Auslandspass Nr. 188042. Axel Rudolph

Auslandspass Nr. 188042 - Axel Rudolph


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      Axel Rudolph

      Auslandspass Nr. 188042

      Kriminal-Roman

      Saga

      1.

      Den ganzen Tag hat es geregnet. Erst gegen Abend hat der Wind die Regenwolken vertrieben. Durch ziehende Wolkenfetzen zwängt sich schon ein bleicher, dunstumkränzter Mond zeitweise hervor.

      Otto Brielow gefällt der Witterungsumschlag gar nicht. Mondschein — das hat ihm gerade noch gefehlt. Da ist die Lichtung. Wenn man sie überquert, sind es nur noch etwa zwanzig Minuten durch den Busch bis zum Dorf. Nee, lieber nicht! So oft der verdammte Mond aus den Wolken hervorguckt, liegt die ganze Lichtung in fahler Helligkeit da. Und drüben, hinter den Kiefern des Waldrandes liegt die Jagdhütte. Man kann sie von hier aus nicht sehen, wohl aber könnte gar leicht ein Jägerauge von dort den Mann entdecken, der die Lichtung überquert.

      Nebel geistern um die Senke, spinnen Fäden von Gestrüpp zu Gestrüpp. Knorrige, einzelstehende Baumstrünke drohen schwarz und schattenhaft. Nasses, hartes Gras, Sumpfland, wirres Gestrüpp und schwarze Kiefernwälder. Drüben fällt das Mondlicht auf das geisterhaft bleiche Band eines Sandweges, der sich im hügeligen Gelände verliert. Eine Nacht und eine Landschaft, in der alle Geisterchen und Kobolde der Mark lebendig werden. Man könnte träumen von Frau Hake und Frau Huk, von Irrlichtern und Nebelgeistern.

      Otto Brielow hat keinen Sinn für Sagen und nächtliche Spukstimmung in Heide und Moor. Er möchte jetzt auch viel lieber Frau Hake oder dem Teufel persönlich begegnen als etwa dem Wachtmeister Panz oder zum Beispiel dem Jagdpächter von Dahlen, der da drüben in der Hütte haust. Vorsichtig schlägt er einen weiten Bogen um die Lichtung, tastet sich im Finstern durch Wald und Buschwerk, bis er zwischen den Bäumen den hellen Streifen der Landstraße schimmern sieht. Das Jagdhaus des Herrn von Dahlen liegt jetzt hinter ihm. Drüben, jenseits der Landstraße kann ihm keiner was. Das ist schon Pritzower Gemarkung.

      Otto Brielow will schon mit einem Satz seiner langen Beine über den Graben und auf die Landstraße, als er plötzlich stehenbleibt, sich einen Augenblick duckt und dann sich leise in den dunklen Graben zwischen Wald und Straße gleiten läßt.

      Himmelarschundwolkenbruch, was ist das nun wieder? Da hält doch ein Personen-Kraftwagen auf der Landstraße, kaum fünfzig Schritt entfernt. Ganz unvorschriftsmäßig, ohne jedes Licht. Während Otto Brielow im Graben kauert und die Lage spannt, überlegt er angestrengt, was das bedeuten kann. Daß der Wagen die Lichter ausgeschaltet hat, ist zwar ungehörig, hat hier aber nicht viel zu sagen. Über die Straße Pritzow—Wiepswalde geht nachts kaum ein Verkehr, selbst bei Tage selten genug, seitdem die neue große Autostraße in Betrieb ist. Aber wie kommt der Wagen überhaupt hierher? Kaufmann Schulzens Wagen ist es nicht, der ist bedeutend kleiner. Und sonst hat niemand in Pritzow einen Kraftwagen. Hat etwa der Alte drüben in der Hütte Besuch? Ach Quatsch, dann wär der Wagen doch in den Seitenweg eingebogen, der kaum hundert Meter unterhalb direkt bis zur Jagdhütte führt. Jedenfalls würde er nicht einsam hier auf der Landstraße parken.

      Otto Brielows Gedanken beginnen das einsame Auto mit unliebsamen Gestalten in Verbindung zu setzen. Wer kann schon nächtlicherweile hier dem Wald einen Besuch abstatten? Gendarmerie? Polizei? Hm, vielleicht ist es doch ganz gut gewesen, das, worüber man seit einer Stunde innerlich geflucht hat. Nämlich, daß der Rucksack heute wider Erwarten leer geblieben ist. Das wär so was, wenn man Otto Brielow jetzt hier geschnappt hätte, mit einem fetten Hund im Rucksack. Wirklich besser so. Aber sehen darf man sich trotzdem nicht lassen. Derartige Herren — wenn es wirklich solche Brüder sind — fragen dem Teufel ein Ohr ab, wollen ganz genau wissen, warum und wieso ein Pritzower Bauer zur Nachtzeit hier durch die Heide spaziert. — Nanu!? Was war das?

      Otto Brielow hat sich in seiner Hockstellung jäh herumgeworfen, reckt den Hals und horcht angestrengt in den Wald. Ein Schuß! Ohne Frage war das eben ein Gewehrschuß. Von da drüben kam’s. Ziemlich weit her, oder — der Schuß müßte da drüben im Jagdhaus gefallen sein. Ach, ist ja lächerlich. Der alte Dahlen ist doch kein Blödsinniger, der zum Vergnügen in seiner Hütte rumballert! Muß also ein ganz Ende weitab gewesen sein. Jenseits der Lichtung, wahrscheinlich in dem Waldstück, das man die Meesekiste nennt. Aber wer zum Deubel kann da jetzt schießen? Dahlen ist nicht im Revier. Der sitzt in seiner Hütte. Das ist sicher, denn Otto Brielow hat vorhin an der Lichtung deutlich Lichtschimmer durch die Ritzen der Fensterläden sehen können. Der alte Dahlen ist viel zu vorsichtig, die Petroleumlampe in seiner Holzbude brennen zu lassen, wenn er auf Pirsch geht. Verfluchtzig, sollte da jemand anders den fetten Braten geholt haben? Ein jemand, der die Frechheit hat, im Auto herzukommen? Doch, so was gibt’s. Der Schlächter-Hans aus Wiepswalde hat früher immer die geschossenen Böcke in seinem Wagen heimgefahren. So lange, bis sie ihn erwischten und ihm Brandenburg-Görden verpaßten.

      Otto Brielow ist selber kein Kraftfahrer, sonst wäre ihm wohl früher schon der Gedanke gekommen, der nun erst in ihm auftaucht: Wie, wenn der unbeleuchtete Wagen da vorne eine Panne hätte! Wenn am Ende ein Unglück da geschehen wäre! Er hat schon beschlossen, sich im Graben näher heranzupirschen, um auf jeden Fall mal festzustellen, ob man etwa seiner Hilfe bedarf, als urplötzlich die Scheinwerfer des Wagens aufflammen. So plötzlich kam das, daß Otto Brielow nur eben noch durch einen Satz seitwärts dem Lichtkegel entgehen kann, der breit und frech Landstraße und Graben erhellt, Motorengeräusch — eine Minute später gleitet der Wagen an der Stelle vorbei, wo Otto Brielow sich hinter einem Fichtenstamm duckt. Die Nummer kann er nicht erkennen, so schnell ist der Wagen vorüber. Eins aber hat er ganz deutlich gesehen: daß am Steuer ein Mann saß, ein Mann in einem hellen Mantel; wahrscheinlich war es ein Regenmantel.

      Komisch — sinniert Otto Brielow —, der muß die ganze Zeit im Wagen gesessen haben. Wenn er neben dem Auto gestanden hätte, müßt’ ich ihn doch in seinem hellen Mantel vorher schon gesehen haben. Durch den Wald, etwa von der Jagdhütte her, kann er auch nicht gekommen sein. Kein Mensch kann im Dunkel hier so vorsichtig gehen, daß keine Zweige knacken und ich es nicht hören sollte.

      Die Hauptsache bleibt: es waren also doch keine „Grünen“. Otto Brielow will schon beruhigt seinen Weg fortsetzen, als ein neues Geräusch ihn wieder haltmachen läßt. Diesmal kommt es aus dem Wald und klingt, als ob ein starkes Tier durch das Geäst bräche. Da geht einer — stellt Otto Brielow bei sich fest. Einer, der es eilig hat. Am Ende gar der Jagdpächter Dahlen, der vorhin auch den Schuß gehört hat und mal nachsehen will, was sich in seinem Revier tut? Dem möchte ich nun nicht gern in den Weg rennen. Warten wir lieber noch ’ne Kleinigkeit.

      Otto Brielow tut es. Die Gefahr, hier im Dunkeln entdeckt zu werden, ist nicht groß. Herr von Dahlen hat keine Hunde. Das Knacken der Äste verliert sich. Der Mann, der dort in der Heide ging, scheint sich in ganz entgegengesetzter Richtung zu entfernen. Also ist es doch wohl Herr von Dahlen gewesen, der sich aufgemacht hat, um nach der Ursache des Schusses zu forschen. Denn dort drüben kommt man auf keinen Weg, der zu einer Ortschaft führt.

      Noch fünf Minuten wartet Otto Brielow, dann geht er rasch über die Landstraße und taucht im jenseitigen Waldstück unter. Eine halbe Stunde später schleicht er durch das Zaunpförtchen an der Rückseite des Brielowschen Häuschens, gelangt richtig, ohne Muttern zu wecken, in seine Kammer und beginnt leise fluchend die nassen Langschäftigen auszuziehen.

      Otto Brielow schläft fest und gesund, bis ihn das Tagewerk aus den Posen ruft. Aber während er das Vieh besorgt, gehen ihm doch wieder die sonderbaren Dinge der Nacht im Kopf herum. Das Auto! Der Schuß! Irgend etwas stimmte da doch nicht. Als er Franek, den Hofarbeiter von Bauer Günter, draußen vorbeischlurfen sieht, einen Henkelkorb am Arm, ruft er ihn kurz entschlossen an.

      Franek — kein Mensch in Pritzow außer dem Ortsvorsteher weiß, wie er sonst heißt — ist ein kleiner, vermickerter Pole aus Oberschlesien, der einmal vor zehn Jahren hier untergekrochen und ebenso lange schon bei Bauer Günter im Dienst ist. Er bringt ab und zu frische Eier und Butter zu Herrn von Dahlen in die Jagdhütte und bestätigt auf Ottos Frage, daß er auch jetzt eben dorthin unterwegs ist.

      „Wart mal, Franek“, entscheidet Otto und schließt die untere Hälfte der Stalltür. „Ich werd ’n Sticke mit dir gehn.“

      „Kaffee trinken kommste!“ gellt aus dem Küchenfenster die energische


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