Fearless. Anja Schäfer

Fearless - Anja Schäfer


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wie schön es wäre, einen Ort zu schaffen, an dem Menschen kreativ sein und CDs aufnehmen können. Und dieser Traum wurde auf unglaubliche Weise Wirklichkeit: Ein Freund aus Kanada, der begeistert war von ihrer Idee, kaufte für sie ein kleines Schloss in der Nähe von Dresden. Sarah und ihr Mann begannen, es mit einer anderen Familie und Freunden zu renovieren, ein Studio und Gästezimmer einzurichten. Heute leben fünf Familien im Schloss und Musiker aus vielen Ländern kommen, nehmen dort ihre CDs auf und sitzen am großen Holztisch zusammen.

      Aber Sarah wollte nicht nur Musik machen. Sie wollte auch etwas bewirken. Sie fand, wenn ihre Musik nicht auch praktisch würde, wäre sie umsonst. Deshalb flog sie nach Indien und besuchte ein Heim für Mädchen. Manche von ihnen waren zwölf, manche auch vierzehn Jahre alt. Sie alle waren von Banden gekidnappt oder ausgenutzt worden. Manchen hatte man versprochen, dass sie in der Stadt arbeiten und heiraten konnten, aber in Wirklichkeit wurden sie verkauft. Eine Organisation hatte die Mädchen vor den Banden gerettet und die Täter vor Gericht gestellt, damit sie ins Gefängnis kamen. Sarah sang mit den Mädchen und merkte wieder einmal, wie heilsam Musik ist. Es gibt nicht immer Worte, aber manchmal sagt eine Melodie alles, was man spürt und ausdrücken möchte.

      2014 flog Sarah dann nach Israel. Eine Freundin lud sie ein, für Freunde zu spielen, die aus Eritrea in Afrika nach Israel geflohen waren. Sarah las viel über die Fluchtgeschichten dieser Menschen und schrieb ein Lied für sie. Sie war gespannt, die Geflüchteten selbst kennenzulernen. Einer von ihnen reichte ihr in Tel Aviv zur Begrüßung die Hand. Er hatte keine Finger mehr. Auf der Flucht war er gefangen genommen und gefoltert worden und man hatte ihm die Finger abgehackt. Sarah ließen diese Begegnungen nicht mehr los und sie begann zusammen mit Stevie zu überlegen, was sie tun konnten. Sie organisierten Konzerte und sammelten Gelder. Aber sie hatten immer das Gefühl, sie müssten noch praktischer werden. Aber wie?

      Eines Tages kam ihr Mann mit der Idee nach Hause, das alte Gasthaus im Dorf, das schon lange leer stand, zu mieten und für Geflüchtete herzurichten. Sarah war skeptisch. Wäre das nicht mehrere Nummern zu groß für sie? Und könnten sie als Familie so viel Geld aufbringen? Sie beteten und fragten Freunde und hatten den Eindruck, sie sollten den Schritt wagen. Es fühlte sich an wie bei Petrus, der sich traute, mitten auf dem See aus dem Boot zu steigen und auf dem Wasser zu laufen, als Jesus es ihm sagte.

      Der Bürgermeister fand, sie müssten eine Bürgerversammlung abhalten, bevor geflüchtete Menschen in ihr kleines Dorf zögen. Denn manche Dorfbewohner waren ziemlich fremdenfeindlich eingestellt. Sarah fand das merkwürdig. Sie hatte in ihrer Kindheit mehrere Freunde aus der Türkei und aus Vietnam gehabt. Aber in Ostdeutschland hatten bisher nur wenige Menschen aus anderen Kulturen gelebt und Unbekanntes macht manchen Angst. Die Bürgerversammlung fand an einem grauen, verregneten Tag statt und die Stimmung, die Sarah und ihren Freunden entgegenschlug, war kalt und kritisch. »Was macht ihr, wenn die kriminell werden?«, fragten die Leute.

      Sarah vertraute darauf, dass Liebe am Ende immer stärker sein würde als alle Angst. Sie betete jeden Tag, dass eine Familie mit Kindern in ihr altes Gasthaus zog und dass Gott sie hier beschützte. Und es kam tatsächlich eine Familie: Mecid mit seiner Frau, fünf Töchtern und einem kleinen Sohn. Sie waren vor den Taliban geflohen, die schon seinen Bruder und seine Nachbarn ermordet hatten. Sarah, ihre Familie und ein paar Freunde besuchten die Familie am Anfang jeden Tag. Sie aßen und tranken Tee zusammen und spielten mit den Kindern. Als die Dorfbewohner die nette neue Familie kennenlernten, waren die meisten beruhigt. Manche brachten Apfelkuchen und Möbel vorbei. Nur wenige blieben feindselig. Doch zwei anonyme Drohbriefe bekam Sarah auch. Aber sie bereute ihre Entscheidung nicht. Die afghanische Familie lernte Deutsch, lebte sich ein und zog anderthalb Jahre später in die Stadt. Ein zweites Haus im Nachbardorf wurde Sarah und ihren Freunden angeboten. Auch das renovierten sie und drei syrische Familien fanden hier nach Krieg und Flucht einen Zufluchtsort. Und so nannten sie dann auch ihre Arbeit: Refugeeum – ein Mix aus den englischen Worten für Flüchtling und Zuflucht.

      Als die Fluchtrouten geschlossen wurden, fragte Sarah sich, was jetzt mit den Geflüchteten geschah. Sie hörte von überfüllten Flüchtlingslagern im Mittelmeerraum, in denen Menschen vor sich hin vegetieren und nirgendwohin können. Sie weinte viel über die Situation und redete mit Gott: »Sei barmherzig, da musst du doch was machen!« Eines Tages kam es ihr so vor, als sagte eine leise Stimme: »Sarah, tu du doch was! Du hast Hände, du hast Füße, mach dich doch auf den Weg.«

      Und Sarah machte sich auf den Weg. Sie besuchte Flüchtlingslager in Griechenland und lernte viele Flüchtlinge kennen. Im vom Krieg zerbombten Aleppo in Syrien mietete sie mit ihrem Verein eine Villa und sie schufen auch hier einen Zufluchtsort: Kinder bekommen dort fünfmal in der Woche ein Frühstück, Unterricht und manchmal auch ein Mittagessen. An Menschen, die innerhalb Syriens fliehen mussten, verteilen sie Brot und manchmal Lebensmitteltüten mit Reis, Joghurt, Zitronen – und was sie in diesem Land sonst noch für die Spenden besorgen können, die sie bekommen. Und Sarahs Geschichte ist noch längst nicht zu Ende.

      Sie würde sich nie eine Heldin nennen. Sie ist Musikerin, Mama und Freundin ohne viel Geld oder Einfluss, aber mit einem großen Herzen und einem großen Gott. Sie hat einfach angefangen, das zu tun, was sie tun konnte – und dabei immer ein bisschen mehr gewagt. Ihre Erfahrungen hat sie in ihrer CD »Among 10.000« verarbeitet, denn Musik bleibt einfach ihre Herzensprache.

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      NICK VUJICIC

      *1982

      WENN LEUTE NICK KENNENLERNEN und feststellen, dass er weder Arme noch Beine hat, witzelt er gern: »Meine anderen Teile sind gerade zur Inspektion!« Nicks komplizierter Nachname wird Wu-ji-tschitsch ausgesprochen und kommt aus Serbien, denn von dort waren seine Großeltern nach Australien ausgewandert, wo Nick geboren wurde. Warum ihm keine Arme und Beine wuchsen, können auch Ärzte nicht erklären. Wie man sich leicht vorstellen kann, war die Geburt für seine Eltern ein großer Schock. Seine Mutter wollte ihn zuerst nicht einmal sehen und in ihrer Nähe haben. Sie dachte daran, ihn zur Adoption freizugeben, weil sie Angst hatte, sich nicht richtig um ihn kümmern zu können. Doch dann beschlossen seine Eltern, dass Gott sich schon etwas dabei gedacht haben musste, und begannen, Nick so normal wie möglich zu erziehen.

      Der entpuppte sich als sportliches Kerlchen, das sich flink aufrichten und mithilfe seines linken Fußes mit zwei Zehen ganz schön viel anstellen konnte. Er ärgerte seine beiden jüngeren Geschwister wie jeder andere große Bruder und lernte, Gegenstände geschickt mit dem Fuß, dem Kinn oder den Zähnen aufzuheben. Sogar schwimmen konnte er bald. Seine Eltern setzten sich dafür ein, dass er als eins der ersten behinderten Kinder in Australien eine ganz normale Schule besuchen durfte. Oft war Nick fröhlich, optimistisch und schlagfertig. Aber es gab auch andere Zeiten, etwa wenn andere Kinder ihn als Monster oder Außerirdischen beschimpften.

      Als Nick zehn Jahre alt war, überwältigten ihn diese negativen Gedanken. Er konnte kaum schlafen, war aufgewühlt und verzweifelt. Es war einfach zu frustrierend, sich nicht einmal eine Limo aus dem Kühlschrank holen zu können und zu wissen, dass er sein ganzes Leben lang für alles auf Hilfe angewiesen sein würde. ›Warum muss ich so anders sein?‹, fragte er sich.

      Nicks Eltern waren engagierte Christen, sein Vater predigte sogar manchmal in der Kirche. Einmal ging es darum, dass Gott sagt: »Mein Plan mit euch gilt: Ich will euer Glück und nicht euer Unglück. Ich gebe euch Zukunft und Hoffnung« (nach Jeremia 29,11). Nick dachte: ›Na, dieser Vers gilt mir ja wohl nicht. Welche Zukunft und Hoffnung habe ich schon?‹ Er hatte Gott oft um Arme und Beine gebeten, aber Gott hatte ihn offenbar nicht gehört. An diesen Gott konnte er nicht glauben.

      Mehrmals überlegte er ernsthaft, ob er irgendwo runterspringen oder in der Badewanne zu lange unter Wasser bleiben sollte. Als sein Vater von diesen Gedanken erfuhr, setzte er sich eines Abends im Bett zu ihm und strich durch seine Haare. »Es wird alles gut, Nick«, beruhigte


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