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patriarchale Haltung. In weiten Teilen der belarusischen Gesellschaft herrscht die Meinung, dass die Frauen die Fäden im Hintergrund ziehen und das Leben im Land am Laufen halten. Die protestierenden Frauen zeigen, dass sie sich nicht unterordnen lassen und als „Kriegerinnen des Lichtes“ für die Zukunft ihrer Heimat, ihres Volkes und ihrer Kinder „spazieren gehen“. Sie zeigen ferner, dass die Instrumente des Patriarchats ins Leere laufen können, und geben damit der Nation das Vertrauen in ihren Gerechtigkeitssinn zurück. In der Mehrheit sind es keine erklärten Feministinnen, sondern Frauen, die sich mit „femininen“ Eigenschaften identifizieren und sie bei ihren Spaziergängen zur Schau stellen, sei es als inszenierte und romantisierte Bräute, als Mütter, die auf der stilisierten Polizeiuniform MAMA anstelle von OMON schreiben, oder als Sexualobjekte, die den Polizisten drohen, sie nicht zu bedienen …
Schließlich machten genau diese stereotypen Eigenschaften des „schwachen Geschlechts“, die normative Weiblichkeit, die drei zum role model für die Proteste in Belarus gewordenen Frauen, erst glaubwürdig. Swetlana Tichanowskaja, eine Mutter und ehemalige Lehrerin, betonte immer wieder, dass sie sich gezwungenermaßen als Platzhalterin für ihren inhaftierten Mann zur Wahl stellt. Allenfalls stellte sich heraus, dass Belarus für eine sich selbst aufopfernde Frau als Präsidentin bereit wäre. Nicht nur, weil das konträr zum chauvinistischen Gebaren des langjährigen Machthabers steht, sondern auch, weil das ins etablierte Frauenbild passt. So gesehen revolutionieren die Aktivistinnen und Demonstrantinnen nicht primär das Frauenbild von Belarus. Vielmehr sind sie als treibende Kraft zu verstehen, die das nationale Selbstbewusstsein neu ausrichtet und die Individuation der Gesellschaft vorantreibt.
Schlussendlich darf man nicht vergessen: Auf der Kehrseite gibt es noch die „Frauen fürs Grobe“, die hinter Lukaschenko stehen und dem Staat dienen. Mindestens drei davon sind für das Geschehen und die Gewalt im heutigen Belarus mitverantwortlich: Natallja Kačanava, Leiterin der Präsidialverwaltung und Vorsitzende des Rates des Republik; VoÍha Čamadanava, Pressesprecherin des Innenministeriums, und nicht zuletzt Lidzija Jarmošyna, Vorsitzende der Zentralen Wahlkommission, die dafür bekannt wurde, dass sie Wahlstandards missachtete. Ohne sie wäre das Frauenbild von Belarus nicht vollständig.
DIE REVOLUTION HAT KEIN FEMINISTISCHES GESICHT
Irina Solomatina
„Wir haben uns zusammengeschlossen, damit sich drei kleine Flüsse zu einem breiten Strom des Volkszorns vereinen.“
Swetlana Tichanowskaja, Juli 2020
„Der Sommer 2020 wird in die neue belarusische Geschichte eingehen, da diese Revolution ein weibliches Gesicht hatte. Denn in dieser Präsidentschaftswahlkampagne sind die Frauen anstelle ihrer Männer angetreten.“
Veronika Zepkalo, Oktober 2020
Die Präsidentschaftswahlen in Belarus wurden seit den Vorgängen nach den Wahlen 2010 mit Repressionen gegen all jene assoziiert, die ihre Unzufriedenheit mit dem Regime zum Ausdruck brachten. Bei den Wahlen 2015 und 2020 gab es jedoch ein neues Topthema: Frauen.
2015 war Tacciana Karatkievič als Kandidatin der vereinten Opposition zur Präsidentschaftswahl angetreten, 2020 kandidierten bereits zwei Frauen: Swetlana Tichanowskaja, Ehefrau des inhaftierten Bloggers Sergej Tichanowski, und Hanna Kanapackaja, ehemalige Parlamentsabgeordnete. Am 16. Juli 2020 gingen ein Foto und die dazugehörige Pressemitteilung des Wahlkampfstabes von Viktor Babariko durch alle Medien, auf die die sozialen Netzwerke mit einer Unzahl an Memes reagierten, von „das Regime kotzt alle so an, dass sogar eine Hausfrau Präsidentin werden kann“ bis „wenn solche Schönheiten gegen die fettgesichtigen Bürokraten antreten, bin ich auch für Feminismus“. Was war geschehen?
Die Wahlkampfstäbe der registrierten Kandidatin Swetlana Tichanowskaja und der nicht registrierten Kandidaten Valeri Zepkalo und Viktor Babariko hatten sich zusammengeschlossen. Die Massenmedien titelten: „Drei Frauen gegen Lukaschenko“, „Zeit der Frauen. Drei Wahlkampfteams gemeinsam gegen Lukaschenko“, „Weiberaufstand – Bringt der vereinte Stab Belarus Geschlechtergerechtigkeit?“.
Maria Kolesnikowa aus dem Wahlkampfteam von Viktor Babariko, die den Zusammenschluss initiiert hatte, berichtete auf tut.by, dass ihr Stab schon vorher eine Strategie besprochen hatte für den Fall, dass Babariko nicht zugelassen werden sollte, nämlich „anderen Kandidaten anzubieten, die Kräfte für das gemeinsame Ziel zu vereinen. Das gemeinsame Ziel ist ein Sieg am 9. August, ein Regimewechsel. Am Donnerstagmorgen (den 16. Juli) trafen sich unsere Teams zum ersten Mal zu gemeinsamen Gesprächen (…) Und nach einer Viertelstunde hatten wir diese fünf Ziele beschlossen, die jede von uns unterschreiben kann …“ Die gemeinsamen Grundsätze der Kampagne der vereinigten Wahlkampfstäbe sind auch nach der Wahl noch aktuell:
1.Am 9. August wählen gehen.
2.Wir befreien die aus politischen und wirtschaftlichen Gründen Inhaftierten, ermöglichen das Recht auf Revision der Urteile und einen fairen Prozess.
3.Wir wiederholen die Wahl nach dem 9. August 2020 unter fairen Bedingungen.
4.Wir informieren die Wähler über die Notwendigkeit, ihre Stimme auf verschiedene Weise zu schützen.
5.Wir rufen zur Beteiligung an Initiativen für faire Wahlen und zum Einsatz als Wahlbeobachter auf.
Die Registrierung Swetlana Tichanowskajas, einer Hausfrau, die stets ihre Erfahrung als Mutter und die Liebe zu ihrem Ehemann unterstrich, sollte zum erschöpfenden Argument werden und ein detaillierteres Programm ersetzen. Die „Natürlichkeit“ der Familienstruktur wurde direkt auf das Modell des Staates als einer großen Familie projiziert.
Die Genderwissenschaftlerin Anne McClintock nennt in Dangerous Liaisons: Gender, Nation, and Postcolonial Perspectives die Angleichung der Struktur des Nationalstaats an die der Familie (mit einem Mann als Oberhaupt, einer Frau und Kindern) das zuverlässigste Mittel, um heteropatriarchale Werte zu verbreiten, die der Frau vorschreiben, für den Mann zu leben. Die Präsidentschaftskandidatinnen erwähnten soziale Probleme ausschließlich in Bezug auf die Fürsorge (für den Ehemann, die Kinder und die Belarusen), und ihre Rhetorik ließ weder eine feministische noch eine genderspezifische Agenda erkennen. Auch der vereinte Wahlkampfstab kam vollkommen ohne frauenbezogene Themen aus wie häusliche Gewalt, Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt, oder die Tatsache, dass 85,6 Prozent der Beschäftigten im Gesundheits- und Sozialwesen Frauen sind. Sie wären ganz besonders auf Schutzausstattung während der Pandemie angewiesen, die zunächst das Regime und dann auch die Opposition ignorierte.
Nicht nur die Gender-Agenda, auch die Anerkennung der Gleichstellung der Frau wird von denen ignoriert, die hinter den „drei Grazien“ (so bezeichnete sie die Vorsitzende des zentralen Wahlausschusses, Lidzija Jarmošyna) und ihren Männern stehen. Am 22. Juli teilte Veronika Zepkalos Ehemann Valeri mit: „Mit den vereinten Kräften der drei Teams wollen wir zeigen, dass selbst eine Hausfrau in der Lage ist, ihn zu besiegen. Wir schaffen ein Komitee der Nationalen Einheit, als Gegensatz zur Einheitsregierung in unserem Land. Wir teilen die Ansicht, dass wir keinen geltungssüchtigen Machthaber mehr wollen.“
Der öffentliche Diskurs verweiblichte den Protest umgehend und die Wahlkampagne der „drei Grazien“ strotzte von weißer, unschuldiger Symbolik. Die belarusische Presse bezeichnete die vereinten „Grazien“ als „Mädchen“. Gleichzeitig wurde die Teilnahme der Frauen an den Wahlen für „ihre“ Männer mit der Teilnahme von Frauen am Zweiten Weltkrieg verglichen. So sagte der Analyst Siarhiej Čaly am 18. August im Interview mit tut.by: „Die Hälfte der männlichen Bevölkerung ist im Großen Vaterländischen Krieg umgekommen, und die Frauen mussten ihre Plätze einnehmen. Das ist ein Archetyp, gegen den keine Argumentation ankommt. Diese Ereignisse in Belarus werden als erste feministische Revolution in die Geschichte eingehen. Wohlgemerkt, Feminismus im normalen Sinne dieses Wortes.“
Weder patriarchale Mythen noch geschlechtsspezifische Vorurteile, die in Belarus nach