Incels. Veronika Kracher

Incels - Veronika Kracher


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ist die binnenmännliche Hierarchie primär auf Attraktivität aufgebaut; mit Attraktivität geht all das einher, was die australische Geschlechterforscherin Raewyn Connell als »hegemoniale Männlichkeit« analysiert: Hegemoniale Männlichkeit ist »jene Form von Männlichkeit, die in einer gegebenen Struktur des Geschlechterverhältnisses die bestimmende Position einnimmt, eine Position allerdings, die jederzeit in Frage gestellt werden kann«.29 Hegemoniale Männlichkeit soll die Dominanz von Männern untereinander, gleichzeitig die Herrschaft aller Männer über alle Frauen gewährleisten. Mit Attraktivität geht für Incels gleichzeitig immer Erfolg, Vermögen und auch Potenz und Virilität einher. Sind die Männer unattraktiv, können sie Frauen zwar durch Reichtum für sich begeistern, die Frau wird es jedoch immer nach einem Chad verlangen. Incels selbst betrachten sich als Verlierer der »genetischen Lotterie« und sehen sich demzufolge am untersten Ende der Männlichkeitskette. Sie haben keine Chance, jemals von Frauen geliebt zu werden oder außerhalb von Pornos eine Vulva zu Gesicht zu bekommen, da ihr Augenwinkel die falsche Form hat, ihr Handgelenk zu schmal ist, sie zu klein oder zu dick oder zu behaart respektive glatzköpfig sind. Incels betrachten sich als Ausgeburten der Abnormalität, als Zwillingsbruder von Gollum, und deswegen ist für sie in einer von Attraktivität bestimmten Gesellschaft der Zug zu Liebe und Glück schon längst abgefahren. Da Aussehen primär von der Knochenstruktur bestimmt wird, so Incels, ist ihr Martyrium auch nicht zu überwinden.

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       Eine Grafik, die das Prinzip »Looksmatching« veranschaulicht

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       Ein Incel-Meme zur Bedeutung der Knochenstruktur für das Aussehen

      Humor, Intelligenz, Warmherzigkeit, Charme, all das ist in der Incel-Wahnwelt für Frauen irrelevant, deren einziges Interesse darin besteht, dass ein Mann einen kantigen Kiefer, eine Körpergröße von mindestens 1,85, einen stechenden Blick, ausgeprägte Muskeln und einen großen Penis hat. Darüber hinausgehend hat nichts für Frauen Relevanz; ihr ganzes Leben ist darauf ausgerichtet, »das Schwanzkarussell zu reiten«.

      Zwar gibt es einige Incels, die versuchen, ihre Probleme durch sogenanntes »Looksmaxxing« zu lösen, also versuchen, durch Sport, Mode und plastische Chirurgie ihre Chancen zu verbessern, daneben gibt es jedoch auch die sogenannten »Truecels«. Die sich selbst als »Truecels« bezeichnenden, wahren Incels haben das alles als vergebliche Liebesmühe erkannt, denn: eine Frau ist schlicht nicht in der Lage, einen Mann zu lieben, der nicht wie Idris Elba aussieht. Für Incels stand ein glückliches und erfülltes Leben einfach nie zur Debatte. Deshalb verschreibt man sich der Blackpill, suhlt sich im eigenen Elend, und findet Triebabfuhr in den Echokammern des Internets, in denen man sich darüber austauscht, wie unfair die Welt im Allgemeinen und Frauen im Besonderen doch sind.

      Dass ihre Weltsicht von Neurosen, Kränkungen, gesellschaftlich vermitteltem Frauenhass, Selbstzweifel und Paranoia bestimmt und, milde ausgedrückt, vollkommen wahnhaft ist, wollen Incels nicht begreifen. Wie alle Verschwörungsdenker sind sie in einer totalitär in sich geschlossenen, ideologischen Blase gefangen, die sich durch rationale Argumentation nicht penetrieren lässt. Und wie alle Verschwörungsdenker halten sich Incels für die einzig Aufgeklärten, für diejenigen, die die Welt so sehen, wie sie wahrhaft ist. Sie verachten Geisteswissenschaften, sehen sich selbst als rational und logisch Denkende und versuchen ihre Ideologie unter dem Begriff der »Scientific Blackpill« mit Pseudowissenschaft zu untermauern. Die »Scientific Blackpill« hat einen eigenen, mehrere hundert Beiträge umfassenden Bereich im Incel-Wikipedia und erklärt, wieso der paranoid gefärbte Hass auf Frauen eigentlich etwas total vernünftiges ist. Dabei bedient man sich so gut wie ausschließlich halbgarer Evolutionspsychologie und -biologie, denn nicht das Sein bestimmt das Bewusstsein, sondern zwischenmenschliche Verhaltensmuster aus der Steinzeit, über die man natürlich auch bestens und unzweifelhaft Bescheid weiß.

      Frauen würden anstatt liebevoller Partner narzisstische und brutale Männer präferieren, da rücksichtslose Männer schon immer besseren Schutz und mehr Nahrung gewährleisten konnten und sich diese pseudowissenschaftlichen Steinzeit-Mythen natürlich immer noch auf die Dating-Präferenzen auswirken. Dass das Patriarchat sich in missbräulichen Beziehungen ausdrückt und Frauen missbräuchliche Partnerschaften eingehen, da ihnen sämtliches Gefühl von Selbstwert und Selbstermächtigung genommen wurde, liege in der Biologie begründet und nicht in einer Gesellschaft, in der Gewalt gegen Frauen systematisch ist! Es sei normal, dass Männer jugendliche und präpubertäre (!!) Mädchen begehren, weil Männer historisch gesehen »Frauen monopolisiert haben um sexuelle Exklusivität zu garantieren«, weshalb Männer »sich entwickelt haben, jugendliche, submissive und einfach zu kontrollierende Weibchen [zu] präferieren«30.

      Anstatt mit wissenschaftlichen Fakten werden Zusammenhänge aus dem Kontext gerissen und aus der Brille der Blackpill verklärt: so wird Frauen zugeschrieben, dass ihre einzige Angst vor der Vergewaltigung »die urtümliche Angst davor ist, von einem als ‚unterlegen’ wahrgenommenen Mann geschwängert zu werden«.31

      Die Tatsache, dass Frauen masochistische Fantasien und Begehren wie Rape Play haben, wird damit erklärt, dass Frauen Freude daran empfinden würden, von einem dominanten Mann überwältigt zu werden, weswegen sie Vergewaltigungen nur zur Anzeige bringen, um unattraktiven Männern aus Scham, dann doch aus Versehen mit ihnen geschlafen zu haben, eine reinzuwürgen (wer kennt’s nicht). Dies verkennt, dass weibliche Sexualität oft patriarchal verformt ist und Frauen deswegen, anstatt eigenes Begehren zu entwickeln, patriarchale Vorstellungen von Sex als die vermeintlich eigenen internalisieren. Der Gegenpol dazu, der ebenfalls Grund sein kann, wieso Frauen »brutale« Pornographie konsumieren oder sich beim Sex einer submissiven Rolle hingeben, ist, dass weibliche Submissivität auch ein Mittel sein kann, sich erfahrenes Leid und erfahrene Unterdrückung im lustvollen Spiel selbstbestimmt wieder anzueignen, wie es die feministische Psychoanalytikerin Jessica Benjamin in ihrem Werk Die Fesseln der Liebe erläutert.32 Dass Incels feministische Theorie lesen, kann jedoch getrost bezweifelt werden. Komplett ignoriert wird auch die Differenz zwischen Fantasie und Realität: in der erotischen Vorstellung ist man immer Herrin im Haus, in der Realität leider nicht.

      Ob es sich nun um incels.co, incels.net oder diverse Subreddits handelt: die User dort haben die Blackpill geschluckt, und sind der festen Überzeugung, dass Frauen schuld sind an ihrem unausweichlichen Leid. Diese Foren sind unser Einblick in das Denken von Incels; sie fungieren als Echokammern, in denen die User sich den Frust von der Seele schreiben, sich austauschen und andere von ihrer Position überzeugen können. Sie fungieren auch als Räume, in denen man sich »unter sich« wähnt und der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit freien Lauf lassen kann, da kein zensierender Faktor dabei stört. Sich die thematischen Schwerpunkte in den Foren anzuschauen, ist also für eine Analyse der Incel-Subkultur unerlässlich.

      Echokammern statt Selbsthilfe: Die Incel-Foren

      Das größte Incel-Forum kann unter www.incels.co erreicht werden. Unter der Domain incels.me gegründet, musste es bereits zwei Mal aufgrund der dort vertretenen Inhalte den Server wechseln. Das Forum hat 11.850 Mitglieder, die insgesamt 216.673 Threads verfasst haben [Stand Augusut 2020]. Incels.co ist, mit Abstand, einer der toxischsten Orte im Internet. Die Threads schwanken zwischen nihilistischem Selbsthass, Diskussionen über die Blackpill, in denen man sich gegenseitig das eigene Weltbild bestätigt, und Frauenhass. Ich werde das Forum im Laufe des Buches genauer analysieren.

      Die Regeln des Forums lauten folgendermaßen: Nicht-Incels und Frauen werden, sobald sie sich zu erkennen geben, gebannt. Es ist verboten, von romantischen oder sexuellen Erfahrungen zu berichten, selbst wenn diese vor langer Zeit gemacht wurden. Verboten sind außerdem: LGBTQ-Inhalte, das »Anbeten« attraktiver Frauen oder Männer, Hinweise


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