Incels. Veronika Kracher
beigetragen haben die misogyne Gamergate-Kampagne, eine frauenfeindliche Schmierenkampagne gegen Frauen aus der Videospiel-Branche, auf die ich im Laufe des Buches noch genauer eingehen werde, und der Wahlkampf Donald Trumps, im Zuge derer sich das Forum, vor allem das Unterforum politically incorrect, und seine User zunehmend nach rechts radikalisierten.
Die noch radikalere Variante 4chans stellt das Board 8chan dar. Der Gründer, Fredrick Brennan, hatte das Board als Reaktion auf eine zunehmende Popularisierung 4chans gegründet, um einen noch anarchischeren Tummelplatz im Internet zu schaffen. Dass sich das Board jedoch zu einem Ort entwickelte, an dem gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit noch offener vertreten wird als auf 4chan, und bald zu einer der Online-Anlaufstellen für Rechtsterroristen wurde, bereut Brennan inzwischen zutiefst. Er ist nicht mehr am Board beteiligt und geht inzwischen auch aktiv gegen den aktuellen Betreiber vor.36 Nicht nur verbreitete Brenton Tarrant, der Attentäter von Christchurch, sein Manifest und den Livestream seines Massakers an 51 Menschen muslimischen Glaubens auf 8chan, auch die Täter der Attentate von Poway (April 2019) und El Paso (August 2019) publizierten ihre Texte auf dem Imageboard, das kurz danach abgeschaltet wurde. Inzwischen ist es jedoch unter dem Namen 8kun wieder online – die Frage ist nur, wie lange noch.
Der Habitus und die Diskussionskultur der »chan-Boards« ist, wie es die Kulturwissenschaftlerin Angela Nagle beschreibt, auf »Moral Transgression« angelegt, »moralische Grenzüberschreitung«. Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit jeder Art wird hier zum vermeintlich ironischen Witz, um »Normies zu triggern«, also all jene, die sich nicht in jener eigenwilligen Online-Sphäre verorten. Permanent wird mit Antisemitismus, Rassismus, LGBTQ-Feindlichkeit und Misogynie kokettiert und jegliche Kritik damit abgewehrt, dass es sich nun einmal um einen nihilistischen Witz handele. Der Ton ist von Zynismus und Abwertung geprägt, man bezeichnet sich gegenseitig gerne mal als »Fag«, das Zurschaustellen emotionaler Verwundbarkeit wird mit Hohn sanktioniert. User haben eine eigene Sprache, die aus zahlreichen Memes und Codes besteht, eine fiktive Nation namens »Kekistan« und einen auf Pepe the Frog basierenden, religionsartigen Kult entwickelt.
Das deutsche Äquivalent der Seite ist Kohlchan, das sich, wie so vieles Deutsche, durch eine besondere Abscheulichkeit auszeichnet. Die Recherche in diesen Foren ist noch befremdlicher als in den englischsprachigen, was daran liegen mag, dass die User, Neonazis die sie sind, ganz bewusst auf Anglizismen verzichten, gleichzeitig aber den Sprachduktus der internationalen Boards beibehalten, statt »Anon« nennt man sich »Bernd«. Als Header wird unter anderem ein Reichsadler verwendet, und die Postings könnten aus einem x-beliebigen Naziforum stammen. Der eine predigt antisemitische Verschwörungstheorien, der Nächste ergießt sich in rassistischen Hassfantasien, der Dritte lamentiert darüber, eine transgeschlechtliche Tochter zu haben – die Ratschläge der anderen User sind übrigens, das Kind mit aller Gewalt davon abzuhalten, ein glückliches Leben als Mädchen zu leben. Wieder andere sprechen davon, wie sie Prostituierten Gewalt angetan haben. Außerdem kam der Großteil der Aktionen und Mobbing-Kampagnen gegen den als »Drachenlord« bekannten YouTuber Rainer Winkler aus Kohlchan-Kreisen.
Weil rechtsradikales Denken und Frauenhass immer Hand in Hand gehen, werden zahlreiche Beiträge mit den Bildern nackter Frauen geschmückt, es gibt ein eigenes Forum für – oft gewalttätige – Pornographie, und in regelmäßigen Abständen greift man Frauen wie Dunja Hayali, Carola Rackete oder auch mich an.
Nichts an dem Geschriebenen wirkt empathisch oder aufrichtig, jede einzelne Silbe ist getränkt mit einer zwanghaften ironischen Distanz zur eigenen Umwelt und zu den anderen Usern. User erniedrigen andere, um sich selbst zu erhöhen, auch innerhalb der Forum-Strukturen. Die User schreiben von sich selbst in der dritten Person (»Dieser Bernd hört gerne Videospielmusik«), was auf eine Distanzierung von sich selbst hindeuten könnte. Wie bei allen chan-Boards ist unklar, was Getrolle ist und was ernst gemeint – mit diesem Habitus der Ironie bringt man sich auch selbst in Sicherheit; man will niemanden wirklich ins Gas stecken, es ist ja alles nur ein Witz. Hab’ dich nicht so, du Normie. Es ist unmöglich, Gefühle zu artikulieren, ohne dafür als »cringy« verlacht zu werden. Der Begriff »cringe« beschreibt im Bezug auf die chan-Szene, wie es die YouTuberin und Wissenschaftlerin Natalie Wynn auf ihrem Kanal »Contrapoints« analysiert, eine Mischung aus Fremdscham und unangenehmer Selbsterkenntnis. Man würde sich, so Wynn, in dem verhöhnten Objekt selbst erkennen, welches anschließend in einem Akt pathisch-projektiver Verfolgung abgestraft werden muss. Diese fast schon gewalttätige Abspaltung von Gefühlen ist etwas, was für eine Täterwerdung unerlässlich ist; diesen Sachverhalt werde ich in einem späteren Kapitel noch wesentlich genauer ausführen.
Im deutschsprachigen Raum gibt es zudem das Forum Absolute Beginner, bei dem es sich allerdings nicht um ein Incel-Forum handelt, sondern um eine auf Austausch angelegte Seite für Personen, die Probleme damit haben, eine Beziehung zu führen. Der Umgang ist freundlich, man gibt sich gegenseitig Tipps in Sachen Dating, Beziehungen und Gefühlsdingen, und das Forum ist für alle Menschen offen, unabhängig von Geschlecht und sexueller Orientierung.
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