Vision und Wirklichkeit. Группа авторов

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wenn es darum geht, das Evangelium zu verkündigen. Die Postmoderne mit ihrer radikalen Pluralität bildet den großen kulturellen Rahmen, in dem es in der Zukunft gilt, das Evangelium zu den Menschen zu bringen. Alles ist erlaubt, nichts ist mehr klar. Jeder lebt mit seiner eigenen individuellen Wahrheit. Grundlegende biblische Begriffe wie Sünde, Zorn und Sühne werden kaum noch verstanden.

      Nun sind diese Begriffe aber so zentral, dass wir nicht auf sie verzichten können. Also müssen wir sie gebrauchen und erklären. Das gilt auch für Begriffe und Themen, die politisch nicht korrekt sind. Eine Predigt über die Hölle etwa wird heute als Rückfall in das finstere Mittelalter empfunden. Das Thema ist selbst für Christen peinlich, sodass man lieber nicht davon redet. Gewiss, die Hölle muss die Hitliste der zu verkündigenden Themen nicht anführen, damit das Predigtmenü das Prädikat biblisch verdient. Aber darauf verzichten kann man auch nicht. Denn wenn am Ende nicht die Möglichkeit besteht, ewig von Gott getrennt zu sein, gibt es nichts, wovon uns das Evangelium retten müsste. Das aber wäre die Kapitulation vor dem Zeitgeist. Wir reden dann noch, wortreich und aufgeschlossen vielleicht, aber wir haben nichts spezifisch Christliches mehr zu sagen.

      Was ist zu tun? Um sprachfähig zu werden, müssen wir ausgetretene Wege verlassen und uns darauf besinnen, wie das Evangelium den Menschen unserer Zeit verständlich gemacht werden kann. Wir stehen hier vor derselben Herausforderung wie Paulus damals. Um beim Beispiel der Hölle zu bleiben, könnte man dieser Herausforderung begegnen, indem man die Hölle nicht vordringlich mit dem Argument der Bestrafung zu erklären sucht, sondern mit unserem Bedürfnis nach Gerechtigkeit in Verbindung bringt. Diese Argumentationsschiene bietet sich geradezu an, wenn man die gesamtbiblische Story ins Blickfeld nimmt und sie mit der Lehre vom Jüngsten Tag verbindet.

      Für viele Menschen ist die Hölle das Gegenteil von Liebe. Sie können sich vorstellen, an einen Gott der Liebe zu glauben, aber nicht an einen Gott, der Menschen in die Hölle wirft. Sie gehen davon aus, dass die Hölle das Gegenteil von Liebe ist, aber die Hölle ist nicht das Gegenteil von Liebe, sondern von Ungerechtigkeit.

      Die Bibel lehrt, dass Gott die Welt am Jüngsten Tag in Gerechtigkeit richten wird (Offb 20,11–15). Gott wird jedem einzelnen Menschen, der je über diese Erde gegangen ist, geben, was seine Taten wert sind (Röm 2,6). Im Grunde genommen ist es genau das, worauf wir alle hoffen. Ob Christen oder Moslems, ob Agnostiker oder Atheisten – wir alle wünschen uns eine Welt der Gerechtigkeit. Ohne Gott ist das bloße Utopie und die Folge davon eine nihilistische Weltanschauung. Wenn es keinen Gott gibt, gibt es keine Gerechtigkeit und dann macht das Leben keinen Sinn. Der französische Schriftsteller Albert Camus, der kein Christ war, sagte, dass nichts von Wichtigkeit sei, wenn man an nichts mehr glauben könne. Ob man das Feuer der Krematorien schüre oder sich der Pflege der Leprakranken widme, sei völlig unerheblich. Nach Camus ist ein solches Leben absurd. Wenn es keinen Gott gibt, wäre die Menschheitsgeschichte in der Tat eine sinnlose Anhäufung von Ungerechtigkeit und Brutalität. Eine solche Vorstellung ist im Grunde genommen unerträglich.

      Die Lehre vom Jüngsten Tag ist die biblische Antwort auf die Unerträglichkeit der nihilistischen Weltanschauung. Eines Tages wird Gott im ganzen Universum Gerechtigkeit schaffen. Keine Untat wird übersehen werden (Röm 2,8–9), kein Becher kalten Wassers wird unbelohnt bleiben (Mt 10,42). Wenn Gott Menschen die Tür zum ewigen Leben auftut und andere in die Gottesferne entlässt (Mt 25,46), wird erstmals auf der Welt Gerechtigkeit herrschen und die neue Welt Gottes kann anbrechen (2Petr 3,13). Das eigentliche Thema der Hölle ist nicht blindwütiges Strafen, sondern die Wiederherstellung von Gerechtigkeit.

      Gewiss, wir werden nicht alle Leute auf diesem Weg erreichen. Das Evangelium bleibt für viele barer Unsinn (1Kor 1,23). Eine Sprachfähigkeit zu entwickeln, bedeutet nicht, das Evangelium bis zur Unkenntlichkeit anzupassen. Das Evangelium ist eine Einladung. Wenn wir das Evangelium aber nur noch als das verkündigen und über Sünde, Vergebung und Gottes gerechten Zorn schweigen, lassen wir das Evangelium durch den Weichspüler, bis wir nicht mehr wissen, warum es eigentlich gute Nachricht ist. Es wird dann zu einem Sammelsurium von narrativen Episoden und wir werden wahrscheinlich auch vom Reich Gottes und vom König Jesus sprechen, aber wir werden nicht mehr am Kern des Evangeliums sein und es schlussendlich wortreich verraten haben. Es geht also nicht um eine inhaltliche Verkürzung des Evangeliums, um es annehmbar zu machen. Es geht darum, den Leuten aufs Maul zu schauen, wie es Martin Luther sagte, und ihnen auf intelligente, relevante und verständliche Art und Weise das Evangelium zu präsentieren.

      Kirche mitten in der Welt

      Wenn die Kirche sich auf die Fährte des Galiläers setzen lässt und ihm konsequent folgt, wird sie zu einer inkarnatorischen Kirche. Kaum etwas ist für die Zukunft von größerer Wichtigkeit als das. So wie Jesus in seiner Inkarnation (Menschwerdung) ein Teil dieser Welt wurde, an ihr litt, sie durchschaute, vor allem aber ihr diente, so muss die Kirche, wenn sie lebenstauglich sein will, mitten in der Welt und Kirche für die Welt sein.

      Zu den vordringlichsten Aufgaben auf dieser Spurensuche gehört es, die sozialethische Lähmung zu überwinden, welche namentlich die sogenannten Bibeltreuen im 20. Jahrhundert befallen hat, als man sich aus der Welt in die private Tugendhaftigkeit verabschiedete.

      Der frühe Evangelikalismus zeichnete sich durch das Zusammengehen von Wort und Tat aus. Das gilt nicht nur für den angelsächsischen Evangelikalismus, sondern auch für den deutschen Pietismus. Die Frucht ihres ganzheitlichen Bemühens war die Errichtung von sozialen Einrichtungen, der Aufbau von Schulen und im britischen Empire die Abschaffung der Sklaverei. In der sogenannten großen Wende zu Beginn des 20. Jahrhunderts zerbrach dieses Miteinander.

      Heute ist im deutschsprachigen Europa eine Rückkehr zu diesen Wurzeln sichtbar. Immer mehr Kirchen bemühen sich darum, den Menschen mit Wort und Tat und damit ganzheitlich zu dienen. Die Kirchen der Zukunft haben damit bereits begonnen. Dabei geht es nicht darum, etwas zu tun, um gehört zu werden. Es geht nicht um einen Marketingtrick, weil wir es uns nicht leisten können, sozial im Abseits zu stehen. Es geht um die Wiederentdeckung der Ganzheit des Evangeliums. Noch sind nicht alle Teile der evangelikalen Gemeinschaft aus der babylonischen Gefangenschaft einer bürgerlichen Weltanschauung befreit, aber ein Anfang ist gemacht. Die missionale Theologie ist Anstifterin dazu und kritische Begleiterin auf diesem Weg. Sie wird auf diesem Weg Fehler machen, vielleicht mal über das Ziel hinausschießen, aber dennoch wichtige Impulse vermitteln. Das darf zuversichtlich stimmen für die Zukunft.

      Im Westen ist die Religion weitgehend aus der öffentlichen Debatte verschwunden. »Schön, wenn dein Glaube dir hilft«, lautet das Motto. Glaubensfragen muss jedes Individuum selbst beantworten. Allgemeingültige Antworten kann es in der Welt der Postmoderne nicht geben. Wenn der Versuch trotzdem unternommen wird, empfindet man das als moralisierend. Glaubensfragen sind für viele Menschen sekundär und eine Sache des persönlichen Geschmacks. Sie sind auf der gleichen Stufe anzusiedeln wie musikalische Präferenzen oder die Frage, ob man lieber bei Migros oder Aldi einkauft. Kaum jemand fragt noch wie Martin Luther vor 500 Jahren, ob er einen gnädigen Gott bekommen kann. Die Frage, ob Jesus Christus leiblich auferstanden ist, ist für die meisten Zeitgenossen weniger wichtig als die Frage, wer die Champions League gewinnt.

      Hat die Kirche in dieser Welt der Belanglosigkeiten eine Zukunft? Hat sie etwas zu sagen, das alle angeht? Es ist verlockend, sich angesichts dieser Situation in einen beschaulichen Eigenheimpietismus zurückzuziehen, wo man sich bequem einrichten kann und Pastoren geistliche und psychologische Bedürfnisse zufriedenstellen. Aber das ist keine Option für eine Kirche, welche die Kirche von Jesus Christus sein will. Denn so, wie er in der Welt war, ist auch sie in der Welt. Das bedeutet, immer wieder die Entscheidung zu treffen, den aufreibenden Mittelweg zwischen Beschaulichkeit und Anpassung zu gehen. Beschauliches Christsein kann es nicht geben, weil das Evangelium mitten in die Welt gehört. Angepasstes Christsein kann es nicht geben, weil die Botschaft des Evangeliums mitsamt seinen anstößigen Elementen auch heute gehört werden muss.

      Der Urkirche waren Herausforderungen dieser Art bestens bekannt. Die antike Welt war im Grunde genommen pluralistisch, allerdings nur, solange der messianische Anspruch des Staates nicht infrage gestellt wurde. Die ersten Christen hätten nur auf den Satz »Jesus ist der Herr« verzichten müssen und sie hätten sich die Auseinandersetzung mit dem römischen Kaiser ersparen können. Sie


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