Incels. Veronika Kracher

Incels - Veronika Kracher


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für Incels stellt das Forum Reddit dar. Reddit ist ein gigantisches Forum mit zahlreichen Unterforen, deren Inhalte von »Bilder von dicken Katzen« über »feministische Memes«, Frage- und Diskussionsforen bis hin zu Foren für gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit reichen. Auch wenn Reddit inzwischen zunehmend rechte Foren schließt, schießen die Stellvertreter wie Pilze aus dem Boden.

      Die bekannteste Reddit-Community für Incels war das Subreddit r/Incels, das bis zu seiner durch eine Online-Petition erwirkten Schließung im November 2017 40.000 User verzeichnen konnte. Der Inhalt bestand aus dem für die Szene üblichen Geseiere: Vergewaltigungsfantasien, Frauenhass, Selbstmitleid, verschwörungstheoretisches Opferdenken und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit.34 Das Ersatzforum r/Braincels, dessen Name impliziert, dass die eigene Sexlosigkeit die Folge eines überlegenen Intellekts sei, folgte kurze Zeit nach der Schließung und konnte ca. 17.000 Abonnenten verzeichnen. Es wurde Ende September 2019 ebenfalls geschlossen. Inzwischen existieren zahlreiche kurzlebige Ersatz-Subreddits, die jedoch inzwischen glücklicherweise immer rascher vom Reddit-Team geschlossen werden.

      Unter dem Subreddit r/BlackPillScience versuchen Incels, ihrer menschenverachtenden Ideologie einen wissenschaftlichen Anstrich zu geben, die Ergebnisse werden auf dem Incel-Wikipedia gesammelt. 12.500 User tauschen Studien über Dating-Verhalten oder weibliche Sexualvorlieben aus. Recht häufiges Thema ist, dass Frauen mehr Likes und Nachrichten auf Dating-Plattformen wie Tinder bekommen als Männer. Dass dies daran liegt, dass mehr Männer als Frauen die Plattform nutzen und sie weniger auf langfristige Beziehungen als auf One-Night-Stands ausgelegt ist, wird ignoriert. Und jede Frau, die es mit konventionellem heterosexuellen Online-Dating versucht hat, kann bestätigen, dass das Verwenden von Dating-Apps für Frauen zu vergleichen ist mit einem Blick in einen gefüllten Kühlschrank, bei dem das meiste Essen jedoch verdorben ist. Jungs, es wird Zeit, ehrlich zu sein: Ein »Hey, wie geht’s«, gefolgt von einem ungefragten und schlecht ausgeleuchteten Penisbild, ist definitiv keine gute Art, Frauen kennenzulernen.

      Zwei Subreddits stechen aus der Masse heraus: r/Trufemcels und r/Incelswithouthate.

      Männliche Incels vertreten die Position, dass Frauen keine Incels sein können, da jede Frau immer und überall Zugang zu und Lust auf Sex habe. Dennoch gibt es Frauen, die sich selbst als »Femcels« bezeichnen. Sie haben den männlichen Jargon adaptiert; so wie Incels Frauen als »Femoids« titulieren, werden auf dem inzwischen nur noch für Mitglieder zugänglichen Subreddit r/Trufemcels Männer abwertend als »moids« bezeichnet. Anders als Incels sind die Userinnen jedoch nicht von einem eliminatorischen Männerhass getrieben (welch eine Überraschung), sondern fest auf der Selbsthass-Seite der Ideologie verortet. Die Userinnen vergleichen sich konstant mit anderen, vermeintlich attraktiveren Frauen, denen man Neid entgegenbringt, und sprechen über ihr Leiden an herrschenden Schönheitsvorstellungen und plastische Chirurgie als Möglichkeit des Ausstiegs. Oft wird auch hier das individuelle Glück und das Selbstwertgefühl an der Anerkennung von Vertreter*innen des begehrten Geschlechts festgemacht. Auch sie sehen sich nicht in der Lage, den eigenen Körper zu lieben, und glauben, sie hätten die »genetische Lotterie« verloren. Im Unterschied zu Incels haben Femcels jedoch stellenweise durchaus Recht in ihrer Welterklärung: nach wie vor wird Mädchen vermittelt, dass ihr Äußeres weit eher ihr Kapital ist als ihre Intelligenz oder ihre Persönlichkeit. Entgegen der herrschenden Incel-Vorstellungen wird Unattraktivität bei Frauen und Mädchen gesellschaftlich wesentlich harscher sanktioniert als bei Männern. Eine milliardenschwere Industrie basiert darauf, Frauen zu suggerieren, dass sie nie attraktiv genug sein können, und schlägt Kapital aus weiblichen Selbstzweifeln. Während in Filmen, Serien und Pornos inzwischen auch der unattraktive Loser als Love Interest fungieren kann, sind Protagonistinnen immer normschön. Zwar dürfen inzwischen auch hin und wieder dicke Frauen wie Rebel Wilson Protagonistin eines Films mit romantischem Plot sein, aber auch nur, wenn es attraktive dicke Frauen wie Wilson sind. Und auch das ist eher die Ausnahme als die Regel. Femcels kritisieren gängige Schönheitsideale und befassen sich kritisch mit der Misogynie der Incel-Community. Während der Opferstatus von Incels größtenteils imaginiert ist, haben Femcels legitime Standpunkte in ihrem Denken – leider verbleiben sie, anstatt von ihrem Leid auf eine feministische Gesellschaftskritik zu abstrahieren, oftmals beim Suhlen im Elend. Über 23.000 Frauen haben die sogenannte »Pinkpill« geschluckt.

      Das Subreddit r/Incelswithouthate mit 23.100 Abonnenten behauptet von sich, eine »positive und hilfsbereite« Community bieten zu wollen. Die Gruppenregeln unterbinden es, andere für das eigene Leid verantwortlich zu machen. Tatsächlich hält sich das Artikulieren von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit in Grenzen, doch auch die Incels ohne Hass sind Anhänger der Blackpill-Ideologie. Selbsthass und Opferdenken ziehen sich durch den Großteil der veröffentlichten Beiträge. Meiner Ansicht nach ist es unmöglich, die Blackpill-Weltsicht zu vertreten, ohne misogyn zu sein: das patriarchale Anspruchsdenken, man hätte ein Recht auf Sex, die Vorstellung, Frauen würden sich in ihrer Oberflächlichkeit nur zu attraktiven Männern hingezogen fühlen, und die pathologische Betrachtung weiblicher Sexualität, von der man sich verhöhnt und verfolgt fühlt, sind letztendlich im Kern frauenfeindlich35; Frauen werden nach wie vor primär als Projektionsflächen für die eigenen Neurosen, nicht jedoch als Subjekte betrachtet. Dennoch ist der Umgang miteinander ein gutes Stück freundlicher und auch wenn man dem Glauben anhängt, Frauen würden nun einmal nur attraktive Männer begehren, verfällt man immerhin nicht in Vernichtungsfantasien. Es handelt sich um junge Männer, die sich eine Partnerin wünschen und darunter leiden, keine zu haben, aber die Frauen nicht dafür bestrafen wollen. Wenn es einem der Incels without hate gelingt, eine Freundin zu finden und er darüber schreibt, zeigen sich die anderen Mitglieder begeistert, anstatt den User zu beschimpfen, wie es auf radikaleren Foren der Fall ist. Mir zumindest erschließt sich jedoch nicht, wieso man nach all den Attentaten, die von Incels verübt worden sind, und der Tatsache, dass man sich die Szene mit zehntausenden Männern teilt, die Vergewaltigung und Mord als legitime Racheakte begreifen, eine Ehrenrettung des Begriffs »Incel« anstreben möchte. Es ist, als würde man ein KKK-Chapter »without hate« gründen wollen. Die User behaupten, dass die meisten Incels Menschen wie Elliot Rodger oder Alek Minassian ablehnen, obwohl das Incels without hate-Subreddit deutlich weniger Userzahlen verzeichnet als das ursprüngliche Incel-Subreddit mit zuletzt 40.000 Mitgliedern, Braincels hatte zum Zeitpunkt seiner Schließung knapp 17.000 User. Leider ist es mitnichten so, als wären die weniger radikalen Incels in der Mehrheit. Incels mögen zwar als Selbsthilfegruppe begonnen haben, sind aber inzwischen unwiederbringlich zu einem toxischen, misogynen, kultartigen Sumpf geworden, aus dem es sich nur mit großer Anstrengung entkommen lässt.

      Eine weitere Plattform, auf der sich Incels austauschen, ist der Chat-Server Discord. Foren haben in der Regel ihre eigenen Discord-Channel, des Weiteren existierten zum Zeitpunkt dieser Recherche 75 Server in unterschiedlicher Größe, die mit dem Tag »Incel« versehen sind. Der Tonfall dort ist der gleiche wie in den Foren; allerdings sind die Server um einiges regelloser und die Kommunikation verläuft, da es sich um einen Chat handelt, schneller. Da die Server klandestiner sind als Foren, scheint auch die Hemmschwelle, Gewaltfantasien und menschenverachtende Kommentare zu posten, geringer. Auf Incel-Discords huldigt man Frauenmördern wie Ted Bundy oder erfreut sich gemeinsam an Terroranschlägen, erzählt offen von dem Wunsch, Frauen zu vergewaltigen, teilt grenzwertige Hentai (ich habe einmal den Fehler gemacht, auf eines der Bilder zu klicken, und durfte mir einen pornographischen Manga ansehen, in dem eine Frau von mehreren Hengsten vergewaltigt wurde) oder berichtet stellenweise sogar davon, diese Wünsche aktiv umgesetzt und Frauen sexuelle Gewalt angetan zu haben. Sich auch nur für eine kurze Zeit auf den Servern aufzuhalten, ist wie in einem Gewitter aus frauenfeindlichen, rassistischen und antisemitischen Hassbotschaften zu stehen, die unaufhörlich auf die Leserin einprasseln.

      Zudem existieren noch Imageboards wie 4chan oder 8kun, ihr deutscher Ableger Kohlchan und das rechte Trollforum Kiwifarms, zu deren Usern auch Incels zählen. Das Board 4chan wurde 2003 gegründet und war primär ein Board für Anime-Kultur mit einem besonderen Fokus auf »Free Speech«. »Free Speech« bedeutete in diesem Fall, das N-Wort verwenden und Bilder vergewaltigter Anime-Mädchen posten zu können, ohne dafür von Eltern, Lehrkräften oder der nervigen feministischen Mitschülerin zur


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