Das deutsche Herz. Adolf Schmitthenner
Zieh mir den Stahl heraußen.
Da dreht er ihn in der Wunde herum.
Des mußt er sich verbluten.“
„Das Lied lügt“, stöhnte Friedrich. „So war es nicht!“
„Herrgott, donnere!“ rief Ursula. Dann bedeckte sie ihm den Mund mit wütenden Küssen. Sie zog seinen Kopf zu sich her und tat wie unsinnig vor Liebe. Aber sie vermochte nicht, seine Seele aus ihrem fürchterlichen Lauschen zu reißen. Sie selber überhörte in ihrer Raserei die folgenden Strophen; aber er saugte jedes schmerzende Wort. Als sie ermattet abließ, sangen die Bursehen gerade unter der Burg:
„Von Ingelheim die Beußerin
Hob ihre schneeweißen Hände.
Verflucht sei deiner Frauen Schoß,
Eine Kröte soll sie gebären.“
Ursula brach in bitteres Weinen aus.
„Ein Zeichen trägst du an der Stirn,
Es grauset deinen Erben.
Du jagst sie selber in den Tod.
Dein Haus soll mit dir sterben.“
Die Burschen bogen um den Berg. Man verstand ihren Gesang nicht mehr.
In Ursula aber war der Zorn aufgelodert und hatte über Schrecken und Schmerz überhandgenommen.
„Es ist empörend!“ rief sie. „Das wagen deine Untertanen? An deinem Wein haben sie sich berauscht, und nun schmähen sie dich, wie noch kein Mörder geschmäht worden ist.“
„Sie wissen nicht, was sie tun“, sagte der Ritter düster.
„Bist du ein Herr, daß du solches dulden magst?“ rief Ursula unmutig.
„Sie denken sich nichts dabei. Sie wissen kaum, daß ich es sei. Jeder von den beiden dort unten geht doch für mich durchs Feuer.“
„Woher haben sie das Lied?“
„Leonhard hat sie’s gelehrt.“
„Wer ist Leonhard?“
„Der Einsiedler. Der arme Narr, der dort hinten im Burggraben liegt und nach seiner Mutter sucht.“
Ursula schaute verwundert zu ihrem Gatten auf.
„Friedrich, ich verstehe dich nicht.“
„Laß ihn“, sagte er sanft. „Der Herr hat’s ihn —“
Ursula flammte auf. Sie hielt ihm den Mund zu.
„Tu mir die Liebe und sage dies Wort nimmer. Du lästerst.“
Der Wind war wieder in die alte Richtung umgesprungen, und es fielen schwere Tropfen. Die beiden setzten sich auf ein Bänklein in der Mauernische, so daß sie vor dem Regen geschützt waren, solange ihn nicht der Wind peitschte.
Friedrich schlang den Arm um sein Weib und sagte: „Das Gewitter kommt nun doch. Hörst du, das Ersheimer Gewitter glöcklein läutet.“
Sie falteten die Hände und beteten still.
Aus dem Städtlein kam eine schwatzende Schar dem Neckar zu.
„Es sind die Musikanten“, sagte Friedrich. „Sie fahren doch im Nachen. Ich höre die Stimme des Fährmanns Stapf. Er fährt sicher, wenn er nicht trunken ist. Sie sind im Zwist, hörst du?“
Verworrenes Geschrei tönte herauf.
„Versprich mir!“ sagte Ursula.
„Was, du Liebe?“
„Sag nicht mehr das feige Wort.“
„Welches?“
„Der Herr hat sie’s geheißen.“
„Das Wort ist nicht feig“, sagte Friedrich ernst. „Siehst du, unsere Vergangenheit ist ein fertiges Ding. An ihr können wir nichts ändern. Was aus dieser Brunnenstube quillt, das müssen wir in unser Leben fließen lassen, sei es Fluch oder Segen. Meine Vergangenheit ist furchtbar und dunkel. Du hast großen Mut, Ursula, daß du sie mit mir teilen willst. Wir müssen sie tragen. Aber die Zukunft, die bauen wir uns selber mit eigenen glücklichen Händen.“
Ursula schüttelte den Kopf.
„Wer die Vergangenheit nicht meistert, ist auch über die Zukunft nicht Herr. Du denkst zu viel an das, was dahinten liegt. Nicht tragen, sondern vergessen wollen wir miteinander. Und dazu wollen wir uns liebhaben. Man sagt, die Minne habe solche Gewalt, daß man in ihren Wonnen alles vergißt.“
Sie lauschte erwartungsvoll auf seinen Odem, auf sein nächstes Wort.
Als er still blieb, seufzte sie leise und fing von neuem an.
„Auch ich habe eine ungute Vergangenheit. Ich kenne sie nicht, man hat sie vor mir verhüllt. Aber ich ahne, daß sie nichts Trautes birgt. Als ich noch ganz klein war, hatte ich jemand, der mit mir spielte und Leonhard hieß wie dein Feind im Burggraben. Mich dünkt, es war mein Bruder.“
„Du redest wunderlich. Dich dünkt?“
„Ja; wenn ich später von ihm redete, sagten meine Eltern, ich hätte geträumt. Ich hatte nicht geträumt, das wußte ich ganz genau. Aber die Eltern wollten’s so haben, da ließ ich es sein.“
Ursula schwieg eine Weile; dann fuhr sie fort:
„Auch daß ich einmal einen andern Vater und eine andre Mutter gehabt habe, hat mir nicht geträumt. Ich sehe sie noch deutlich vor mir. Meine Mutter war eine große schlanke Frau. Sie hat etwas in ihren Augen gehabt —“
„Wie du, Ursula.“ Er zog sie an sich und küßte ihre Augen und ihren Mund.
Ursula lächelte glückselig. Ihre Frauenlist hatte erreicht, was sie wollte.
„Hast du schon einmal so wunderliche Augen gesehen, wie meine?“
„Wie deine? Ja. Heute abend bei dem jungen Trompeter.“
„Oh weh, was hab’ ich getan!“ seufzte Ursula in der Stille.
„Auch bei Leonhard“, fuhr Friedrich fort, „dem armen Menschen, der vielleicht jetzt noch um die Burg streicht.“
„Auch schon einmal bei einer Frau?“ raunte Ursula und schmiegte sich an ihn.
„Bei einer Frau? Nein. — Doch, bei einer einzigen, die ich einmal gesehen habe als zwölfjähriger Knabe.“
„Wer war es?“
„Ich weiß es nicht.“
„Wo hast du sie gesehen?“
„Wo? Hier. Nicht weit — von hier. — Ursula, du quälst mich mit deinen Fragen.“
Seine Stimme war hart und rauh geworden.
Ursula biß sich auf die Lippen. Sie faßte einen Entschluß.
„Du zitterst, Geliebter“, sagte sie und stand auf. „Komm, wir wollen zur Ruhe. Ich fürchte mich nicht mehr vor jenem Gang; ich schließe die Augen, und du führst mich. Oder du schließest die Augen? Dann führe ich dich. Aber den Strauß nehmen wir mit. Denn das Wetter kommt. Wo ist er nur?“
„Oh Ursula“, klagte Friedrich. „Sie haben alle geschlafen. Warum hast du sie geweckt?“
„Ich?“
„Laß, du liebes Herz!“ Er ergriff ihre Hand. „Wir wollen gehen.“
„Aber der Gewitterstrauß, Wo ist er?“
„Ich habe ihn auf die Brüstung gelegt.“
„Er ist nimmer da, er ist hinuntergefallen. — Oh, wie es blitzt! Was das Glöcklein wimmert! Wie sie johlen und schreien in der Stadt! Welch häßliches Schelten und Streiten. Was ist das für eine grobe Stimme?“
„Es