Das deutsche Herz. Adolf Schmitthenner

Das deutsche Herz - Adolf Schmitthenner


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war nur für einen Augenblick.“

      „Ich sah den jähen Grimm und erschrak.“

      Friedrich ergriff ihre Hand und drückte sie leise. Es war wie ein Gelöbnis.

      „Du brauchst dich nicht vor mir zu fürchten. Früher war ich der wilde Hirschhorn. Ich habe es gelernt, meinen Zorn niederzuringen.“

      Er seufzte aus der Tiefe.

      „Und wenn je einmal die jache Flamme über mich kommt, dann hebe deine Hände so, siehst du? — So! Dann werde ich still und klein wie ein ängstliches Kind. — Verstehst du mich?“

      Ursula sagte leise: „Nicht ganz; aber ich weiß, woran du denkst.“

      „Du Gute!“

      Die Gatten schwiegen eine Weile. Die Musik jauchzte hellauf, und der Trompetenklang flatterte heran.

      „Nicht das hat mich ergrimmt“, fing der Ritter wieder an, „daß er auf einmal den frohen Marsch hinüberleitete in den Choral; denn ich liebe unsere Kirchenlieder, und es war wundersam und rührend, wie die andern Töne stutzten und aus der Reihe kamen und hin und her schwirrten, bis der Trompetenton sie alle zwang und sie wohl oder übel und schließlich sehr wohl mit ihm zogen. Darüber habe ich mich gefreut. Aber als er nun vor der Tür zu unserm Brautgemach die Trompete absetzte und mit lauter Stimme zu singen anhub:

      ‚Wer weiß, wie nahe mir mein Ende?

      Hin geht die Zeit, her kommt der Tod; — ‘

      und als ich die bestürzten Gesichter der Herren und Frauen sah, die uns zu unserm Gemach geleitet hatten, da wallte in mir der Zorn auf.“

      „Du griffst nach deinem Dolch“, sagte sie vorwurfsvoll.

      „Ich weiß es.“ — „Wie ein Engel hat er gesungen.“

      „Wie ein Engel. Um so furchtbarer war mein Grauen. — Du verstehst doch. Vor der Schwelle zur Hochzeitskammer wird keiner gern an das Sterben erinnert. Und — Ursula — du weißt doch, mit welchen Gedanken alle, die mein Haus liebhaben, die Tür anschauen, die zum Brautgemach führt; du weißt doch“, er senkte die Stimme, „was viele gute Menschen vom heutigen Tag erwarten für mein Geschlecht.“

      Ursula nickte mit dem Kopf und stand da wie jemand, der gewärtig ist.

      Aber Friedrich war in seinen Gedanken noch ganz bei jenem Vorgang.

      „Da war mir der Gesang, der vom nahen Ende und vom herkommenden Tod kündete, wie ein Schlag ins Gesicht, und ich wurde zornig. Aber ich dachte an etwas, woran mich Gottes Geist erinnert, wenn die Wut über mich kommt, und ich sagte zu mir: der Herr hat’s ihn geheißen. Da wurde ich ruhig und konnte um mich blicken. Du standest in Tränen und wolltest nicht über die Schwelle — deine Muhme schlug die Tür zu. Unsere Gäste standen verstört und betreten in Gruppen, die Musikanten waren auseinander gestoben, nur der unglückselige Trompeter stand an der Wand. Der erboste Landschad schrie auf ihn ein, und Venningen rief mir zu: ‚Wirf den Schelmen in den Turm!‘ Ich aber sagte: ‚Er steht im Frieden meiner Burg. Ich bitte die Gäste, uns zu verlassen. Die Musik voran! Hinunter in die Stadt! Viel Freud’ und Glück! Auf Wiedersehen morgen in der Früh‘.“

      „Von all dem weiß ich nichts“, sagte Ursula. „Wo war ich doch mit meinen Gedanken?“

      „Du standest und weintest still vor dich hin. Ich habe noch nie einen Menschen so weinen sehen: die Augen weit offen, das Gesicht still, der Mund zusammengepreßt, kein Laut, aber Tränen und Tränen wie quellende Wasser. Da rief ich dem Trompeter: ‚Bitte die Herrin um Vergebung!‘ — Ich tat es um seinetwillen, denn sie schalten ihn greulich. Er hörte nicht; da nahm ich dich bei der Hand und führte dich zu ihm und wiederholte: ‚Bitte die Herrin, daß sie dir vergebe!‘ Er rührte sich nicht. Er hatte nicht gehört. Und nun sah ich das Merkwürdigste von der Welt: er stand und weinte geradeso wie du: die Augen weit offen, das Gesicht regungslos, die Lippen geschlossen, kein Laut, aber Tränen und Tränen wie quellende Wasser. Verwundert sah ich von ihm zu dir und von dir zu ihm, und mein Staunen wuchs. Ursula, er sieht dir ähnlich wie ein Bruder, der seiner älteren Schwester aus dem Gesicht geschnitten ist. Komm, ich will dir zeigen, wo er dir ähnlich ist; da — und da — und da — und da.“

      Er küßte ihr die Stirn und die Brauen und beide Augen und das Grübchen im Kinn und dann ihren Mund.

      Die Trompete drunten am Neckar jauchzte, ein heller Blitz und ein munterer Donnerschlag flammte und rollte über den Kuß, der länger währte als das rollende Echo und der Raketenstrahl des Trompetenklanges. Es war still und finster, als Friedrich sein Haupt hob und seinem Gemahl ins Ohr flüsterte. Sie nickte unmerklich, und die beiden wandten sich langsam, verließen den Altan und traten in die Kemenate.

      Ursula stand in der Mitte des Zimmers und harrte. Friedrich holte die Ampel hinter ihrem Schirme vor und schob den Riegel der Tür zurück. Ehe er öffnete, sah er sein Weib lächelnd an.

      „Wir müssen dem Trompeter dankbar sein“, sagte er. „Ist es nicht so viel schöner, als wenn die, die jetzt drunten zechen und tanzen, alle hier ständen, und wir hörten hinter der Tür ihr Lärmen und Pochen und den frechen Pfeifenton, und wir säßen da und zitterten und fürchteten uns vor dem wüsten Lärm. Wie ist es doch so viel heimeliger und traulicher!“

      „Oh, es war schrecklich!“ sagte Ursula. „Ich verging vor Scham, darum hatten auch die Tränen solche Gewalt über meine Augen.“

      „Ursula, komm!“

      Er öffnete die Türe weit. Ein Windstoß kam ihnen entgegen. Die Ampel flatterte hoch.

      Ursula warf einen Blick durch die Tür und fragte betreten: „Wo führst du mich hin?“

      „Wohin? In unser Schlafgemach.“

      „Hier ist kein Gemach; hier ist ein Gang.“

      „Wohl; er führt an der Mauer hin, aus dem neuen Haus in das alte Haus; links ist die Tür in dein und mein Schlafzimmer. Seit unser Geschlecht hier oben haust, haben dort die Ritter bei ihren Frauen geschlafen.“

      „Und dort das schwarze Fenster?“

      „Es geht in den hinteren Graben und schaut in den Tannwald. Das Fenster ist nicht geschlossen. Daher der Windzug, der dich erschreckt hat. Wir schließen das Fenster im Vorübergehen. — Ursula, dir schaudert?“

      „Ja“, sagte sie und zitterte. Sie stand noch immer jenseits der Schwelle, im neuen Haus.

      „Dort aus dem Gange hat es geseufzt.“

      Friedrich erbleichte.

      „Das ist vorbei“, sagte er leise vor sich hin.

      „Was ist vorbei? Ich hab’ es wohl gehört, was du gesagt hast. Du selber bist bleich.“

      „Oh, Ursula, frag nicht! Die Vergangenheit liegt schwer auf meiner Seele, und ich werde sie nicht los, weil ich meinen Namen nicht los werde. Du bist mein starkes, treues Weib, du hilfst mir tragen. Aber höre, Ursula, wir wollen unwissend tragen. Oh, zwinge die Vergangenheit nicht, dir zu antworten! Laß sie ruhen und schweigen. Ursula, komm und gib mir dein süßes Herz!“

      Sie wollte kommen. Aber von neuem schreckte sie zurück.

      „Ich kann ja nicht!“ flüsterte sie. „Es stöhnt so entsetzlich dort!“

      Friedrich sah erleichtert auf. „Allerdings“, sagte er, „das ist ein lebendiger Mensch. Einer von den Wunderlichen. Er fragt so viel; dadurch ist er sich zur Last, und mir ist er’s auch. Jetzt sitzt er im Burggraben oder läuft drinnen umher und klopft an die Mauern und fragt die schweigenden Steine. Es ist dies nicht hübsch für dich und für mich. Aber sei ohne Furcht. Er tut dir nichts zuleid. Und in der Burg selber erschreckt er dich nicht. Es ist ihm verboten, sie zu betreten. Aber draußen lassen wir ihn gewähren, Ursula, daß er tue nach seiner seltsamen Weise. Denn der Herr hat es ihn geheißen. — Ursula, komm, gib mir dein süßes Herz.“

      Er hielt die Ampel hoch, faßte sein Weib an der Hand und schritt vorwärts.


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