeindlichen Verschwörungsdenken, Selbsthass und kultiviertem Nihilismus.

      Des Weiteren wird in diesem Buch das Verhältnis von Incels zu Rechtsradikalismus, Islamismus und rechtsradikalem Terrorismus verhandelt – Frauenhass ist laut einer Studie der Anti Defamation League die »Einstiegsdroge« in rechtsradikales Denken8, und man kommt nicht umhin zu bemerken, dass auf Boards wie 8kun eine neue Generation an Terroristen heranwächst, die alle dem gleichen Tätertypus entsprechen: dem narzisstisch gekränkten, in der Regel weißen Mann, der in einem Terrorakt eine Wiedergutmachung seiner vermeintlich erfahrenen Kränkung sieht.

      Diesen Tätertypus werde ich im letzten Teil des Werkes vor allem anhand der Theorien von Raewyn Connell, Rolf Pohl, Klaus Theweleit, Theodor W. Adorno und Kate Manne beschreiben und eine sozialpsychologische Analyse von Incels durchführen. Da ich einen materialistisch-feministischen Anspruch an meine Arbeit habe, wird diese Analyse vor einer Kritik am patriarchal strukturierten Kapitalismus erfolgen.

      Zum Abschluss werde ich versuchen, Ansätze zu bieten, wie sich aus diesem toxischen Sumpf, der sowohl für seine Mitglieder als auch deren Opfer im Tod enden kann, entkommen lässt. Denn, und daran gilt es festzuhalten: Incels mögen glauben, ihr Zustand sei unausweichlich, er ist es jedoch nicht – genauso wenig wie die patriarchalen Verhältnisse, in denen er seinen Ursprung hat.

      Außerdem, da Incels als klandestine Szene ihre sehr eigene, ideologisch aufgeladene Sprache haben, ist am Ende des Buches ein Glossar beigefügt, das die gängigen Begriffe und Memes der Incel-Szene übersetzt. Wer (außer Incels und den bemitleidenswerten Leuten, die zu Incels forschen) weiß denn schon aus dem Stegreif, was »Coomer«, »Lanklet« oder die »PSA-Skala« bedeuten?

      Und bevor wir beginnen: dieses Buch behandelt sexuelle Gewalt gegen Frauen wie auch Kinder, Misogynie, Rassismus, Antisemitismus, Homo- und Transfeindlichkeit. Leider komme ich bei einer tiefgründigen Analyse meines Gegenstandes nicht umhin, mich intensiv mit der ihm innewohnenden gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit zu befassen. Auch für Personen, die Erfahrungen mit suizidalen Gedanken oder Depressionen haben, könnte die Lektüre beizeiten beschwerlich werden. Ich hoffe, meinem Anspruch an einen Mittelweg zwischen einer analytischen Betrachtung und einem sensiblen Umgang mit den Themen gerecht zu werden. Den einen oder anderen ironischen Seitenhieb wird mir die Leserin verzeihen müssen – manchmal ist ironische Distanz die einzig mögliche Bewältigungsstrategie, um einem Thema wie »Incels« begegnen zu können.

      Let’s embrace the Memetic Warfare:

      Die Rolle von Memes innerhalb der Incel-Community

      Die Alt-Right, zu deren Auswüchsen die Incels gezählt werden müssen, ist eine onlinebasierte (Sub-)Kultur, die es sich selbst zur Aufgabe gemacht hat, mittels einer »Memetic Warfare« online eine Diskurshoheit zu erreichen und diese im besten Falle in eine Welt abseits obskurer Imageboards zu tragen – was ihr durchaus gelungen ist. 4chan-Trolle und rechte Reddit-User bildeten das Fußvolk von Donald Trumps Online-Armada, und mit Richard Spencer und Milo Yiannopoulos waren führende Figuren der Alt-Right Teil des engen Beraterstabs des US-amerikanischen Präsidenten. Es existieren zahlreiche Memes, die Donald Trump als oder mit »Pepe the Frog«, einem Maskottchen der Alt-Right, abbilden. Auch Donald Trump hatte auf Twitter ein (inzwischen gelöschtes) Meme von sich als Pepe geteilt9, sein Sohn Donald Trump Jr. tat es ihm einige Zeit später auf dem Fotoportal Instagram gleich.10 Es sei an dieser Stelle angemerkt, dass Pepe the Frog nie als rechtes Symbol intendiert, sondern die Figur eines Webcomics war. Seinen Schöpfer, Matt Furie, frustrierte die Verwendung seiner Figur in rechten Kontexten so sehr, dass er die Figur Pepe im Webcomic sterben ließ und letztendlich die rechtsradikale Plattform InfoWars wegen der unrechtmäßigen Verwendung von »Pepe« erfolgreich auf 15.000 Dollar verklagte.

      Der Begriff »Meme« hat seinen Ursprung in dem von Richard Dawkins 1976 veröffentlichten Buch Das egoistische Gen und beschreibt einen kulturellen Code, der sich, einem Gen ähnlich, entwickelt, verbreitet und auch verändert. Inzwischen wird der Begriff »Meme« weitestgehend mit Internetphänomenen assoziiert. Die Kulturwissenschaftlerin Limor Shifman beschreibt ein Meme als »(a) eine Gruppe digitaler Begriffe, die gemeinsame Charakteristika in Inhalt, Form, und/oder Standpunkt teilen, die (b) im Gewahrsein auf andere Memes geschaffen wurden, und die (c) im Internet von vielen User*innen verbreitet, imitiert oder transformiert wurden.«11 Wir alle kennen und teilen Memes; sie sind zu einem integralen Bestandteil der modernen Kommunikation geworden, zu einem Code, der mittels


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