Auslandspass Nr. 188042. Axel Rudolph

Auslandspass Nr. 188042 - Axel Rudolph


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Nacht gegen zwölf Uhr einen Schuß aus der Richtung des Jagdhauses gehört und ein auf der Landstraße Pritzow—Wiepswalde parkendes, unbeleuchtetes Auto gesehen haben. Dieser Kraftwagen fuhr kurz nach dem Schuß in Richtung Wiepswalde davon. An seinem Steuer saß nach Aussage des Landwirts Brielow ein Mann in einem hellen Mantel, wahrscheinlich Regenmantel.

      Da somit das Vorliegen eines Verbrechens wahrscheinlich erscheint, habe ich zur Spurensicherung das Jagdhaus unter Belassung alles Vorgefundenen unter Verschluß genommen. Ferner habe ich Sorge getragen, daß auch die nähere Umgebung des Jagdhauses bis zum Eintreffen der Mordkommission nicht betreten wird.

      Der Kriminalpolizei habe ich unverzüglich Meldung erstattet.

      Pritzow, den 4. April 1934.

      gez. Panz,

      Gend.-Oberwachtm.

      Wachtmeister Panz sieht auf von dem kleinen Holztisch der Veranda, auf dem er seinen Bericht geschrieben hat. Franek hat mit seiner Botschaft nicht nur die Gendarmerie, sondern das ganze Dorf alarmiert. Ein gutes Dutzend Männer und Frauen sind mit ihm zur Jagdhütte zurückgekommen, von dem Wachtmeister aber in achtungsvolle Entfernung verwiesen worden, um nicht etwaige Spuren zu verwischen. Nur der Ortsvorsteher sowie Otto Brielow und Franek dürfen sich auf der Veranda aufhalten.

      Wachtmeister Panz streift mit sorgenvollem Blick den noch immer etwas blassen Otto Brielow, der gegen seine sonstige Gewohnheit ganz still und kleinlaut geworden ist, seitdem der Arzt den Tod des Herrn von Dahlen festgestellt hat. Ja, der Otto Brielow! Daß der auch gerade die Sache hier entdecken mußte. Ist sonst ein guter Kerl, der Otto. Tüchtiger Arbeiter. Aber leider wohl im geheimen so ein bißchen Wildschütz. Nicht der einzige hier in der Gegend, bewahre. Es gibt eine Menge Bauern hier, denen die Jagdleidenschaft im Blute sitzt. Aber die meisten sind vorsichtig geworden und lassen die Finger davon. Otto Brielow nicht. Man hat ihm bisher noch nichts nachweisen können, aber jeder im Dorf weiß, daß er manchmal nachts „ausgeht“. Und ausgerechnet diese Nacht war er also hier in der Nähe.

      Wachtmeister Panz starrt sinnend vor sich hin. Otto Brielow also. Er geht ihn nichts an, er kennt ihn nur, wie er jeden Bauern in seinem Postenbereich kennt. Aber da ist die Hilde, seine Schwester! Drüben steht sie zwischen den anderen Neugierigen. Bei ihr ist’s wohl weniger Neugierde als Sorge um den Bruder, die sie hergetrieben hat. Ja, da steht sie nun. Die Sonne flimmert auf ihrem hellen Haar. Und diese Hilde Brielow — es läßt sich nicht leugnen, daß Wachtmeister Panz sie sehr gerne hat. Er hat manchmal schon den Gedanken erwogen an eine Heirat. Hilde Brielow ist hübsch, jung, gesund, arbeitet wie ein Pferd, und Mutter Brielow ist auch nicht arm genug, um ihrer Tochter nicht eine Aussteuer mitgeben zu können. Wenn sie auch immer jammert und tut, als ob sie keinen Pfennig besäße. Und nun soll er also den Bruder ...? Ja, das hilft nun nichts. Dienst ist Dienst und Pflicht ist Pflicht.

      Wachtmeister Panz hebt den Kopf zu dem Ortsvorsteher, der eben etwas gesagt hat. „Wie meinten Sie, Herr Thieme?“

      „Ob da nich die Luders dahinterstecken, die vorige Woche in Gorz eingebrochen haben, mein’ ich. Sie wissen doch, Herr Panz, der Einbruch da in ’ner Jagdhütte. Man könnt sich denken, daß die Kerle sich noch hier rumtreiben und am End auch hier ... so ’n Gesindel ...“

      „Wir müssen die Untersuchung abwarten. Brielow, kommen Sie bitte noch mal her. Wo waren Sie eigentlich vorige Nacht?“

      „In Wiepswalde war ick. So ’n bißken.“

      „Bei wem?“

      Otto Brielow fühlt den Schweiß auf seiner Stirn. Verdammt nochmal, wenn man doch auf Muttern gehört und die Finger davongelassen hätte! Jetzt sitzt man drin. Der Wachtmeister wird sich in Wiepswalde umhören und ... „Also det mit Wiepswalde is Quatsch“, verbessert sich Otto verlegen. „Ick wollte nach Wiepswalde, aber ick bin denn bloß so ’n bißken durch die Heide gelaufen.“

      „Nachts?“

      „Bei Tach hab ick doch keene Zeit. Det is doch nich verboten, abends spazierenzulaufen.“

      Wachtmeister Panz blickt ihn scharf an. „Otto, ich mein’s gut. Sagen Sie lieber die volle Wahrheit. Das mit dem Auto ist wohl ebenso Quatsch wie das mit Wiepswalde?“

      „Nee, det stimmt. Wenn det nich jewesen wär, dann wär ick heute doch nich mit Franek hergegangen.“

      „Sie meinen also, der Mann im Auto hat Herrn von Dahlen erschossen?“

      „Oder der andere. Det kann ooch sein. Der, wo nachher sich durch die Heide dünne machte. Aber ick denke immer, det kann ooch janz anders zugegangen sein. Dahlen hat vielleicht det Jewehr reinigen wollen und da is noch ’n Schuß drin jewesen und ...“

      „Wie erklären Sie sich dann, daß Sie den Schlüssel außerhalb gefunden haben?“

      „Ja, det versteh ick ooch nich.“ Otto atmet schwer und wirft einen hilfesuchenden Blick auf Franek, der immer noch krampfhaft seinen Eierkorb festhält.

      „Zurückbleiben! Zum Donnerwetter, ich hab Ihnen doch gesagt, daß niemand ...“ Wachtmeister Panz starrt ärgerlich auf das Mädchen, das sich drüben aus der Gruppe gelöst hat und trotz seines Verbotes zur Veranda herübergelaufen ist.

      „Ich laß mir nich verbieten, zu meinem Bruder zu gehn!“ flammt Hilde Brielow, sich dicht neben Otto drängend und seine Hand fassend. „Panz, det hätt ich nich von Ihnen gedacht! Pfui Deubel auch!“

      „Ich ... Was wollen Sie denn eigentlich?“

      „Meinen Sie, ich säh nich, was hier gespielt wird? Ich bin nich aus Dummbach, Herr Panz. Sie wollen Otto’n verhaften!“

      „Mir? Weswegen denn? Sei doch stille, Hilde!“

      „Nee, ick bin nich stille bei so wat! Wenn Otto die Nacht aus war, Herr Panz, det is ganz wat anderes. Gehn Sie ihn doch nach und nehmen Sie ’n hopp, wenn er in de Heide liegt. Aber so wat! Otto soll ’n Menschen umgebracht haben? Da sach ick ... da schrei ick ... und wenn Sie det zehnmal verbieten!“

      „Nun mal Ruhe, Fräulein Brielow! Von Verhaften ist vorläufig noch keine Rede.“

      „Wat wollen Sie denn von Otto’n? Denn lassen Sie ihn doch gehn. Komm, Otto. Du mußt doch noch nach Sehnitz wegen der Bretter!“

      „Halt!“ Wachtmeister Panz hat unwillkürlich den Arm ausgestreckt. „Tut mir leid, Brielow, aber Sie müssen schon hierbleiben, bis die Kriminalpolizei kommt. Erstens müssen Sie als Zeuge gehört werden. Zweitens aber — wir wollen ehrlich sein, Brielow. Ehrlich währt am längsten. Daß ein gewisser Verdacht jeden trifft, der zur Tatzeit hier in der Umgegend war, ist Ihnen doch wohl selber klar.“

      „Otto’n trifft kein Verdacht!“ Hilde pflanzt sich kampfbereit vor dem Beamten auf. Ihre Augen sprühen. „Damit Se et genau wissen, Herr Panz, Otto hat nich nötig, so wat zu tun! Ich weeß schon, wat Se denken. Sie meenen, Otto wär in ’t Revier gewesen und hätt’ womöglich den alten Dahlen übern Haufen geschossen. Damit der ihn nich anzeigt. Pustekuchen! Wenn ’t wirklich so wär, ich meen, wenn Otto wirklich gewilddiebt hätt, der alte Dahlen hätt ihn deswegen nich angezeigt. Mit den stand Otto sich sehr gut. Der hätt schon meintwegen den Mund gehalten!“

      „Wieso Ihretwegen?“

      „Sag’s ihm doch, Otto! Immer feste weg, sonst glaubt der noch wirklich, du hättst det hier getan! Damit Se ’t wissen, Herr Panz! Dahlen ging mir nach. Er hat selber zu Otto’n gesagt, er könne ihm ruhig ’n paar Böcke wegschießen, wenn ich ... na also, wenn ich mal in die Jagdhütte käm!“

      Dem Wachtmeister steigt das Blut in die Stirn. „So, so. Das sind ja ... nette Sachen. Und Sie, Fräulein Brielow ...?“

      „Wat Sie machen, sind wohl keene netten Sachen? Otto’n verdächtigen, daß er ’n Sticke Mörder wär! Aber nu wissen Sie det, Herr Panz. Wenn Otto hätt wildern wollen, da braucht er noch lange keinen totzuschießen. Und überhaupt — wer so wat denken kann, das ... das muß ’n ganz dummer Mensch sein!“

      „Nun aber Schluß, Fräulein Brielow. Alles Weitere wird sich ergeben.


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