Auslandspass Nr. 188042. Axel Rudolph

Auslandspass Nr. 188042 - Axel Rudolph


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die der Zeuge von diesem fremden Besucher hier gibt, ist höchst mangelhaft. Damit können wir nichts anfangen. Schade. Den Mann müßten wir auf jeden Fall einvernehmen.“

      „Jawohl, Herr Kommissar. Es ist der Bildhauer Hans Brögli, wohnhaft Wittelsbacherstraße 136.“

      Kommissar John hebt überrascht die Brauen. „Nanu. Wie haben Sie das so fix festgestellt, Becker?“

      „Ich bin sofort nach der Rückkehr vom Tatort zu der Wohnung des Herrn von Dahlen gefahren und habe dessen Ehefrau und Tochter einvernommen. Frau von Dahlen nahm die Nachricht von dem jähen Ende ihres Mannes merkwürdig gefaßt auf, wenn sie auch begreiflicherweise zuerst tief erschrocken war. Fräulein Irmgard, die Tochter, dagegen zeigte ein auffallendes Entsetzen und war fast einer Ohnmacht nahe, als ich die traurige Mitteilung brachte. Als ich nach dem Besucher zu fragen begann, sagte sie mir gleich hastig, ihr Verlobter, Herr Brögli, sei vorgestern in der Jagdhütte gewesen. Ich hatte den Eindruck, daß Fräulein von Dahlen annahm, ich wisse bereits den Namen. Durch Frau von Dahlen erfuhr ich dann weiter, daß Herr Brögli zwar noch nicht offiziell verlobt mit dem Fräulein ist, daß aber die beiden zu heiraten beabsichtigen. Herr Brögli ist vorgestern nach Pritzow gefahren, um dieserhalb mit Herrn von Dahlen zu sprechen. Dahlen war entschieden gegen das Verhältnis seiner Tochter mit Brögli.“

      „Interessant. Haben Sie schon festgestellt, was dieser Brögli für ein Mann ist?“

      Becker zieht sein Merkbuch zu Rate. „Hans Brögli, von Beruf Bildhauer, ist gebürtiger Schweizer. Geboren am 20. August 1904. In Berlin gemeldet seit 1926. Ungünstiges ist über ihn nicht bekannt.“

      „Weiter, lieber Becker. Ich seh Ihnen an, daß Sie noch was in petto haben.“

      „Jawohl, Herr Kommissar. Nachdem Frau von Dahlen sich zurückgezogen hatte, hab ich nochmals mit der Tochter gesprochen. Sie sagte mir, Brögli sei nicht mehr in Berlin. Er sei heute früh in Geschäften nach Hamburg gefahren, wo er einige Zeit zu bleiben gedenke. Fräulein von Dahlen will noch heute vormittag um 11 Uhr mit Brögli telephoniert und sich von ihm verabschiedet haben.“

      „Und das stimmt nicht?“

      „Nein, Herr Kommissar. Ich bin von Dahlens aus direkt zu der Wohnung des Brögli gefahren. Er ist in der Tat verreist. Nach Hamburg ist er indessen nicht gefahren. Seine Zimmerwirtin, Frau Lehmann, hat gehört, wie er heute früh telephonisch mit Fräulein von Dahlen gesprochen und ihr gesagt hat, er reise heute noch nach Zürich. Das war um acht Uhr heute früh. Kurz vor neun Uhr erschien die der Frau Lehmann wohlbekannte Irmgard von Dahlen in der Wohnung Bröglis, der bereits zur Abreise fertig war. Die beiden gingen zusammen fort. Der Hauswart Fabian, der ebenfalls Fräulein von Dahlen vom Sehen kennt, hat in Bröglis Auftrag eine Taxe herbeigerufen und auch gehört, daß Brögli dem Fahrer als Ziel den Anhalter Bahnhof angab. Fräulein von Dahlen fuhr mit Brögli zusammen fort. Danach ist also die Aussage Irmgards von Dahlen falsch.“

      „Sie deckt ihn“, nickt John. „Ganz klar. Hat Hamburg angegeben, obwohl sie genau weiß, daß er in die Schweiz gefahren ist, und ihn wahrscheinlich selbst zum Bahnhof gebracht. Haben Sie zu erfahren versucht, was Brögli in der vergangenen Nacht gemacht hat?“

      „Jawohl, Herr Kommissar. Etwas Bestimmtes war bis jetzt nicht zu ermitteln. Die Zimmerwirtin nimmt an, daß ihr Mieter die Nacht über zu Hause war. Gesehen hat sie ihn nicht. Brögli besitzt natürlich seine eigenen Schlüssel und kann Wohnung und Haus verlassen, ohne gesehen zu werden.“

      „Und die Unterredung in der Jagdhütte? Hat Fräulein von Dahlen sich nicht über das Ergebnis ausgelassen? Sie hat doch sicher mit ihrem Verlobten darüber gesprochen?“

      „Ganz recht, Herr Kommissar. Ihrer Aussage nach war Brögli sehr aufgebracht und verbittert, als er von Pritzow zurückkehrte.“

      „Halt. Wann war das?“

      „Vorgestern abend ist er bei Dahlens gewesen und hat mit den Damen gesprochen. Herr von Dahlen soll rundweg seine Einwilligung zu der Verlobung verweigert und Brögli sogar in schroffster Form jeden weiteren Verkehr mit seiner Tochter verboten haben.“

      „Hm. Also bestätigt es sich, daß die beiden in der Jagdhütte sich heftig gestritten haben. Der Schuhabdruck, lieber Becker? Stammt er etwa von Fräulein von Dahlen?“

      „Kaum, Herr Kommissar. Ich nahm bereits Gelegenheit, zu vergleichen. Es ist der Abdruck eines auffallend kleinen Frauenschuhs. Auch Fräulein von Dahlen hat größere Füße.“

      Kommissar John lehnt sich in seinem Stuhl zurück und denkt angestrengt nach. „Ein Mann ist bestimmt im Spiel, Becker. Daß eine Frau allein Dahlen niederschlagen konnte, halte ich für unwahrscheinlich. Ich merke, Sie tippen auf den Brögli. Er kommt zur Jagdhütte, um die Hand der Tochter Dahlens zu erbitten. Dahlen weist ihn schroff ab. Sie geraten in Streit. Brögli fährt wütend, vielleicht tödlich beleidigt, nach Berlin zurück. Möglicherweise ist er ein rachsüchtiger Mensch. Kann auch sein, ein verbrecherischer Charakter, der keine Bedenken trägt, das Hindernis, das zwischen ihm und Irmgard von Dahlen steht, aus dem Weg zu räumen. Er fährt in der Nacht noch einmal nach Pritzow zurück, und — hm. Möglich, daß Sie recht haben, Becker. Vielleicht auch nicht. Aber ob nun Otto Brielow oder Brögli oder XYZ der Täter ist, wir haben jedenfalls Grund, uns diesen Herrn Brögli mal vorzuknöpfen. Wann sagen Sie, sind die beiden zum Anhalter Bahnhof gefahren. Gegen 9,30 Uhr? Sehen Sie doch mal im Fahrplan nach, wie die Züge ...“

      „Bereits geschehen, Herr Kommissar. Ein D-Zug Berlin—Basel geht um 10,28 Uhr vom Anhalter Bahnhof ab. Er kommt um 23,52 Uhr in Basel an.“

      „Sehr schön. Da hätten wir ja noch Zeit. Das heißt, falls Herr Brögli nicht so vorsichtig gewesen ist, sich einen falschen Paß zu besorgen. Denn zur Herausgabe eines Signalements ist es schon zu spät. Wir haben ja auch nur eine mäßige Beschreibung zur Verfügung. Auf jeden Fall drahten Sie dringlich an die Grenzstelle Basel. Der Schweizer Staatsangehörige Hans Brögli, geboren am 20. 8. 1904, ist im Betretungsfalle anzuhalten und nach Berlin zu überstellen. Wissen Sie was, geben Sie die Nachricht vorsichtshalber gleich an alle Grenzstellen da unten. Vielleicht verläßt er früher den Zug und sucht über eine andere Grenzstelle in die Schweiz zu kommen.“

      „Jawohl, Herr Kommissar. Und Otto Brielow?“

      „Ganz richtig, daß Sie auch an den denken. Könnte am Ende doch so was wie eine Wilderer-Tragödie vorliegen. Aber der ist uns ja sicher, wie Sie selbst sagen. Ich nehme an, daß die Gendarmerie in Pritzow den Mann im Auge behalten wird?“

      „Ich habe den Oberwachtmeister in diesem Sinne instruiert.“

      „In Ordnung. Vielleicht fahre ich morgen mal selber raus und seh mir die Jagdhütte an. Bißchen frische Luft täte mir verdammt wohl.“

      „Das wäre sehr gut, Herr Kommissar. Es ist da nämlich noch etwas ...“

      „Na, was drucksen Sie denn, Becker? Kenn ich ja gar nicht an Ihnen. Also was ist noch?“

      Assistent Becker gibt sich einen Ruck. „Etwas Bestimmtes nicht, Herr Kommissar. Nur — ich habe den Eindruck, daß in der Jagdhütte nach etwas gesucht worden ist.“

      „Wieso?“ John greift wieder nach dem Bericht der Mordkommission und schaut hinein. „Geld und Wertsachen bei den Toten gefunden ... Allem Anschein nach nichts entwendet ... keinerlei Unordnung, die auf Raubmord schließen läßt ... Hm. Sind Sie der Ansicht, Becker, daß Dahlen irgend welche besonderen Wertobjekte in seiner Jagdhütte hatte?“

      „Schwerlich, Herr Kommissar. Es ist nur ... In der Schreibtischlade im Jagdhaus fand ich ein wüstes Durcheinander von allerdings unwichtigen Briefen und Papieren, während sonst alles in der Jagdhütte von musterhafter Ordnung zeugte. Frau von Dahlen bestätigte mir auch, daß ihr Mann geradezu pedantisch ordnungsliebend war. Herr Assessor Hakkedans meint allerdings, dieser Unordnung im Schreibtisch sei keine Bedeutung beizumessen.“

      Kommissar John hört nur noch halb hin. Er sitzt plötzlich ganz aufrecht und seine Augen haben einen fernen, entrückten Blick. Seine etwas kurzen, dicken Finger kribbeln.

      „Gefällt mir nicht“, murmelt


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