Deutscher Herbst 2015. Alexander Meschnig
ableiten, etwa nach adäquatem Wohnraum. Für Gewalt gegen-über Schwächeren – Frauen, Kindern, ethnischen oder religiösen Minderheiten –, aber auch gegen die Repräsentanten des Staates, der Schutz gewährt, gibt es keine Entschuldigungen.
III.
Es ist längst an der Zeit, sich einfache Fragen zu stellen. Niemand kommt etwa an der Frage vorbei, wie viele Einwanderer Deutschland denn aufnehmen kann. 1 Million, 5 Millionen, 10 Millionen? Selbst der naivste Zeitgenosse wird wohl zugestehen, dass es eine Grenze für die Aufnahme gibt. Wenn das aber Konsens ist – und davon kann man selbst in einem Land wie Deutschland ausgehen –, dann gibt es nur eine einzige relevante Frage zu stellen, neben der alle anderen Makulatur sind: Ist Deutschland, respektive Europa, in der Lage, seine Grenzen vor dem Ansturm illegaler Einwanderer zu schützen – was in letzter Konsequenz bedeutet, Machtmittel, also Gewalt einzusetzen? Ist das denkbar? Nicht einmal das von der deutschen Presse dämonisierte Ungarn hat gegen die Randalierer an seinen Grenzen den Schießbefehl gegeben. Kroatien hat überhaupt nur einen Tag bei der Registrierung der Einströmenden durchgehalten, Mazedonien, Serbien, Griechenland, Italien haben längst angesichts der ankommenden Massen kapituliert und leiten sie nur noch weiter. Mein eigenes Heimatland, Österreich, winkt gerne alle über den Balkan Ankommenden nach Deutschland durch. Es kam geradezu Panik auf, als das Gerücht die Runde ging, Deutschland hole zehntausende von Gestrandeten nicht mehr vom Salzburger Bahnhof ab.
Gleichzeitig ist es genauso undenkbar, wenngleich jetzt auf Papier beschlossen, abgelehnte Asylbewerber rasch und in großer Zahl rückzuführen. Das ist, wie die tägliche Praxis zeigt, in der Größenordnung von einigen hunderttausend Abzuschiebenden unmöglich. Die notwendigen Abschiebungen würden schon allein an den Kosten und der Logistik scheitern, selbst wenn ein politischer Wille dazu vorhanden wäre. Machen wir uns nichts vor. Es gibt wohl kein europäisches Land, das zehntausende junge, zornige Männer, die trotz Grenzzäunen oder Warnungen Recht brechen, indem sie illegal in ein Land eindringen, aufhalten wird oder kann. Ebenso wenig sind Massentransporte vorstellbar, die Einwanderer gegen ihren Willen entweder auf andere Länder verteilen (Stichwort: Quotenlösung) oder sie, bei Ablehnung des Asylgesuchs, in ihre Heimatländer zurückbringen. Die Gewaltfrage, und letztendlich läuft alles darauf hinaus, darf in einer Gesellschaft wie der unseren gar nicht mehr gestellt werden. Derjenige, der diese Frage stellt, wird aus dem öffentlichen Diskurs verbannt. Im Ernstfall, den zu denken jeder, der die politische Verantwortung trägt, bislang verweigert, ist Deutschland weder verteidigungsfähig noch mental bereit dazu. Keiner der führenden Politiker oder Leitjournalisten wagt es, die aktuelle Dynamik bis an ihr Ende zu denken. Wunschdenken und »Wir schaffen das« decken alle drängenden Fragen zu. Bald werden Hunderttausende, wenn nicht Millionen von Einwanderern, viele mit vollkommen unrealistischen Vorstellungen, frustriert und ausgeschlossen vom Reichtum im Zielland, in Massenunterkünften untergebracht, zum sozialen Sprengstoff werden. Anzeichen dafür gibt es längst. Martin Neuffer hat zweifellos recht, wenn er 1982 schreibt:
»Natürlich müssen wir helfen – sogar bis an die Grenzen unserer Leistungsfähigkeit und unter großen eigenen Opfern. Aber unser kleines Land kann nicht zur Zuflucht aller Bedrängten der Erde werden. Es bleibt uns keine andere Wahl, als das Asylrecht drastisch einzuschränken. Damit sollte aber nicht so lange gewartet werden, bis die ersten Millionen schon hier sind und die Binnenprobleme bereits eine unlösbare Größenordnung erreicht haben. Wir müssen die Frage unverzüglich diskutieren und entscheiden.«
IV.
Merkels Politik des Aussitzens und Wartens, die in ein finales »Alle dürfen kommen« mündete, hat, neben der Dauerpropaganda in den öffentlich-rechtlichen Medien (wir erinnern uns an das »Sommermärchen«, das in Deutschland immer nur wenige Wochen dauert) alle wichtigen Fragen im Vorfeld verhindert. Ihre Politik des Abwartens war in der Frage der Flüchtlingsströme absolut fatal. Keiner der politisch und medial Verantwortlichen für die Krisensituation wird aber später Rechenschaft ablegen müssen. Kritiker und Gegner der wahnwitzigen Asylpolitik, rasch als »Pack« und »Dunkeldeutschand« diffamiert und aus dem öffentlichen Diskurs ausgeschlossen, können sich – ein schwacher Trost – heute bestätigt fühlen. Nun hört man, aufgrund des Drucks der Realitäten vor Ort, bei Politikern und Medien Sätze und Formeln, die vor vier Wochen noch einen Shitstorm ausgelöst hätten. Auch die Bahnhofsapplaudierer sind verschwunden und werden wohl nicht wieder kommen. Die nüchterne Realitätssicht eines SPD-Kommunalpolitikers wäre auch in den letzten Jahren notwendig gewesen, um die sich lange ankündigende Krise in den Griff zu bekommen. Wo sind die Martin Neuffers, sieht man von ganz wenigen Außenseitern ab, nur geblieben?
Die einzige Hoffnung ist jetzt die tägliche Realität und der ansteigende Druck durch die gigantischen Zahlen an Einwanderern, die sich kaum jemand so richtig klar machen will. An der alles entscheidenden Frage wird am Ende aber niemand vorbeikommen: Kann Europa seine Grenzen effektiv verteidigen und den Zustrom illegaler Einwanderer unterbinden? Weitere Optionen sehe ich momentan keine, lasse mich aber gerne vom Gegenteil überzeugen. Die andere, oft zitierte Lösungsmöglichkeit, die Ursachen für den Massenexodus in Ländern wie Syrien, Irak, Afghanistan, Somalia etc. zu bekämpfen, halte ich angesichts der Erfahrungen der letzten Jahrzehnte für eine vollkommen unrealistische Sicht und puren Populismus. Man kann wichtige und unangenehme Entscheidungen aufschieben; am Ende wird man sich ihnen trotzdem stellen müssen. Die Zeit wird aber immer knapper. Schon die nächsten Monate werden zeigen, ob eine Umkehr noch möglich ist.
18. Oktober 2015
EIN LEHRSTÜCK IN SACHEN SOZIALRASSISMUS
I.
Im manichäischen Weltbild der medialen und politischen Eliten steht in der »Flüchtlingskrise«, die offiziell so benannt wird, obwohl der überwiegende Teil der täglich zu tausenden Ankommenden illegale Einwanderer sind, das »helle« gegen das »dunkle« Deutschland, wie etwa Jakob Augstein in einer seiner letzten SPIEGEL-Kolumnen nochmals betonte. Derselbe Augstein, der einer engagierten Polizistin bei Maischberger in vollendeter Arroganz ihre täglich erlebte Realität politisch korrekt »wegerklärte«. Tröstlich zu wissen, dass der Maulheld Augstein bei der ersten körperlichen Auseinandersetzung mit etwas weniger zimperlichen Migranten schnell nach der Polizei rufen würde, nach Frauen wie Tania Kambouri, die sich dafür noch in einer Talkshow von einem Millionärssohn duzen lassen muss.
Aus Sicht von Leuten wie Augstein, Göring-Eckardt oder Hofreiter ist jede kritische Einstellung zur schrankenlosen Einwanderung in Deutschland eine Art Krankheit, eine xeno phobische Haltung, das heißt eine der Realität unangemessene Angst vor Fremden bzw. vor dem Fremden allgemein. Verantwortlich dafür: mangelnde Bildung, Rassismus und primitive Atavismen, vor allem bei (weißen) »Männern mit Lehr- und Pflichtschulabschluss«, wie es in der ZEIT vor kurzem exemplarisch dazu hieß. Die moralisch erhöhende Haltung, alle, die sich nicht den weltoffenen Jargon des Juste milieu angeeignet haben, als rassistisch zu denunzieren, ist ihrerseits im besten Sinne sozialrassistisch zu nennen. Die Abscheu vor allem Ländlichen, Provinziellen, dem apolitischen Arbeiter, dem »kleinen Mann«, die Abwertung der Praktiker vor Ort, der Polizisten und Lehrerinnen, die Verachtung der Kneipe oder des Stammtisches – dieser Hass, der sich in einem aggressiven Antirassismus manifestiert, ist in Deutschland weit verbreitet. Man liebt den Fernsten und hasst den Nachbarn, der sich der verordneten Willkommenskultur verweigert, mit aller sonst nicht vorhandenen Leidenschaft.
II.
Die Idee des Multikulturalismus und die schrankenlose Bejahung der massenhaften Zuwanderung war von Anfang an, neben dem Interesse aus der Wirtschaft, ein Lieblingsprojekt linksgrüner Akademiker, die mit den Neuankommenden in der Regel weder beruflich noch vom Wohnstandort her in Konkurrenz oder Nachbarschaft treten. In der Regel wissen die gehobenen Mittelschichten nichts von der Lebenswirklichkeit derjenigen, denen sie reflexhaft Rassismus unterstellen, wenn sie von den Integrationsleistungen, die sie täglich erbringen müssen, schlicht überfordert sind und dagegen aufbegehren. Wer Tür an Tür mit einer arabischen Großfamilie mit angeschlossenem Clan wohnt und über keinerlei