Incels. Veronika Kracher

Incels - Veronika Kracher


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Shy Boys der Regisseurin Sarah Gardephe folgt unter anderem einer Gruppe Love-shy-Mitglieder, zu denen auch ein Pickup-Artist zählt, der sich vorgenommen hat, den anderen Mitgliedern der Gruppe beizubringen, wie man »Frauen rumkriegt«. Den Pick-up-Artist zu beobachten verursacht fast physische Schmerzen, aber die Dokumentation ist sehr interessant.

      Auf Love-shy wurde erstmals die Idee postuliert, das eigene Aussehen determiniere für immer den Dating-Erfolg – oder dessen Ausbleiben. Selbst einem Frauenfeind wie »Rammspieler« wurde es bei Love-shy gegen Ende zu toxisch, als populäre User begannen, sich offen für Vergewaltigung auszusprechen.19

      Nicht wenige Nutzer, die auf Love-shy verkehrten, fanden sich früher oder später auf den Seminaren von sich als »Verführungskünstler« labelnden Tätern wieder, um zu erlernen, wie man denn Frauen für sich begeistern könnte. Der Erfolg blieb aus. Dies ist nicht verwunderlich, wenn man sich die Techniken der sogenannten Pick-up-Artists näher anschaut: Hinter dem schöngeistigen Begriff des »Verführungskünstlers« oder im Englischen »Pickup-Artist« (PUA) steckt die frauenfeindliche »Redpill«-Ideologie, nach der Frauen nichts anderes als Sexobjekte seien, die einem Untertan gemacht werden müssten. Diese Ideologie, der Pick-up-Artists anhängen, popularisierte sich Anfang der 2010er Jahre, das Subreddit r/Redpill wurde 2012 gegründet.

      Redpiller, zu denen neben Pick-up-Artists auch andere Männerrechtsaktivisten zählen, hängen dem Irrglauben an, Männer seien gesellschaftlich unterdrückt und abgehängt. Frauen würden Männer mittels Schwangerschaften oder falscher Vergewaltigungsanschuldigungen kontrollieren, weswegen Männer ihr Dasein in permanenter Angst vor dieser gefährlichen weiblichen Sexualität fristen würden. Sie seien gezwungen, in einer Welt zu leben, in der man Frauen nicht einmal mehr Komplimente machen könne, ohne direkt eine Anzeige wegen Vergewaltigung am Hals zu haben (dass nur ein Bruchteil angezeigter Vergewaltigungen überhaupt verurteilt wird und viele Opfer sexueller Gewalt aufgrund von Stigmatisierung, unsensibler Polizeibeamter oder Angst vor dem Täter gar nicht erst anzeigen, wird natürlich ignoriert). Während Frauen dank überall drohender Paritäts- und Quotenregelungen Karriere machen, werde der Mann zunehmend verschwult und verweichlicht, ja, seiner Männlichkeit geradezu beraubt. »Redpiller« haben daher beschlossen, diese Entwicklung der Welt zu bekämpfen, ungeachtet der Tatsache, dass es sich dabei um ein projektiv aufgeladenes Hirngespinst handelt. Sie treffen sich im Internet und auf überteuerten Seminaren, um eine »ursprüngliche Männlichkeit« wiederzuentdecken, oder versuchen, Frauen zum Sex zu nötigen.

      Wie eine Sekte haben auch die sogenannten »Verführungskünstler« ihren eigenen Jargon: der Umgang mit Frauen ist demnach ein »Game«, das es zu gewinnen gilt; Frauen werden auf einer Nummernskala von eins bis zehn angeordnet, attraktive Frauen bezeichnet man als »Hot Babes«. Man manipuliert Frauen mit Techniken wie dem »Push and Pull« und »Negging«, deren Prinzip darin besteht, eine Frau durch Abwertung zu verunsichern und anschließend durch ein Kompliment wieder an sich zu ziehen. Ein Beispiel hierfür wäre: »Du wirkst so kühl und selbstsicher. Andere Männer kannst Du sicher damit täuschen, aber ich sehe sofort, dass Du dich eigentlich nach Sicherheit und einer Schulter zum Anlehnen sehnst« oder »Ich mag deine blonden Haare – zu schade, dass sie offensichtlich gefärbt sind«.

      Man(n) soll sich unnahbar und unbeeindruckt geben, »die richtigen Knöpfe drücken«, und schon hätte man eine Frau in der Tasche. Diese Vorstellung basiert auf der reaktionären Geschlechtervorstellung, dass Frauen eigentlich gar nichts anderes wollen, als von dominanten Männern gebrochen zu werden, lediglich der lästige Feminismus hätte ihnen den Floh ins Ohr gesetzt, als Subjekt respektiert werden zu wollen. Doch zum Glück wissen es die Pick-up-Artists besser und teilen bereitwillig ihre Weisheit! Nach Absolvierung des Seminares zieht man dann im Rudel los, um die erlernten Fähigkeiten in der Öffentlichkeit zu erproben. Für jene Frauen, die das Pech haben, sich zum selben Zeitpunkt wie die Brigade angehender Sexgötter in der Innenstadt aufzuhalten, bedeutet dies: sexuelle Belästigung, dumme Sprüche, Bedrängung. Anstatt zu dem naheliegenden Schluss zu kommen, dass diese aufdringliche und sexistische Masche nicht dazu geeignet ist, die Herzen der Damenwelt zu erobern, glauben die liebesschüchternen jungen Männer, sie seien schlicht zu hässlich, um von Frauen begehrt werden zu können – und Frauen seien ohnehin alle oberflächliche Schlampen. Dieses Denken bildet den Grundstein der »Blackpill«-Ideologie, und damit jener Überzeugung, der Incels anhängen: Frauen sei es unmöglich, einen unattraktiven Mann zu begehren. Unsere Gesellschaft sei oberflächlich und sexbesessen, und Glück und Erfolg messen sich nur daran, das »Game« zu gewinnen, was Incels aufgrund ihrer Unattraktivität und der daraus folgenden Sexlosigkeit für immer verwehrt bliebe. Sie hatten diese Gedanken schon auf 4chan und Love-shy gelesen, nun hatten sie ihre unzweifelhafte Richtigkeit am eigenen Leib erfahren. Enttäuscht fanden sie sich auf dem Anfang der 2010er Jahre aktiven Forum PUAHate zusammen, um ihrem Hass auf Frauen Ausdruck zu verleihen. Der Frauenhass zeigt sich in Postings wie dem Folgenden: »Ich möchte jeden auf PUAHate ermutigen, Dating-Profile von richtig fetten/hässlichen/deformierten/geistig behinderten Weibern anzulegen und sich so selbst zu beweisen, dass alles, was eine Frau braucht, um qualitativ höchstwertige Männer anzuziehen, ein paar Titten und eine Fotze sind«20. Andere User fragen, ob Frauen nicht per Gesetz daran gehindert werden sollten, das Haus zu verlassen, wenn sie nicht den »richtigen« Body-Mass-Index vorweisen könnten.21 2013 registrierte sich Elliot Rodger auf der Seite PUAHate, die später übrigens in Sluthate umbenannt wurde. Inzwischen ist das Forum geschlossen, was vor allem der medialen Aufmerksamkeit zu verdanken ist, die es nach Rodgers Anschlag erhielt.

      Zu einem ähnlichen Zeitpunkt – Ende der nuller Jahre – begannen die antifeministischen YouTuber William Greathouse, Dwayne Holloway und Steve Hoca das Konzept der »Erzwungenen Einsamkeit« zu vertreten und weitere Grundsteine für die moderne Incel-Subkultur zu legen. Eine der von ihnen ins Internet geseierten Verschwörungstheorien behauptete, der Feminismus sei der Grund, warum Männer in Sachen Liebe und Sex so wenig Erfolg hätten. Holloway stellte die immer noch von selbsterklärten »Nice Guys« vertretene Behauptung auf, Männer hätten Sex verdient, nachdem sie sich dazu herabgelassen hätten, nett zu einer Frau zu sein. Hoca klagte darüber, dass »diese Weiber« einfach zu anspruchsvoll seien. »Diese Kombination aus Opferkomplexen, Anspruchsdenken und Antifeminismus ist charakteristisch für den Großteil zeitgenössischer Incel-Communities«, so Tim Squirrell. Zeitgleich begannen sich über Meme-Seiten wie ifunny oder 9Gag zunehmend junge Männer über die himmelschreiende Ungerechtigkeit der sogenannten »Friendzone« zu empören. Der Begriff der »Friendzone« beschreibt den tragischen Umstand, dass man Zeit und Energie in die Freundschaft zu einer Frau investiert hat, aber dieses Miststück zum Austausch nicht einmal mit einem schlafen will! Frauen werden in dieser Vorstellung als Automat wahrgenommen, der Freundlichkeit gegen sexuelle Gefälligkeiten eintauschen soll. Nimmt eine Frau einen Freund als das wahr, was er für sie ist – ein platonischer Freund –, ist dies eine vernichtende Kränkung. Für Männer, die über die »Friendzone« jammern, ist eine aufrichtige Freundschaft zu einer Frau lediglich der Weg zu einer Beziehung; Frauen werden von ihnen nicht als Subjekte wahrgenommen, sondern auch hier wieder als bloße Projektionsfläche für ihre Fantasie einer idealen Partnerin. Auch wenn die vom Internet als »Nice Guys« betitelten Männer, die sich auf erwähnten Meme-Seiten darüber beklagen, dass ein netter Kerl wie sie keine Weiber abbekommt und lediglich als Schulter zum Ausheulen dient, da Frauen nur auf Arschlöcher stehen, noch nicht bei den misogynen Vernichtungsfantasien eines Incels angekommen sind, ist hier das patriarchale Anspruchsdenken bereits angelegt.

      Der Weg vom gekränkten »Nice Guy« über den Pick-up-Artist zum Incel ist ein Weg, den viele Männer beschritten haben. Incels verbleiben mitnichten im Internet, sondern tragen ihren Frauenhass mit erschreckender Regelmäßigkeit auf die Straße. Die radikalste Form dessen ist der frauenfeindliche Terroranschlag. Hier eine (unvollständige) Auswahl:

      1989 ermordete Marc Lépine 14 Studentinnen des Polytechnischen Instituts von Montreal in einem explizit antifeministischen Angriff. Er drang bewaffnet in einen Seminarraum ein und forderte die männlichen Studierenden auf, den Raum zu verlassen – sie taten es. Die Studentinnen wurden erschossen. Er hinterließ einen Brief, in dem er behauptete, Feministinnen hätten sein Leben ruiniert, und forderte, dass seine Tat als politischer Akt begriffen werden müsse.


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