Incels. Veronika Kracher
haben sich direkt nach der Immigration in die Vereinigten Staaten die Universitäten und die Kulturindustrie unter den Nagel gerissen und begonnen, die amerikanische Bevölkerung mit ihrem egalitären Gedankengut zu indoktrinieren, was beispielsweise die Bürgerrechtsbewegung, die Frauenemanzipation oder die Proteste gegen den Vietnamkrieg zur Folge hatte. Dies führte dann auf direktem Wege zum Zerfall der bürgerlichen Kleinfamilie und dem Ende der patriarchalen Herrschaft. Inzwischen hält der »Kulturmarxismus« den westlichen Wertekanon fest umklammert. Der Begriff des »Kulturmarxismus« wurde übrigens bereits in den neunziger Jahren von reaktionären Kräften wie dem Antisemiten Lyndon LaRouche genutzt, um die Degeneration der westlichen Welt zu beschreiben. Vor allem aber drang er durch das Manifest des Massenmörders und Rechtsterroristen Anders Breivik ins öffentliche Bewusstsein, für den Feminismus und Sozialismus maßgeblich die Schuld am Untergang der weißen Rasse tragen. Denn, so die Redpill-Ideologie weiter, der Kulturmarxismus geht nicht nur mit dem Feminismus, sondern auch mit einer Agenda der Political Correctness und der Homolobby einher. Während Frauen sich geschlechtsfremden Anwandlungen wie dem Recht auf körperliche, berufliche und finanzielle Selbstbestimmung widmen, würden Jungen und Männer zunehmend ihrer natürlichen Männlichkeit beraubt. Sie studieren Geistes- statt Ingenieurswissenschaften, trinken Aperol Spritz anstatt Bourbon und wechseln die Windeln ihrer Kinder, statt ihre Partnerin zu verprügeln. Diese sozialistischfeministische Agenda sei inzwischen so weit gegangen, dass man als heterosexueller, weißer cis-Mann permanent unter der Fuchtel der matriarchalen Unterdrückung leben müsse; dank #MeToo darf man als erfolgreicher Produzent nicht einmal mehr Frauen vergewaltigen, ohne Konsequenzen zu erfahren. Zum Glück gibt es ein paar wenige mutige Männer, die gegen die Sexismus-Kritik der Feminist*innen und die Tatsache, dass man keine rassistischen Witze mehr machen darf, ankämpfen. Sie werden das Matriarchat stürzen, koste es, was es wolle!
Das Patriarchat ist Vergangenheit, die Frankfurter Schule hat die Zügel der Gesellschaftsentwicklung in der Hand, wir bewegen uns unausweichlich auf den Kommunismus zu – wie sehr man sich doch wünscht, dass diese herumopfernden Verschwörungstheoretiker Recht hätten.
Oftmals geht die Redpill-Ideologie Hand in Hand mit der Verschwörungstheorie des »Großen Austauschs«, die inzwischen Standard in einem rechtsradikalen Repertoire ist und von der AfD über Donald Trump und die Identitäre Bewegung bis hin zu Rechtsterroristen wie den Attentätern von Christchurch, Poway, El Paso oder Halle vertreten wird. Brenton Tarrant, der im März 2019 in zwei Moscheen im neuseeländischen Christchurch eindrang und 51 Menschen muslimischen Glaubens ermordete, war von der paranoiden Angst vor dem »Großen Austausch« getrieben. Auch Stephan B., der Attentäter von Halle, nannte zu Beginn seines Livestreams den »Großen Austausch« als Grund für seine Tat. Während nämlich weiße Männer, Feminismus sei Dank, allesamt zu Pantoffelhelden verkommen seien, leiten jüdisch konnotierte »Eliten« und »geheime Kräfte«, allen voran George Soros, Ströme von Geflüchteten nach Europa und in die USA, auf dass diese dort weiße Frauen schwängern und sich vermehren. Dass Einzelpersonen wie der Holocaustüberlebende und liberale Philanthrop Soros, der seit Jahren Feindbild Nummer eins der weltweiten Rechten ist, Menschen zur Flucht bewegen, ist natürlich sehr viel wahrscheinlicher, als dass jemand vor Krieg, Hunger oder politischer und religiöser Verfolgung Schutz sucht. Die weißen Männer sind, je nach Auslegung, zu unmännlich geworden, um etwas gegen die einfallenden Flüchtlingshorden zu tun, oder sie empfinden sogar Lust bei dem Gedanken, dass die eigene Frau von einem hyperpotenten Schwarzen oder Araber penetriert wird. Gerade bei der Idee des »Großen Austauschs« fallen also Antisemitismus, Antikommunismus, Antifeminismus, Rassismus und Maskulinismus ineinander. Kein Wunder, dass sich diese Ideologie bei der Rechten einer derartigen Popularität erfreut, vereint sie doch sämtliche Kampffelder unter ihrem Schirm.
Und, nun ja, dieser gesellschaftlich verordneten Entmannung kann man sich eben erwehren, indem man die »Rote Pille« schluckt, dem Feminismus den Kampf ansagt und seine ursprüngliche, harte Männlichkeit wiederentdeckt. Das erreicht man über die konsequente Abwertung von Frauen. Konkret äußert sich das beispielsweise darin, dass man sich maskulinistischen Gruppen wie den Pick-up-Artists oder »Men going their own way« anschließt.
»Men going their own way« kann man sich als Gruppe vorstellen, deren Ziel es ist, Frauen zu boykottieren und autark von ihnen zu leben – strikt heterosexuell natürlich. Auch hier sind Frauen, die ein selbstständiges Leben führen, Ursprung allen männlichen Leids. In der Vorstellung von »Men going their own way« verbringen Frauen ihre Zwanziger damit, »das Schwanzkarussel zu reiten«, um sich anschließend, wenn sie alt und verbraucht sind, mit einem »Beta Male« zur Ruhe zu setzen und sich von diesem aushalten zu lassen. Aber auch dieser »Beta Cuck« wird mit allem betrogen, was sich die alternde Gattin noch krallen kann, weil: Frauen sind einfach wirklich schlechte Menschen, ausschließlich gesteuert von dem Wunsch nach sexueller Bestätigung. Das Einzige, was man dagegen tun kann, ist es, sich Heirat, Beziehungen, Frauen generell zu verweigern. Es gibt vier Level von »Men going their own way«. Auf Level null schlucken Männer die »Rote Pille« und erkennen die Welt als vom westlichen Marxismus gesteuert. Auf dem ersten Level verweigern sie sich langfristigen Beziehungen, auf Level zwei hat man auch keine kurzfristigen Beziehungen oder One-Night-Stands mehr. Auf Level drei ist man auch ökonomisch von Frauen unabhängig, man kann sich das Ganze quasi als eine gegen das weibliche Geschlecht gerichtete BDS-Bewegung vorstellen. Auf Level vier zieht man sich dann auch auf sozialer Ebene von Frauen zurück und lebt autark im Männerbund vor sich hin. Konkret »geht man den eigenen Weg«, indem man den ganzen Tag auf Reddit herumhängt und sich gegenseitig durch das Ausmalen fiktiver Szenarien wie »Ich rackere mich auf Arbeit für meine Frau ab, aber anstatt dass sie mir Essen hinstellt, geht sie sich mit ihren Mädels die Nägel machen« darin bestätigt, wie schlimm Frauen seien.
Das Ganze wird untermalt mit einer Vorstellung permanenter Selbstoptimierung. Es geht darum, das »Game« zu gewinnen. In einer Welt, in der Männern von Grund auf die schlechteren Karten ausgeteilt worden sind, müsse man eben lernen, dieses Spiel trotzdem zu den eigenen Gunsten entscheiden zu können – und das gelingt, indem man eben zu einem chauvinistischen, rücksichtslosen, manipulativem Arschloch wird. Großes Vorbild der MGTOW-Bewegung ist der rechtsradikale Männerrechtler Jack Donovan. Donovan war bis 2018 Mitglied der vom italienischen Faschisten Julius Evola inspirierten neopaganistischen Rockergruppe »Wolves of Vinland«. Er veranstaltet Seminare, bei denen die Teilnehmer ihre ursprüngliche Männlichkeit wiederentdecken, indem sie durch den Wald robben und Tiere erlegen, und legt eine massive Abwehr gegen alles Weibliche an den Tag. Donovan ist seit über 20 Jahren in einer Beziehung mit einem anderen Mann, bezeichnet sich aber nicht als »schwul«, sondern als »androphil«, da »schwul« für ihn Ausdruck einer verweichlichten, hedonistischen und degenerierten Szene sei. Donovans Werke, die illustre Titel wie Ein ganzerer Mann oder Nur Barbaren können sich verteidigen tragen, werden in Deutschland über den neurechten Verlag Antaois publiziert.
Incels haben die Vorstellung, das »Game« gewinnen zu können, bereits aufgegeben. In ihrer Blackpill-Ideologie, die den Antifeminismus und die Täter-Opfer-Umkehr der Redpiller in allen Aspekten auf eine wahnhafte Spitze treibt, ist die Möglichkeit, das »Game« zu gewinnen, von Anfang an zum Scheitern verurteilt.
Dass Frauen in den Augen von Incels oberflächlich, triebhaft und schlecht sind, wurde bereits erwähnt. Obwohl sie ganz versessen darauf sind, »das Schwanzkarussell« zu reiten, geben sie sich nicht mit einem x-beliebigen Mann zufrieden. Genügen kann nämlich nur ein »Chad«, der nichts anderes ist als eine Klischeezeichung von Hypermaskulinität, ein Quarterback aus einem High-School-Film.
Obwohl Chads nur 20 Prozent der Männer ausmachen, haben sie die sexuelle Verfügung über ausnahmslos alle Frauen, die kämen nämlich niemals auf die Idee, ihre Aufmerksamkeit an einen Nicht-Chad zu verschwenden.
Incels teilen Menschen auf einer »Attraktivitätsskala« von eins bis zehn ein; attraktive Frauen nennen sie »Stacys«, eine durchschnittlich attraktive Frau trägt den Namen »Becky«. Hätten früher Frauen mit einem Partner ihres »Attraktivitätslevels« verkehrt, ihrem sogenannten »Looksmatch«, seien durch den Feminismus ihre Ansprüche ins derart Unermessliche gestiegen, dass nur ein Chad ihnen genügen kann. Deswegen, so die logische Konklusion, reißen sich nun alle Frauen der Welt um Chads, während für den Durchschnittsmann nur noch Frauen übrig bleiben, die ihren »sexuellen