Ellingham Academy - Die Botschaft an der Wand. Maureen Johnson

Ellingham Academy - Die Botschaft an der Wand - Maureen  Johnson


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mit pflaumenblauem Samt bezogenen Sessel. Vor ihm auf dem Tisch stand eine Uhr aus grünem Marmor. Abgesehen von ihrem munteren Ticken und dem Knistern des Feuers im Kamin war alles still. Der Schnee wirkte wie ein Schalldämpfer.

      »So langsam müssten wir aber doch wirklich etwas gehört haben«, sagte er.

      Der Satz richtete sich an Leonard Holmes Nair, der sich ihm gegenüber mit einer Felldecke gemütlich auf dem Sofa ausgestreckt hatte und einen französischen Roman las. Leo war Maler, Lebemann und ein Freund der Familie. Es war jetzt zwei Wochen her, dass ihre kleine Reisegruppe sich in dieser Privatklinik in den Alpen einquartiert hatte. Seitdem hatten sie in aller Ruhe dem Schneetreiben zugesehen, Glühwein getrunken, gelesen und gewartet… auf ein Ereignis, das sich schließlich mitten in der Nacht angekündigt hatte. Sofort waren Schwestern und Ärzte zur Stelle gewesen und hatten die werdende Mutter in ein luxuriöses Kreißzimmer gebracht. Als einer der reichsten Männer in Amerika war man in der glücklichen Lage, eine komplette Schweizer Klinik für die Geburt seines Kindes reservieren zu können.

      »Diese mysteriösen Vorgänge der Natur brauchen nun mal ihre Zeit«, antwortete Leo, ohne aufzuschauen.

      »Aber sie sind jetzt seit fast neun Stunden da oben.«

      »Albert, hör auf, ständig auf die Uhr zu sehen. Du brauchst einen Drink.«

      Albert stand auf und schob die Hände in die Taschen. Rastlos schlenderte er erst zu einem der Fenster, dann zum nächsten und wieder zurück. Der Ausblick war wirklich traumhaft – nichts als Schnee und Berge und die spitzen Dächer der kleinen Bauernhäuser im Tal.

      »Einen Drink«, wiederholte Leo. »Klingel danach. Mit diesem – Klingelding. Klingeldingel. Wo war das denn noch gleich?«

      Albert ging zum Kamin und zog an einer seidenen Kordel mit einer Goldkugel am Ende. Irgendwo in der Ferne hörte man leise ein Glöckchen läuten. Kurz darauf öffnete sich die Flügeltür und eine junge Frau kam herein. Sie trug ein blaues Wollkleid mit einer gestärkten Schwesternschürze darüber und eine weiße Haube auf dem Kopf.

      »Ja bitte, Herr Ellingham?«, fragte sie.

      »Gibt es schon etwas Neues?«, erkundigte er sich.

      »Leider nicht, Herr Ellingham.«

      »Wir brauchen Glühwein«, schaltete Leo sich ein und erklärte sodann in fließendem Deutsch: »Er braucht etwas zu essen. Wurst und Brot. Käse.«

      »Selbstverständlich, Herr Nair. Ich bringe Ihnen sofort etwas, einen Moment bitte.«

      Die Schwester verließ rückwärts das Zimmer und zog die Tür hinter sich zu.

      »Vielleicht ist etwas schiefgegangen«, gab Albert zu bedenken.

      »Albert…«

      »Ich gehe jetzt nach oben.«

      »Albert«, appellierte Leo erneut an ihn. »Ich habe strikte Anweisung, dich aufzuhalten, wenn du so was auch nur versuchst. Nun lassen meine Ringkampfkünste sicherlich zu wünschen übrig, aber ich bin immer noch größer als du und kann mich unglaublich schwer machen. Wie wär’s, wenn wir das Radio einschalten? Oder hast du Lust auf ein Brettspiel?«

      Letzterem war Albert Ellingham normalerweise nie abgeneigt, diesmal jedoch konnte er sich nicht einmal dazu durchringen und tigerte weiter auf und ab, bis die Schwester mit einem Tablett zurückkehrte. Darauf standen zwei Gläser rubinroten Glühweins und ein paar Teller mit Wurst, Brot und Käse.

      »Setz dich und iss«, kommandierte Leo.

      Doch Albert gehorchte nicht, sondern deutete auf die Uhr aus grünem Mamor.

      »Diese Uhr«, erklärte er, »habe ich neulich in Zürich gekauft. Sie ist antik. Stammt aus dem achtzehnten Jahrhundert. Der Händler sagte, sie sei ein Geschenk von Marie Antoinette an eine adlige Freundin gewesen.«

      Er stützte beide Hände auf den Tisch und starrte so eindringlich auf die Uhr hinunter, als erwartete er, dass sie anfing zu sprechen und ihm höchstpersönlich Aufschluss über ihre edle Herkunft gab.

      »Das mag reiner Unfug sein«, redete er weiter und hob die Uhr hoch. »Aber für einen derart stolzen Preis kann man wohl auch erstklassigen Unfug verlangen. Außerdem hat sie ein reizendes kleines Geheimnis – eine versteckte Schublade. Hier, auf der Unterseite. Man muss die Uhr bloß auf den Kopf stellen, dann sieht man eine kleine Vertiefung, und wenn man draufdrückt…«

      Oben regte sich etwas. Hastige Schritte. Stimmen. Ein schmerzerfülltes Wimmern. Albert setzte die Uhr abrupt wieder ab.

      »Klingt, als hätte die Wirkung des Morphiums nachgelassen«, sagte Leo mit einem Blick zur Decke. »Ojeoje.«

      Das Wimmern schwoll an – zu den gequälten Schreien einer Frau, die in den Wehen lag.

      Albert und Leo verließen das gemütliche Studierzimmer und positionierten sich am Fuß der Treppe in der wesentlich kälteren Eingangshalle.

      »Wie grauenhaft«, befand Leo mit einem besorgten Blick die dunklen Stufen hoch. »Man sollte doch meinen, es müsste einen besseren Weg geben, neues Leben in die Welt zu bringen.«

      Irgendwann brachen die Geräusche ab und ein paar Sekunden lang herrschte Stille. Dann erhob sich Babygeschrei. Albert rannte die Treppe hoch, immer zwei Stufen auf einmal nehmend, und wäre in seiner Hast beinahe auf dem Zwischenabsatz ausgerutscht. Im oberen Flur erwartete ihn bereits eine junge Krankenschwester an der Tür des Kreißzimmers.

      »Einen Moment noch, Herr Ellingham.« Sie lächelte. »Erst muss die Nabelschnur durchtrennt werden.«

      »Sagen Sie schon«, drängte er atemlos.

      »Es ist ein Mädchen, Herr Ellingham.«

      »Ein Mädchen«, wiederholte Albert und fuhr zu seinem Freund herum.

      »Ja«, sagte Leo, »ich hab’s gehört.«

      »Ein Mädchen. Dachte ich’s mir doch, dass es ein Mädchen wird. Ich hab’s von Anfang an gewusst. Ein kleines Mädchen! Ich werde ihr das schönste Puppenhaus der Welt kaufen, Leo. So groß, dass selbst du darin wohnen könntest!«

      Endlich öffnete sich die Tür und Albert zwängte sich an der Schwester vorbei. Im Zimmer war es dunkel – die Vorhänge waren zugezogen, um die Kälte draußen zu halten. Und es roch nach Leben – Blut und Schweiß –, vermischt mit beißendem Desinfektionsmittel. Der Arzt hängte gerade eine Atemmaske zurück an einen Wandhaken und drehte das Gas zu. Eine Schwester leerte eine weiße Emailleschüssel mit rosarotem Wasser ins Waschbecken. Ihre Kollegin zog das durchnässte Bettzeug ab, während eine Dritte bereits mit trockenem Ersatz bereitstand. Mit einem Ruck schüttelte sie die Decke auf und ließ sie auf die im Bett liegende Frau niedersinken. Geschäftig eilten die Schwestern hin und her, öffneten Vorhänge und tauschten Operationstabletts gegen Blumenvasen aus. Es war ein anmutiges, wohl einstudiertes Ballett und schon nach wenigen Minuten verströmte der Raum den Charme eines gemütlichen Hotelzimmers. Nicht umsonst war dies eine der besten Privatkliniken der Welt.

      Alberts Blick richtete sich auf seine Frau Iris. Sie hielt ein Baby im Arm, das in eine gelbe Decke gehüllt war. Er war so übervoll an Gefühlen, dass der Raum um ihn sich zu verzerren schien; die Deckenbalken bogen sich zu ihm herunter, bereit, ihn aufzufangen, falls er auf dem Weg zu ihr und dem Kind stürzte.

      »Sie ist wunderschön«, sagte Albert. »Außergewöhnlich. Sie ist…« Seine Stimme versagte.

      Das Baby war rosig, hatte die Fäuste geballt, die Augen geschlossen und gluckste leise vor sich hin. Es war das pure Leben.

      »Sie ist unsere Tochter«, flüsterte Iris.

      »Darf ich sie mal halten?«, ertönte eine Stimme hinter ihnen und Albert und Iris wandten sich der Frau im Bett zu. Ihr Gesicht war gerötet und schweißbedeckt.

      »Aber ja!« Iris ging zu ihr. »Natürlich, Liebes, natürlich.«

      Iris legte das Baby sanft in


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