Das Erbe sind wir. Michael Meyen

Das Erbe sind wir - Michael Meyen


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einer belgischen Politikwissenschaftlerin, davon aus, »dass Gesellschaften stets gespalten sind« und »durch hegemoniale Praktiken diskursiv konstruiert werden«.40 Die Geschichtspolitik, die ein bestimmtes Bild der DDR durchgesetzt hat, ist eine solche ›hegemoniale Praxis‹. Sie hilft, eine Ordnung zu stützen, die das Privateigentum vergöttert und einen Kult um das Individuum entfacht, obwohl weite Teile der Bevölkerung gar nicht die Möglichkeit haben, das auszuleben, was in ihnen steckt. Ich will nicht zu tief in die Theorie einsteigen, aber wenigstens darauf hinweisen, dass Hegemonie hier mit Antonio Gramsci als eine Form der Herrschaft verstanden wird, die neben Zwang (Polizei, Gesetze, Gerichte) auch auf Konsens setzt. Die gerade »führende Gruppe« muss »die Zustimmung der Beherrschten zu ihrem Projekt gewinnen« und von »konkurrierenden gegnerischen Gruppen« zumindest akzeptiert werden. Die Konstruktion der DDR als Diktatur hat geholfen, eine »gemeinsame Perspektive« zu finden, die zum Beispiel Enteignungen und alle sonst denkbaren ›Zwangs‹-Maßnahmen zum Wohle des Kollektivs im Moment utopisch wirken lassen.41

      Mir hat Jem Bendell geholfen. Ich schreibe hier über eine eher kleine Menschheitsfrage (Journalismus und Journalistenausbildung), fordere aber trotzdem das heraus, was wir für selbstverständlich halten (etwa: zentrale Kommunikationskanäle in Familienbesitz), und grabe nach Erfahrungen, die die Sieger der Geschichte auf den Müllhaufen geworfen haben. Journalistik, Abriss, Medienkrise: In meiner Argumentation gehören diese drei Schlagworte zusammen. Der Kahlschlag in der akademischen Journalistenausbildung in Deutschland beginnt mit dem Abriss des ›roten Klosters‹, und der Vertrauensverlust der Medien, den wir heute beobachten, hat auch damit zu tun, dass der hegemoniale DDR-Diskurs ostdeutsche Journalisten in aller Regel in Nischen verbannt und sich so lange Zeit selbst verstärkt hat.

      WIE DAS DDR-GEDÄCHTNIS GERADE NEU VERMESSEN WIRD

      •Diktaturgedächtnis (der »Unterdrückungscharakter der SED-Herrschaft und ihre mutige Überwindung in der friedlich gebliebenen Revolution von 1989/90«): Stasi, Unrechtsstaat, Parteiherrschaft, Eiserner Vorhang, Mauerschützen, Doping (im Sport), »Verbrechen, Verrat und Versagen«, »Leid, Opfer und Widerstand«, kommunistischer Terror (von den sowjetischen Lagern in der Besatzungszeit über Schauprozesse und Militäraktionen in ganz Osteuropa bis zu den Gefängnissen und Methoden des DDR-Geheimdienstes), Missachtung von Menschenrechten und politischer Freiheit, Zwangsadoptionen, Zensur und Medienlenkung, Bürgerrechtler, Demonstrationen und Runde Tische;

      •Arrangementgedächtnis (Verknüpfung von »Machtsphäre und Lebenswelt«): Freude und Leid im Alltag, Stolz auf das Erreichte (persönlich und im Betrieb, aber auch in der Gesellschaft insgesamt, gerade mit Blick auf die Bedingungen im Kalten Krieg), Zwang zur Anpassung und Ohnmacht des »kleinen Mannes«;

      Im Film Traumfabrik, produziert unter anderem von Tom Zickler, drei Jahre älter als ich und ab 1988 Student an der Hochschule für Film und Fernsehen in Babelsberg, ist die DDR ein Land, in dem die Menschen zusammenhalten. In dem man sich hilft, in dem man Spaß hat (sogar mit den Russen), in dem Aufstieg von ganz unten Normalität ist und in dem man zwar um die Kontrolleure und Beobachter weiß, sich aber im Alltag nicht groß um sie schert. Jeder wird gebraucht (sogar ein farbenblinder Kameramann), jede trägt etwas bei (hier vor allem die Sekretärin und die Maskenbildnerin). Und: Familie ist wichtig. Wichtiger jedenfalls als Karriere und Partei. Ohne seinen Bruder wäre der Held ein Nichts.

      Einmal regnet es in diesem Film. Einmal wird die DDR trist und grau. Das ist die DDR, wie sie die Nachgeborenen kennen. Zwei Polizisten springen aus dem Auto und prügeln mit Schlagstöcken


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