Zero Bone Loss: Knochenerhaltende Behandlungskonzepte. Tomas Linkevičius
wird medial nach der Belastung dicker. (c) Kortikalisierung und Verdickung der Platte nach dreijähriger Belastung.
Knochenwachstum
Bislang gibt es keine klinischen Studien, um einen vorhersagbaren Prozess zu belegen, mit dem nach dem Setzen eines Implantats und dessen restaurativer Versorgung ein Knochenwachstum erzielt wird. Allerdings wurde die Hypothese aufgestellt, dass eine konstante Implantatbelastung das Knochenwachstum stimuliert, da die Kraft vom Implantat auf den Knochen übertragen wird. Das Implantat hat im Knochen einen Spielraum von bis zu 10 µm. Diese Mikrobewegungen stimulieren den Knochen und lösen vermutlich sein Wachstum aus. Vertikales Wachstum lässt sich durch die Ossifikation von Periost oder Bindegewebe erklären, das sich direkt auf der Knochenfläche befindet (Abb. 1-8). Knochenremineralisierung und Knochenwachstum sind vielversprechend, da sie zeigen, dass selbst bei krestalem Knochenverlust über die Zeit eine gewisse Verbesserung möglich ist.
Abb. 1-8 (a und b) Im Lauf der Zeit wächst immer mehr Knochen um den Rand des Implantats. Was allerdings genau bei diesem Prozess geschieht, ist unbekannt. Mesiodistal am Implantat im Prämolarenbereich sowie mesial am Implantat im Molarenbereich ist ein vertikaler Knochengewinn zu erkennen.
Bedeutung von stabilem Knochen
Obwohl die Bedeutung der Knochenstabilität für manche Kliniker auf der Hand liegt, lohnt es sich trotzdem, die Begründung dafür zu betrachten: Die krestale Knochenstabilität ist vor allem deswegen wichtig, weil sie die Implantatfunktion sicherstellt. Daher sollte ein Knochenverlust grundsätzlich verhindert werden. Schließlich spiegelt die periimplantäre krestale Knochenstabilität die Fähigkeiten und Therapieentscheidungen derjenigen Behandler wider, die an der Implantation und Restauration beteiligt waren.
Aus der Literatur ist ersichtlich, dass der frühe krestale Knochenverlust die Osseointegration von Implantaten in der Regel nicht gefährdet. In manchen Fällen, wie bei dünner periimplantärer Kortikalis, kurzen Implantaten oder einer großen ästhetischen Herausforderung, werden das Überleben und der Erfolg des Implantats stark durch das Vorhandensein oder Fehlen von krestalem Knochen beeinflusst7. Die (kurzfristige) Primärstabilität und die Langzeitstabilität von Implantaten hängen entscheidend vom krestalen Knochen ab. Die Primärstabilität ist der Schlüssel für die Osseointegration, da gut beschrieben und belegt ist, dass sie den Übergang zur Sekundärstabilität sicherstellt, die durch die biologische Verflechtung von Knochen und Implantatoberfläche gekennzeichnet ist8. Auch bei der Restauration und funktionellen Belastung des Implantats ist ausreichend vorhandener krestaler Knochen einer der wichtigsten Faktoren, um einen Erfolg langfristig sicherzustellen. In mehreren Studien wurde mittels Finite-Elemente-Analyse gezeigt, dass in der Kortikalis beim Einwirken axialer und lateraler physiologischer Kräfte auf das Implantat hohe Spitzenbelastungen auftreten9–12.
Natürlich sollte der Zahnarzt grundsätzlich eine Knochenstabilität anstreben, aber es gibt zwei Situationen, in denen das Knochenniveau so stabil wie nur möglich sein sollte: (1) bei Implantaten im ästhetischen Bereich und (2) bei kurzen Implantaten.
Implantate im ästhetischen Bereich
Ein stabiles Niveau der periimplantären Mukosa hängt überwiegend von der Höhe des darunterliegenden Knochens ab. Die Migration der marginalen periimplantären Mukosa durch einen marginalen Knochenverlust hat vor allem im Frontzahnbereich erhebliche Auswirkungen auf die Ästhetik der Restauration. Eine periimplantäre Mukosarezession, die infolge eines krestalen Knochenverlusts auftreten kann, legt den Kronenrand frei und verursacht eine Weichgeweberezession und einen Papillenverlust13. Dies ist abhängig von der Knochenbreite, da bei einer horizontalen Resorption des krestalen Knochens auch die vertikale Knochenhöhe verloren geht (Abb. 1-9).
Abb. 1-9 (a) Der horizontale Knochenverlust kann bei schmalem Knochen eine vertikale Komponente aufweisen, die zu einem Kollaps der vestibulären Gewebe führt. (b) Auffallend ist die Grauverfärbung der Weichgewebe an der Restauration als Zeichen eines krestalen Knochenverlusts und dünnerer Gewebe.
Bei einer vertikalen Resorption des krestalen Knochens bilden die Knochenveränderungen ein kreisförmiges Muster um das Implantat. Dadurch verändert sich im Rahmen des Knochenremodelings der faziale Knochen. Bei sehr breitem Knochen entsteht am Implantat ein sogenannter Krater, wobei die äußere faziale Wand unversehrt bleibt. Ist der Knochen schmal, geht jedoch auch die faziale Wand verloren.
Der krestale Knochenverlust kann die Position der mesialen und distalen Papille sowie Niveau und Kontur der Weichgewebe beeinflussen. Dies alles sind Komponenten des Pink Esthetic Score zur objektiven Beurteilung des ästhetischen Behandlungsergebnisses. Bei einem niedrigen Score, wie er bei Knochenverlust zu erwarten ist, sind Restaurationen nicht ästhetisch, was die Patienten eher unzufrieden macht14. Da viele Autoren im ersten Jahr der funktionellen Belastung einen Mukosarückgang an implantatgetragenen Restaurationen beobachtet haben, wurde empfohlen, Implantate im Frontzahnbereich für mindestens 6 Monate mit provisorischen Kronen zu restaurieren.
Dies alles zeigt deutlich, dass die Knochenstabilität der Schlüssel für ein gutes ästhetisches Ergebnis war und ist. Die korrekte dreidimensionale Ausrichtung der Implantate ist allerdings für ein ausgezeichnetes ästhetisches Ergebnis ebenso wichtig wie krestale Knochenstabilität15.
Kurze Implantate
Die zweite Situation, in der die krestale Knochenstabilität besonders wichtig ist, sind kurze Implantate. Kurze Implantate (mit einer Länge von 4,0 bis 7,5 mm) erreichen nach 5 bis 10 Jahren mit 98,3 % eine gute Überlebensrate und können daher problemlos bei reduzierter Alveolarkammhöhe im Seitenzahnbereich verwendet werden, um die Implantatbehandlung zu vereinfachen16. Damit die reduzierte Implantatoberfläche ausgeglichen wird, besitzen sie einen größeren Durchmesser. Obwohl der Knochenverlust an kurzen Implantaten nicht stärker ausfällt als an Implantaten mit Standardlänge, verlieren sie einen größeren Anteil des KnochenImplantat-Kontakts als Implantate mit Standardlänge (Abb. 1-10), was sich auf die Langzeitergebnisse auswirken kann17. Tritt beispielsweise an einem 4 mm langen Implantat ein Knochenverlust von 1,5 mm auf, würde es zwar weiterhin die vorab definierten Erfolgskriterien erfüllen, aber fast 50 % seiner osseointegrierten Oberfläche verlieren, sodass es vermutlich als Misserfolg zu betrachten ist. Kurze Implantate neigen somit zwar nicht zu einem stärkeren krestalen Knochenverlust, aber der Knochenverlust ist bei ihnen gefährlicher, da durch die Knochenresorption ein größerer Anteil des Knochen-Implantat-Kontakts verloren geht.
Abb. 1-10 Ein krestaler Knochenverlust ist an kurzen Implantaten riskanter als an längeren, da jeder fehlende Millimeter einem größeren Anteil des Knochen-Implantat-Kontakts entspricht, der verloren gegangen ist. Beim Vergleich des kurzen Implantats (a) mit einem Implantat mit Standardlänge (b) ist der Unterschied des potenziellen Knochen-Implantat-Kontakts zu erkennen.