Das Erbe sind wir. Michael Meyen

Das Erbe sind wir - Michael Meyen


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Man kann sie aber auch als groteske Überzeichnung dessen lesen, was die Geschichtspolitik uns sonst so erzählt über die DDR. Milou, die Angebetete des Helden, ist dabei und fährt am Ende doch nicht zurück nach Frankreich, in eine Welt, in der sie von einer launischen Chefin abhängt und von einem cholerischen Mann.

      Freiheit Ost vs. Freiheit West: Das ist hier die Frage. Tanzen und feiern auf den Straßen von Paris, ja. Aber zu welchem Preis? Der Preis, der in der DDR zu zahlen ist, wird in der Traumfabrik ausgesprochen und bebildert. Eingemauert sein im eigenen Land. Stacheldraht und Maschinenpistolen an der Grenze. Das Diamant-Fahrrad als größter Luxus (dies erst im Abspann, genau wie ein Zeitungscover, das die Ausreise des Traumpaars meldet). Und trotzdem. Milous Augen werden riesig sein und strahlen, wenn sie in diesen Osten zurückläuft. Man kennt dieses Bild. Aber nur für die andere Laufrichtung.

      Alexander Osang, Jahrgang 1962 und heute vermutlich der erfolgreichste Absolvent der Sektion Journalistik, erzählt in diesem Heft, wie er im Sommer 1990 fünf Wochen »durch Amerika fuhr«, auf Kosten der United States Information Agency. »Später sagte mir jemand, die Agentur werde von der CIA betrieben. Ich glaube, ich wäre auch gefahren, wenn ich das gewusst hätte«. Eine »Politschulung« (oder: »die Erziehung des Ostmenschen«), die »nie wieder« aufgehört habe. Osang hat damals bei der Berliner Zeitung gearbeitet und dort in den 1990ern die wirtschaftliche Kehrseite der neuen Welt erlebt. Westdeutsche, die »so lange mit der Maus gespielt« haben, bis sie keine Lust mehr hatten und die Maus erst recht nicht. »Chefredakteure kamen und gingen. Neue Investoren, neue Besitzer, die Zeitungskrise, Umzug, Syndikation, Content-Management«. Osang ist dann zum Spiegel gewechselt. Stefan Aust habe beim Einstellungsgespräch nur wissen wollen, ob er »denn überhaupt Englisch« könne. Heute weiß Osang, dass die Vergangenheit nicht aufhört. Nie. Und er wettert gegen das Gerede von der ›Lebensleistung‹, die wer auch immer endlich ›anerkennen‹ soll: »Ich möchte nicht pausenlos bewertet werden. Ich möchte nicht vom Spiegel erklärt haben, wie der Ossi so ist. Aber es geht nie darum, dass der Westler sich ändern muss. Der Osten soll aus der Gesellschaft rauswachsen wie eine Dauerwelle«. Das wird er nicht. Aber der Diskurs über ihn kann sich ändern, wenn Menschen wie Alexander Osang sprechen. Als mir das klar war, habe ich den Titel des Buches geändert.

      Anmerkungen

      1Didier Eribon: Rückkehr nach Reims. Berlin: Suhrkamp 2016

      2Rückkehr nach Reims wurde zum Beispiel 2017 in der Schaubühne Berlin aufgeführt (Regie: Thomas Ostermeier) und 2019 am Schauspiel Köln (Regie: Thomas Jonigk)

      3Michael Meyen: »Wir haben freier gelebt«. Die DDR im kollektiven Gedächtnis der Deutschen. Bielefeld: transcript 2013, S. 178

      4Vgl. Anke Fiedler: Medienlenkung in der DDR. Köln: Böhlau 2014

      5Vgl. Michael Meyen: Breaking News: Die Welt im Ausnahmezustand. Wie uns die Medien regieren. Frankfurt/M.: Westend 2018

      6Robert K. Merton: The Matthew Effect in Science. In: Science Vol. 159 (1968), Nr. 3810, S. 56-63

      7Vgl. Meyen, Freier gelebt

      8Vielleicht am prägnantesten ausgearbeitet ist dieser Gedanke bei Anthony Giddens: Die Konstitution der Gesellschaft. Grundzüge einer Theorie der Strukturierung. Mit einer Einführung von Hans Joas. Frankfurt/M.: Campus 1995

      9Vgl. Ilko-Sascha Kowalczuk: Stasi konkret. Überwachung und Repression in der DDR. München: C.H. Beck 2013, Daniela Dahn: Der Schnee von gestern ist die Sintflut von heute. Die Einheit – eine Abrechnung. Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag 2019, S. 96

      10Dahn: Schnee von gestern, S. 93

      11Wolfgang Wippermann: Dämonisierung durch Vergleich: DDR und Drittes Reich. Berlin: Rotbuch 2009, S. 90

      12Ebd., S. 105

      13Vgl. Rolf Geserick: 40 Jahre Presse, Rundfunk und Kommunikationspolitik in der DDR. München: Minerva 1989, Fiedler: Medienlenkung

      14Vgl.


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