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Diese Reflexionen sind zweifellos nicht nur für Belarus wichtig, sondern für den postsowjetischen Raum ganz allgemein.
Solidarität zwischen den Generationen
Bemerkenswert ist auch die Tatsache, dass die einzigartige gesellschaftliche Solidarität, die im gesamten Land spürbar ist, sich auch als eine Solidarität zwischen den Generationen erweist. Unter den belarusischen Demonstranten gibt es Menschen ganz unterschiedlicher Generationen – ganz junge Leute, aber auch ziemlich alte Leute, und das ist in den Metropolen so und in den kleineren Städten und den Dörfern. Das ist ein wesentlicher Punkt: Es zeigt, dass die moralischen Empfindungen und Werte, die dem Aufstand zugrunde liegen, von verschiedenen Generationen geteilt werden. Das heißt, ihre Reaktionen als Menschen und Bürger auf die traumatischen Erfahrungen der Tage vom 9. bis zum 12. August waren dieselben. Das ermutigt uns, über die Bedeutung des Begriffs des kollektiven Traumas nachzudenken. Ist ein kollektives Trauma dasselbe wie ein geteiltes Trauma? Aus der belarusischen Erfahrung des gemeinschaftlichen, die Generationen umfassenden Protests heraus würde ich sagen, dass das geteilte Trauma – im engen Sinne – eine gesellschaftlich affektive Erfahrung ist, in der die Tatsache des Miteinander-Teilens selbst aufgewertet wird durch eine gemeinschaftliche Beziehung zu dem, was das Trauma auslöst hat. Gleichzeitig ist durch solches Teilen und Zusammenwirken zwischen den Generationen natürlich nicht ausgeschlossen, dass unterschiedliche Generationen unterschiedliche Wahrnehmungen dessen haben, was in Belarus geschieht, die geprägt sind von ihren jeweiligen soziokulturellen (biografischen) Erfahrungen. Hier gibt es ebenfalls eine spezielle Asymmetrie. Während die ältere Generation sich wegen des lang andauernden autoritären Regimes schuldig fühlt, merkt die jüngere Generation nun, dass sie in einer völlig anderen Welt lebt und leben will als derjenigen, die so brutal durch den belarusischen Staat durchgesetzt wird. Die derzeitige Solidarität zwischen den Generationen ist folglich eine ausgezeichnete Grundlage für Dialog und Zusammenwirken, wie sie künftig in einem neuen demokratischen Belarus zu entwickeln sein werden.
Bei dem Neuanfang, den wir erleben, geht es um die Lebendigkeit von Demokratie als einer gemeinsamen Lebensform. Einzigartig ist hier, dass die demokratische Lebensweise, die in Belarus derzeit entwickelt wird, sowohl ursprünglich liberalhumanistische als auch soziale und nationale Elemente verbindet. Es geht dabei gleichzeitig um die persönliche Freiheit und Würde, den eigenen Wert und gesellschaftliche Solidarität auf horizontaler Ebene sowie Einheit und Souveränität der Nation. Es gibt da einen wunderschönen Slogan: „Bis zu diesem Sommer kannten wir uns nicht.“ Das ist in der Tat ein unglaubliches Gefühl. Wir kommen aus dem Staunen gar nicht heraus – über die Tatsache, dass wir dermaßen solidarisch sein können, dass wir zusammen zu so dermaßen viel in der Lage sind, dass sich herausstellt, dass es da ein „WIR“ gibt. Dieses Staunen ist verbunden mit einer ganz speziellen Freude über unsere Solidarität miteinander. Für mich ist dieses Staunen – diese freudige Entdeckung unserer selbst, die gleichzeitig individuell und gemeinsam mit anderen geteilt ist – ein nicht mehr versiegender Kraftquell.
Aus dem Russischen und Englischen von Nina Weller und Andreas Rostek
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