Auslandspass Nr. 188042. Axel Rudolph

Auslandspass Nr. 188042 - Axel Rudolph


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und die Geschichte erweist sich als höchst verwickelt. Ich fürchte fast, so wird’s auch diesmal werden. Was Sie da eben sagten, schmeißt uns alles über den Haufen, sowohl die Wilderergeschichte wie die vermutliche Täterschaft des Brögli.“

      „Aber, Herr Kommissar“, wendet Becker erschrokken ein. „Ich habe doch nur ... Es war nur ein ganz persönlicher Eindruck, den ich erwähnte.“

      „Ja, ja. Versteh schon. Aber mir kribbelte es in den Fingern, als Sie eben die Unordnung im Schreibtisch erwähnten. Böses Zeichen. Glauben Sie mir, Becker, dieses — hm — Fingerspitzengefühl ist wichtiger als alles andere. Wer das nicht hat, der soll in Gottes Namen die Kriminalistik an den Nagel hängen und sich einen anderen Beruf suchen.“ Kommissar John hat sinnend, halb zu sich selbst gesprochen. Nun wirft er die Anwandlung ab, packt seine Papiere zusammen und steht auf. „Also veranlassen Sie die Benachrichtigung der Grenzstellen, Becker. Dann haben wir mal wieder unseren Feierabend verdient. Ich seh Sie wohl nachher noch bei mir zu Hause? Soviel ich weiß, hat meine Frau Würstchen mit Kartoffelsalat. Und Waltraut ist auch daheim.“

      „Herr Kommissar ...?“

      „Na, was denn, Mann? Soll ich glauben, daß Sie meinetwegen so oft zu uns kommen? Mich können Sie tagsüber hier wohl genügend genießen.“

      „Verzeihung, Herr Kommissar, wenn ich aufdringlich ...“

      „Ach, Blech. Freu mich immer, Sie zu sehen, lieber Becker. Das wissen Sie doch. Und meine Frau und mein Mädel freuen sich auch. Also bis nachher denn.“

      „Besten Dank, Herr Kommissar.“

      3.

      „Uff! Endlich mal wieder vernünftig gefuttert!“ Kriminalkommissar John schiebt seinen Teller zurück, lehnt sich behaglich in seinen Stuhl und läßt eine Flasche Bier ins Glas glucksen. Er liebt es, gut und lange zu essen, kommt aber selten dazu. Oft genug muß Frau Margarete John seufzend das Mittagessen in die Röhre stellen, weil ihr Mann mal wieder nicht los kann vom Präsidium. Und kommt er dann endlich, hat er kaum Zeit, ein paar Bissen herunterzuschlingen. Muß gleich wieder weg.

      Frau John sieht, wie ihr Mann die Stiefel abstreift, und holt ihm schweigend die warmen Hausschuhe. Sie standen längst schon zum Anwärmen am Ofen, aber es ist besser, nicht darüber zu reden. John liebt es nicht, wenn man allzu besorgt um ihn ist.

      Frau John seufzt innerlich ein bißchen. Sie hat es nicht immer leicht. So vieles ist anders gekommen. Als sie im Jahre 1912 Alfred John heiratete, dachte noch niemand an die Polizeilaufbahn. John hatte die Rechte studiert und besaß ein kleines, väterliches Vermögen, das ihm erlaubte, eine Anwaltspraxis aufzumachen. Aber dann war der Krieg gekommen, und nachher war das Geld entwertet. John war nicht zusammengebrochen in dem allgemeinen Elend. Kurz entschlossen war er damals zur Polizei übergetreten.

      Die bitteren Jahre, da Alfred John sich als Anwärter mit seinen kleinen Tagesgeldern durchschlagen mußte, gehören der Vergangenheit an. Als es seiner Energie damals gelang, eine weit verzweigte Falschspielerbande zu entlarven, hatte man ihn fest angestellt. Heute ist Alfred John längst wohlbestallter Kriminalkommissar, bezieht ein auskömmliches Gehalt und kann sich die hübsche Vierzimmerwohnung in der Lessingstraße leisten. Aber Frau Margarete hat sich nie innerlich so recht mit dem aufreibenden Beruf ihres Mannes abfinden können.

      „Hast doch noch ein paar Würstchen aufgehoben, Grete? Becker kommt wohl noch heut abend.“ John nickt seiner Frau zu und blickt dann zu seinem Liebling hinüber, der zwanzigjährigen Waltraut, die mit hochgezogenen Beinen in einem breiten Sessel hockt und in ein Buch vertieft ist. „Was liest du denn so eifrig, Mäuschen?“

      „Magelhaens.“ Etwas ärgerlich kommt die Antwort. Waltraut denkt: Wenn Vater doch endlich mal das dumme „Mäuschen“ sich abgewöhnen würde. Ich bin doch kein Kind mehr!

      John trinkt langsam und mit Genuß das schäumende Bier. Seefahrtgeschichten — denkt er —, das hat sie von mir. Man müßte wirklich mal raus aus dem Trott. Sich den frischen Wind um die Ohren wehen lassen. Zum Beispiel mal nach den Kanarischen Inseln. Oder die afrikanische Westküste entlang. Es gibt da billige Gelegenheiten. So mit einem Bananendampfer. Waltraut müßte natürlich mit. Vielleicht auch Grete. Der täte das ganz besonders gut. „Im nächsten Urlaub reisen wir“, sagt er laut und vergnügt. „Paß mal auf, Grete, das wird ’ne Sache. Nicht auf so ’nem schwimmenden Hotel, sondern ganz gemütlich als einzige Fahrgäste auf einem soliden deutschen Frachter. Was meinst du dazu?“

      „Ja, das wäre fein, Alfred.“ Frau John nickt mütterlich, sofort bereit, den Gedanken, der ihrem Mann Freude macht, weiterzuspinnen. Ach ja, wenn er es doch nur wahrmachen wollte. Alfred sehnt sich ja schon jahrelang nach so einer Seereise. Aber er kommt nie dazu. Auch diesmal würde es nichts werden. Irgend etwas würde schon dazwischenkommen.

      „Und du, Mäuschen? Machst du mit?“

      Waltraut John schrickt ein bißchen zusammen und sieht herüber. „Was denn, Vater? Ich war so vertieft ins Lesen.“

      „Kohl nicht, Mäuschen. Hast ja eben gar nicht gelesen, sondern in die Luft geplinkert. Du, das machst du in letzter Zeit häufig. Was träumst du denn so?“

      Georg John, der fünfzehnjährige Sekundaner, schließt mit vernehmbarer Wucht seine Logarithmentafeln und grient die Schwester wissend an. „Die Lililili-Iiebe“ summt er vor sich hin.

      „Orsch, ich verbitte mir deine Dämlichkeiten!“

      „Was denn? Wollen wir wetten, daß du eben wieder an deinen Herrn Zaber gedacht hast, Waltraut?“

      „Ich kann denken, woran ich will. Kümmer du dich um deine Schularbeiten.“

      Frau John winkt heimlich und ängstlich den Kindern zu. Ihr Mann streckt sich behaglich im Sessel. „Zaber? Wer ist das?“

      „Waltrauts Schwarm“, beeilt sich der Sekundaner aufzuklären. „Sie hat ihn in Potsdam beim Segelklub ...“

      „Danke“, fährt die Schwester dazwischen. „Das kann ich selbst erzählen. Also, Vater, den Herrn, von dem Orsch da fabelt, hab ich im Segelklub kennengelernt. Du weißt doch ... Herr Zaber, von dem ich dir neulich erzählte. Wir lagen doch beim Ansegeln in einer unerhörten Flaute fast die ganze Nacht draußen vor Sakrow fest mit Herrn Teubners ‚Godenwind‘.“

      John erinnert sich undeutlich. „So, so. Hoffentlich hat sich der Herr anständig betragen?“

      „Aber Vater! Herr Zaber! Dieser Kavalier!“

      „Er hat wie ein getreuer Rittersmann an Bord Wache gehalten, während Waltraut pennte“, grinst Georg. „Das hat sie mir schon zwölf- und einhalbmal erzählt. Traun, muß Liebe schön sein.“

      Waltraut wirft ihr Buch wütend zur Seite. „Vater, sag dem dummen Bengel doch, daß er seinen Unsinn lassen soll! Aber das ist ja nur purer Neid. Weil er selber noch ein grüner Junge ist und Herr Zaber ein Mann, ein ...“

      „Ein Heros! Ein Genie! Der letzte Ritter ohne Furcht und Tadel!“ ruft Georg in komischer Begeisterung. „Übrigens sieht er tatsächlich gut aus, Vater. Alles, was recht ist.“

      John scheint die Sache nicht recht zu gefallen, aber er bemüht sich, es nicht zu zeigen. Er kennt doch sein Mädel. Waltraut ist vernünftig genug und weiß, was sie zu tun und zu lassen hat. Schließlich muß sie es auch wissen. Auf einen Sack Flöhe kann man aufpassen, auf ein junges Mädchen nicht. Anscheinend gleichgültig erkundigt er sich, was dieser Herr Zaber denn für ein Mann sei.

      Waltraut ist sofort zur Auskunft bereit. Etwas überhastig berichtet sie, Herr Zaber sei Mitte der Dreißig, Großkaufmann, sehr gut aussehend und von tadellosen Formen. Ein gut Teil seines Lebens habe er auf Reisen zugebracht, sei lange in Amerika und Australien gewesen. Zaber sei ein Mann, der fabelhafte Dinge erlebt habe und wunderbar erzählen könne. Im Segelklub schätze man ihn allgemein als glänzenden, liebenswürdigen und interessanten Gesellschafter.

      „Was Orsch sagte, ist einfach lächerlich“, schließt Waltraut ihren Hymnus. „Ich hab überhaupt nicht geschlafen an Bord.


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