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Gründen nicht am politischen Wettkampf teilnehmen konnten. Die weißgekleideten Frauen mit Blumen, die barfuß und friedlich Wiegenlieder sangen, Sicherheitskräfte umarmten oder vor ihnen niederknieten – sie waren die zentrale visuelle Begleitung der Anti-Lukaschenko-Kampagne 2020. Das „weibliche Gesicht“ des Protests ist vor allem ein medialer Effekt. Kaum einen Medienvertreter interessiert die Analyse des Wahlkampfes und der Proteste jenseits der konkreten Ereignisse, also die Diskussion über die Probleme der Beteiligung von Frauen an der Politik und die Genderdebatte im Land. Vermutlich, weil diese Aspekte auch den Wahlkampfstab nicht sonderlich interessieren. Denn es gibt nur ein Ziel: den Machtwechsel und eine Wiederholung der Wahlen unter fairen Bedingungen mit alternativen Kandidaten – den Ehemännern und Beratern.

      Wie auch die alte Opposition bleibt die neue eine Geisel der Macht, und das Genderthema bleibt eine Geisel der Opposition und der Frauen, die „ihren“ Männern helfen, deren politischen Ambitionen zu verwirklichen. Frauen, die sich selbst für heteropatriarchale Werte opfern und diese für gut befinden, betrügen nicht nur sich selbst, sondern alle Frauen. Lukaschenko transportiert natürlich genau dieselben Wertvorstellungen, wenn er sich als den einzigen „harten Kerl“ geriert, der die Last des Verfassungsgaranten zu schultern in der Lage sei.

      Dazu sollte man wissen, dass bereits 2001 eine Frau als starke Gegenkandidatin zu Alexander Lukaschenko gehandelt wurde: Natallia Mašerava, damals Abgeordnete in der Nationalversammlung, Tochter des ehemaligen Vorsitzenden des ZK der Kommunistischen Partei der BSSR Piotr Mašeraŭ. Ihr wurden Chancen auf den zweiten Wahlgang prognostiziert, sie zog ihre Kandidatur jedoch noch während der Unterschriftensammlung für die Zulassung zurück. Ihren Rückzug begründete sie mit der Haltung der Gesellschaft: „Ich bin für einen dritten Weg der Entwicklung unseres Landes bei den Wahlen angetreten und wollte als unabhängige Kandidatin Voraussetzungen für Wahlen schaffen, die nicht auf dem Widerstandsprinzip, sondern im Zeichen der Konsolidierung unserer Gesellschaft stehen. Es zeigte sich aber, dass unsere Gesellschaft dafür noch nicht bereit ist.“ Der Druck, den politische Spekulationen ausübten, war zu groß: „Ich sage offen, dass ohne meine Beteiligung eine Reihe von Szenarien entwickelt wurden, die mit mir überhaupt nichts zu tun haben. Ich möchte nicht in einem Zoo leben und bin weder ein ‚Lockvogel‘, noch ein ‚trojanisches Pferd‘ und auch kein ‚Igelchen im Nebel‘.“

      Seit Mašeravas Versuch sind 20 Jahre ins Land gegangen. Diese Geschichte, wie auch viele andere, ist in Vergessenheit geraten. Bis heute fehlen den Aktivistinnen, abgesehen vom Streben nach symbolischen Führungspositionen und der Teilnahme an Wahlen, klare Vorstellungen über ihre eigenen Ziele.

      Dennoch erschien am 21. August 2020 auf dem Cover der Wochenausgabe des britischen Guardian die stilisierte Abbildung einer Belarusin, die eine weiße Rose in der Hand hält und den Blick fest nach oben richtet – als Symbol für den friedlichen Protest in Belarus. Die offensichtliche Heroisierung in der visuellen Darstellung wird durch den Titel noch verstärkt: „Flower Power: The women driving Belarus’s movement for change“. Die belarusische Künstlerin Darja Sazanovič, die selbst an den Aktionen in Minsk teilgenommen hatte, stellte in ihrer eigenen Darstellung der Proteste die weiße Rose anders dar: Die Rose hat ihre Farbe fast verloren, von der Hand, die den dornigen Stiel hält, tropft Blut. Die Künstlerin interpretiert ihr Werk folgendermaßen: „An einem Tag der Kundgebungen war ich mit einer solchen weißen Rose unterwegs. Nach mehreren Aktionen in der Stadt war sie immer kürzer und schäbiger geworden. Ganz gleich wie ‚schön‘ diese friedlichen Aktionen mit den Blumen tagsüber waren, nachts fiel es mir schwer zu atmen, als all diese beispiellose Gewalt ins Bewusstsein rückte.“

      Blumige Frauenproteste als Event

      Nachdem in Belarus der Internetzugang wieder funktionierte und die ersten Festgenommenen freigelassen worden waren, füllten sich die sozialen Netzwerke mit Fotos der Gefolterten. Die Viktimisierung der Geschädigten bei gleichzeitiger Abwesenheit funktionierender rechtlicher Mechanismen zur Feststellung und Untersuchung des Geschehenen vereinte sich organisch mit vereinfachten, psychologisierten Erklärungen der Brutalität der Sicherheitskräfte („Zombiefizierung“) oder dem Erstaunen angesichts der Grausamkeit, die der belarusischen Mentalität fremd sei. Es gab genügend Beweise für Brutalität, um das Regime und Lukaschenko persönlich zu delegitimieren, allerdings zu wenige, um die Ursprünge und Folgen dieser Willkürakte vollständig zu erfassen.

      An dieser Stelle möchte ich ein Interview mit einer Eventmanagerin erwähnen, die kurzzeitig aus Moskau nach Minsk zurückgekehrt war, da ihre „emotionale Verfassung sie zum Handeln gezwungen hatte“ und sie ihrem Heimatland helfen wollte. Inzwischen ist ihr Text „Wie die Frauenproteste in Belarus konzipiert wurden: ‚Ich verstand die Opposition als Kunden, die Menschen als Teilnehmende‘“ aus Sicherheitsgründen aus dem Internet entfernt worden (für die Organisation unerlaubter Aktionen drohen in Belarus Haftstrafen). In diesem Text war zu lesen: „Ich glaube an die weibliche Kraft, besonders wenn die Einheit auf Taten beruht, auf einem großen und hehren Ziel. Es wäre auch eine Sünde gewesen, die patriarchalische Haltung in den Köpfen der belarusischen Sicherheitsbeamten nicht auszunutzen.“

      Die Eventmanagerin glaubte daran, dass es ungefährlich sei, Aktionen ausschließlich mit Frauen durchzuführen. Die Berichterstattung in Guardian (inklusive Coverbild), New York Times und BBC über „unsere Frauen in Weiß“ schien ein „richtiger Akzent“ zu sein. Doch die Eroberung der Schlagzeilen ist kein politischer Sieg. Mehr noch, die Frauen wurden zielgerichtet „vereint“, um die Opposition zu motivieren und Hoffnung zu generieren, wobei „die Opposition“ der Kunde war. Die Idee, mit Genderstereotypen und -rollen zu spielen, bildete die Grundlage für die Wiegenlied-Performance auf dem Siegesplatz: Frauen in weißen Kleidern, barfuß, mit Blumen, schön und lächelnd singen ein Wiegenlied, „schläfern das Regime ein“. Ein solches Heldinnen-Opfer-Pathos, besonders auf der Ebene von Massenaktionen, trägt wohl kaum zur Stärkung frauenspezifischer Inhalte bei, zumal sich die Ressource der Solidarisierung anschließend nur schwer in eine eigene Erzählung ummünzen lässt. Das Problem ist eine fehlende längerfristige Selbstorganisation, da die Förderung der Selbstorganisation von Frauen bislang gar nicht das Ziel war. Wichtig war ausschließlich, die „Teilnahme an den Aktionen zu erhöhen“, nachdem es massenhaft Festnahmen gegeben hatte.

      Es ist wichtig zu bemerken, dass am 12. August auch spontane Frauenmenschenketten an verschiedenen Orten in Minsk und in den Regionen auftauchten. Auch dort gab es viel Verzweiflung ohne konkretes Marketingkonzept à la „Schönheit wird die Welt retten!“ Dieser Protest war von Beginn an ungesteuert. Eine solche Spontaneität hat ihre starken und schwachen Seiten. Und die Ereignisse der letzten Tage zeigen, dass ein spontaner Protest auch zermürbend sein kann.

      Die Frage jedoch, welche Möglichkeiten Frauen im modernen Belarus haben, ihre eigenen Ziele und Geschichten zu erarbeiten, sie kundzutun und beim politischen Übergang zur ersehnten demokratischen Transformation als selbständige Subjekte in Erscheinung zu treten, bleibt unbeantwortet. Und es ist unklar, wie lange offen sexistische Projekte gesellschaftlich noch anerkannt bleiben werden, wie zum Beispiel Plakate in der Minsker Metro mit Texten wie „Belarusische Mädels – ihr seid unsere Blumen des Sieges“. Die Mädels werden nie als politische Subjekte anerkannt, solange sie für jemanden „Blumen“ darstellen. Komplimente solcher Art an die „weiblichen Gesichter“ der belarusischen Revolution unterscheiden sich in keiner Weise von den Aussagen des amtierenden Präsidenten. Schon seit vielen Jahren wird den Frauen die immer gleiche Botschaft vermittelt: „Ihr seid unsere Kraft und unser Mut, unser Glück und unser Seelenfrieden, unsere Freude und Inspiration.“ Mansplaining ist in Belarus weit verbreitet, und dieser herablassende Kommunikationsstil drückt die bestehende Asymmetrie aus, die den Männern Vorrang und Führungsrolle zuschreibt.

      „Das schönste Gesicht von Belarus“

      In Belarus wird seit 2004 ein landesweiter Schönheitswettbewerb vom Kultusministerium, dem Bildungsministerium und anderen staatlichen Institutionen durchgeführt. Die „Schönheit der belarusischen Frauen“ stellt eine besonders wertvolle „Errungenschaft“ des Landes dar, die dem staatlichen und männlichen Schutz untersteht. Nur staatlich autorisierte Strukturen dürfen die Schönheiten


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