Zauberstunde. Angelika Marx
neben mir steht, statt mich zu verteidigen, pflichtete ihr kopfschüttelnd bei!“
Kerstin lacht, mein Göttergatte amüsiert sich und klingelt bei Daisy und Harald.
Ein Duft von gebratener Gans weht uns verlockend entgegen und wir atmen tief ein. Daisy ist keine sonderlich gute Köchin, aber möglicherweise steht uns diesmal ja ein kulinarischer Genuss bevor.
„Setzt euch, setzt euch“, werden wir hektisch aufgefordert, „ich hab noch in der Küche zu tun, aber Harald schenkt euch gleich mal ein Glas Sekt ein.“ Besagter ist zwar noch gar nicht auf der Bildfläche erschienen, aber einen Auftrag hat er schon. Wir harren also seiner, als es erneut klingelt. Loni erscheint mit einer Flasche Rotwein unterm Arm und erklärt, Omar käme gleich nach. „Der muss erst noch ein bisschen Mama tanken.“
Er telefoniert also noch, jetzt mit seiner geliebten Mutter.
„Das kann noch dauern“, stelle ich wieder fest.
„Ach, ihr habt ja schon einen Weihnachtsbaum aufgestellt!“, wundert sich Loni. „Das ist aber früh!“
„Dann haben wir länger was davon“, schaltet sich Harald ein, der endlich mit Sektgläsern auftaucht und Gert bittet: „Kannst du mal die Flasche aus dem Kühlschrank holen?“
Während wir auf das Leben, die Gesundheit und auf was weiß ich nicht noch alles anstoßen, eilt Omar herbei. Er wedelt begeistert mit seinem neuen Handy, das, wie er stolz verkündet, auf Sprachbefehle reagiert. Wir scharen uns zwecks Vorführung um ihn.
Er ordert: „Gert anrufen!“
Ein hohes Stimmchen verkündet: „Keine Verbindung!“
Omar wiederholt: „Gert Müller anrufen!“
Das Stimmchen fordert ungerührt: „Bitte wiederholen!“
Omar tut das bereits leicht genervt.
Erneute Ansage: „Bitte wiederholen!“
Das Ganze geschieht noch einige Male und Omar ordert inzwischen ziemlich sauer: „Gert Müller privat!“
Die Fistelstimme fordert: „Nummer geschäftlich.“
Omar gibt schließlich auf. „Der versteht mich nicht.“
„Du musst die sagen. Das ist doch eine Frauenstimme“, korrigiere ich ihn.
„Nein, das ist ein Chinese“, stellt Omar klar.
„Ach, deshalb versteht der nichts!“
Harald wird in die Küche gerufen, er soll die Gans sezieren. Das gelingt ihm nur mittelmäßig und Daisy trägt das entstellte Tier auf einem Beifußbett herein. In der Soße schwimmen chinesische Morcheln.
„Die Pilze, auf denen man immer ausrutscht“, stellt Loni fest.
„Man geht aber eigentlich nur sehr selten in der Pfanne spazieren“, wendet die Gastgeberin indigniert ein.
Daisy und Harald sind an diesem Abend nicht gerade die frohsinnigsten und humorvollsten Leute. Die Gesprächsinhalte während der Mahlzeit beschränken sich auf schwer erziehbare Kinder in der Pubertät, auf Krankheit und Tod.
„Was haben wir bloß für ungemütliche Themen!“, jammere ich, als es um Geräteabschaltung nach Schlaganfällen geht und werde empört getadelt: „Mit diesen Dingen muss man sich auseinandersetzen! Die werden fälschlicherweise immer verdrängt!“
Und flugs geht’s inhaltlich weiter zu Feuersbrünsten, die totale Zerstörung nach sich zogen. Dazu kann ich nun zumindest auch etwas beitragen. Ich berichte vom Abbrennen des Wohnhauses in Bingen, dessen Souterrainwohnung ich gemietet hatte. Ich schildere nun, wie ich dieses Unglück erleben und überleben durfte und wetze so meine Scharte von vorher wieder aus. Bei Brandgefahr richten sich die Blicke auf den mit lichten Kerzen geschmückten Weihnachtsbaum und die Halter, in denen sie stecken. Ein Geschenk an die Nachbarn von Gerts Ex-Ehefrau. Als sie daheim auszog, hat sie sie Daisy und Harald vermacht. „Ja, die kenne ich“, bestätigt mein Ehemann, „ich weiß noch genau, wie ich sie damals gekauft habe.“ So werden nette Erinnerungen wach.
Omar streichelt die hauseigene Katze. Loni, die das erstaunt beobachtet, meint: „Der lockt die nur an, um sie dann in den Kochtopf zu tun!“ Ihr Mann ist entrüstet, doch sie ergänzt völlig unbeeindruckt: „Na, was denn, im Irak esst ihr doch auch Katzen!“
Omar zieht seine Hand zurück. Im Gegensatz zu Loni ist er ohnehin nicht besonders tierlieb. Sie fängt Mäuse nur in Lebendfallen und setzt sie dann auf freiem Felde wieder aus. Neulich hat sie eine kranke Taube aufgepäppelt und Omar beschwerte sich: „Die bekommt mehr Zuwendung als ich!“ Dann trat er nach dem Karton, in dem der Vogel saß.
Kerstin kaut fröhlich auf ihrem Gänseschlegel herum. „In Finnland haben wir mal in einem Lokal Fleisch gegessen. Wir fragten den Kellner, was wir da auf dem Teller hätten, und er antwortete in lupenreinem Englisch: Dead-Father-Christmas-Animal – Totes Wehnachtsmann-Tier.“
„Also habt ihr Rentierfleisch verzehrt?“, stelle ich fest.
„Genau, Rudolph wurde geschlachtet!“
„Oh je!“
„Wer ist tot?“, erkundigt sich mein Mann.
„Rudolph“, zische ich kurz angebunden und zu den anderen gewandt: „Gert hört leider schlecht, besonders auf dem rechten Ohr.“
„So wie Tante Irmchen!“, ruft Kerstin. „Bei der Beerdigung von Helma hat der Pfarrer gesagt: Die liebe Heimgegangene ... und die schwerhörige Tante hat verstanden die liebe Eingegangene und sich fürchterlich aufgeregt: Blumen gehen ein, aber Menschen doch nicht! Sie war kaum zu beruhigen.“
So sind wir wieder beim Thema Tod. Loni erzählt, eine Schulkameradin ihres Sohnes sei von einem Lastwagen überfahren worden, lag noch eine Woche im Krankenhaus im Koma und ist dann gestorben.
„Die Frau von unserem Nachbarn an der Ecke ist letztes Jahr auch überfahren worden. Von ’ner Straßenbahn“, erzählt Omar, „aber die war gleich tot. Das war okay.“ Er streicht sich genüsslich über sein ansehnliches Bäuchlein.
„Das ist sein Feinkostspeicher“, kommentiert Rainer, der sich bisher der ansprechenden Unterhaltung völlig entzogen hat. „Schon Goethe hat es sich immer schmecken lassen.“ Dann zitiert er den großen Dichter: „Gestern wieder voll gewesen. Wie kam ich nachts ins Nest? Über andere hingegen hat der Herr Geheimrat abgelästert: Auch frißet er entsetzlich!, äußerte er über einen Adeligen. Udo hieß der, glaube ich.“
„Quatsch!“, fällt ihm Kerstin ins Wort. „Udo ist unser dicker Freund, dessen Motto lautet: An einem netten Menschen kann nicht genug dran sein! Maria, seine Frau, und Udo, beide dick, werden nur die Mollis genannt.“
„Als er Maria geheiratet hat, war sie aber nur halb so viel“, stellt Rainer klar.
„Tja, die leben halt in einer Zugewinngemeinschaft“, meint Kerstin. „Udo sagt, er habe sie irgendwann mal geheiratet, aber er wüsste auch nicht mehr, warum.“
„Ein Bekannter von uns“, fügt Gert hinzu, „also sehr weitläufig Bekannter“, versichert er, „goss sich Kölnisch Wasser in den Wein, weil der ihm nicht schmeckte.“
„Damit hat er sich ja glatt vergiftet!“, schüttelt sich Daisy und führt uns so zu den eigentlichen Themen des Abends zurück.
Omar trägt zur beschaulichen Stimmung bei, indem er von Entführung und Folter im Irak berichtet: „Einem 17-Jährigen hat man die Finger abgehackt und ihn dann bei lebendigem Leibe abgefackelt!“
Alle verharren ob dieser grausigen Bilder andächtig mit erhobener Gabel und unterbrechen kurz das Essen. Mit dieser Schauerstory hat er wirklich alles andere getoppt.
Man wendet sich wieder alltäglicheren Dingen zu wie Narkoseunfälle und Herzinfarkt. Daisy trägt bei: „Meine Mutter hat immer