Option Färöer - Ein Färöer-Krimi. Jógvan Isaksen

Option Färöer - Ein Färöer-Krimi - Jógvan Isaksen


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Teilen der Welt herumgetrieben, während Páll versucht hatte, sich in der färöischen Gesellschaft hochzuarbeiten.

      Ich stieg aus dem Auto und ging zu einer Tür, an der ein selbst gemachtes hellblaues Porzellanschild sagte, dass hier Kirstin und Páll Hansen wohnten.

      Ich drückte auf den Klingelknopf und hörte es im Haus klingeln.

      Eine ganze Weile geschah gar nichts und ich wollte es gerade noch einmal versuchen, als die Tür einen Spalt breit geöffnet wurde.

      Zwei erschrockene graue Augen schauten zu mir heraus.

      »Wer sind Sie?«, fragte eine zitternde Stimme.

      »Mein Name ist Hannis Martinsson, ich habe Páll gekannt.« Ich hielt es nicht für angebracht, schon jetzt das Blaðið zu erwähnen.

      Der Türspalt wurde ein wenig größer und ich sah eine schmächtige Frau in den Dreißigern. Das glatte Haar hing strähnig und leblos herunter und die Ohren stachen dazwischen hervor. Das Weiße in ihren Augen war hellrot, das Gesicht streifig von Tränen. Der geblümte Kittel sah aus, als sei er seit einer Woche nicht gewaschen worden. Die ganze Erscheinung wirkte verwahrlost und erzählte davon, wie schnell jemand von einem gestandenen Mitglied der Gesellschaft zum Verlierer werden kann.

      »Ich weiß nicht ...«, kam es zögernd aus dem erschrockenen Gesicht, aber sie schloss die Tür nicht.

      »Páll und ich haben zusammen in Århus studiert, vielleicht kann ich irgendwie helfen?«

      Kirstin Hansen starrte eine Weile mit leerem Blick vor sich hin, dann drehte sie sich um und verschwand im Haus. Die Tür blieb offen und ich nahm das als Zeichen, dass ich hereinkommen durfte.

      Im Eingang standen einige Paar Schuhe, darunter auch Kinderschuhe, aber sonst war der Flur leer. Im Wohnzimmer hatte Kirstin Hansen sich auf ein großes, braunes Cordsofa gesetzt, das zusammen mit zwei Sesseln mit dem gleichen Bezug das gesamte Mobiliar des Wohnzimmers ausmachte. Die Wände waren frisch gestrichen, weiß, und es waren noch keine Gardinen aufgehängt.

      Die blasse Frau wirkte vollkommen verloren in dem leeren Wohnzimmer und man hatte den Eindruck, dass hier der einsamste Mensch der Welt saß.

      Und das war sie vielleicht ja wirklich, aber das war nicht meine Sache.

      »Hat Páll mich nie erwähnt?«, fragte ich, nur um ein Gespräch in Gang zu bekommen.

      »Nein«, erklang es fern und abwesend. »Nein, ich glaube nicht, ich weiß nicht«, fügte sie gedämpft hinzu, sodass ich kaum die Worte verstand.

      »Du weißt nicht, ob er Feinde oder etwas in der Richtung hatte?«

      Jetzt kam die Frau auf dem Sofa im Zimmer an, sie streckte ihren Rücken und ihre grauen Augen drückten mit einem Mal Trotz und Wut aus.

      »Ich habe es der Polizei mindestens fünfzig Mal gesagt: Páll hatte keine Feinde. Jedenfalls keine, die man so nennen könnte. Alle mochten ihn und er war doch erst sechsunddreißig Jahre alt. Was soll jetzt aus mir und unserer kleinen Tochter werden? Wir sind gerade erst eingezogen, wie soll ich das schaffen? Mein Gehalt reicht nicht mal für die Miete.« Sie schaute sich um, als suche sie eine Antwort.

      Wenn sie eine Antwort auf ihre Frage erwartete, hatte sie sich nicht den richtigen Gesprächspartner ausgesucht. Ich war Weltmeister darin, keine Antworten auf welche Fragen auch immer zu haben.

      »Was willst du? Warum bist du hergekommen?«, fragte Kirstin Hansen mit einer Stimme, die sich anhörte, als würde sie ihre letzten Kräfte mobilisieren.

      »Ich möchte einfach herausfinden, wer Páll ermordet hat. Wenn er nicht Selbstmord begangen hat – es gibt Leute bei der Polizei, die das glauben.«

      »Páll wäre nie auf die Idee gekommen, Selbstmord zu begehen.« Jetzt blitzten ihre Augen auf, und die Kraft, die die Frau auf dem Sofa nun ausstrahlte, zeigte, dass sie es mit der Zeit schaffen würde. Sie war stärker, als sie jetzt erschien. »Páll liebte uns viel zu sehr, als dass er so etwas hätte tun können. Der Gedanke ist ... wahnsinnig«, fast zischte sie es.

      »Ich wollte dich nicht verletzen. Ich habe nur die Möglichkeiten erwähnt, die infrage kommen. Hat Páll die ganze Zeit beim Rundfunk gearbeitet, seit er zurückgekommen ist?«, beeilte ich mich hinzuzufügen, bevor sie mit neuen Protesten aufwarten konnte.

      Sie schwieg eine Weile.

      »Wir sind erst seit drei Jahren wieder auf den Färöern und die ersten beiden Jahre hat Páll bei Gaia International gearbeitet. Als die Pleite machten, ist er zum Rundfunk gegangen.« Sie schaute vor sich auf den Boden. »Er hätte nie für diese Kerle von Gaia arbeiten sollen, das habe ich ihm so oft gesagt, aber das Gehalt war dort deutlich höher. Nur – was nützt das, wenn es nie ausbezahlt wird? Im letzten halben Jahr haben wir nicht eine einzige Öre gekriegt. Die Direktoren haben Páll alles Mögliche versprochen und er war ja so gutgläubig ... Jetzt hatten wir endlich alles geregelt, und nun das ... Mein Leben ist eine Hölle, eine Hölle, eine Hölle ...«, murmelte sie vor sich hin.

      Es gab keinen Grund, sie weiter zu quälen, also stand ich auf, verabschiedete mich und ging leise meiner Wege.

      2

      Während ich in die Stadt fuhr, dachte ich über Gaia International nach. Wie in allen unseren Nachbarländern jammert auch bei uns das Volk über die hohen Steuern.

      Und genau dieses Gejammer hatte die Gesellschaft Gaia ausgenutzt.

      Man konnte soundso viele Anteile an einem Tanker kaufen, brauchte auch nur eine kleine Anzahlung zu leisten, bekam aber den größten Teil der Steuergutschrift sofort. Der Rest konnte nach und nach bezahlt werden, aber die Werbeanzeigen versprachen, dass die Frachtschiffe große Gewinne erbringen würden, mit denen man die Anteile dann bezahlen konnte.

      Die Gesellschaft erbrachte tatsächlich einen großen Überschuss, aber nur den Männern, die hinter Gaia International standen.

      Der Ölfrachtmarkt lief schlecht und die Schiffe machten reichlich Defizite. Die mussten von den Anteilseignern ausgeglichen werden, während die Muttergesellschaft gleichzeitig noch zwanzig Prozent aller Einlagen für die Verwaltung brauchte. Ob es gut oder schlecht lief, konnte Gaia eigentlich egal sein, sie kassierten auf jeden Fall ihren Teil.

      Hinzu kam, dass die Schiffe mit sechzig, siebzig Prozent Staatsgarantie gebaut worden waren. Als es also zur Zwangsversteigerung kam – was viele bereits von Anfang an prophezeit hatten –, saßen das Land und die Anteilseigner mit ihrem Jammer da.

      Es war ein Riesenskandal gewesen und hatte mehrere Gerichtsverfahren gegeben. Aber es war nie bewiesen worden, dass die Gesellschaft irgendetwas Ungesetzliches getan hatte. Dass es moralisch verwerflich war, Menschen dazu zu verlocken, ihre Spargroschen auf dieses riskante Spiel zu setzen, daran gab es für viele keinen Zweifel. Die Kommentare der Presse waren scharf gewesen und die Urteile, die gesprochen worden waren, nicht gerade mild. Aber die Zeitungsleute wurden von der Staatsanwaltschaft gebremst.

      Páll Hansen hatte also bei Gaia gearbeitet und schlechte Erfahrungen gemacht. Einiges von dem, was die Zeitungen über die Sache geschrieben hatten, hatte ich noch im Gedächtnis, aber zu der Zeit war ich viel herumgereist, sodass ich nicht alle Details mitbekommen hatte. Immerhin konnte ich mich noch schwach daran erinnern, dass der Direktor das Land verlassen hatte und sich später herausstellte, dass er nur dem Namen nach Direktor war. Wer wirklich hinter der Gesellschaft stand und die Fäden zog, das wurde nie geklärt.

      Das war ja auch eigentlich ganz gleich. Das dahingeschiedene Gaia-Unternehmen und die Steuerspekulationen hatten wohl kaum etwas mit Pálls Tod zu tun.

      Seine Frau wusste nichts, die Polizei wusste nichts und ich wusste auch nichts. Die Dreieinigkeit der Unwissenheit. Aber irgendwo saß einer, der etwas wusste, und diesen Mann musste ich suchen. Oder diese Frau. Es hieß ja, dass Gift eine Frauenwaffe sei, aber in diesen Zeiten der Gleichstellung konnte man nie wissen. Männer brachten Frauen mit Gift um, während Frauen dafür die Männer mit Jagdgewehren durchlöcherten.

      Wie viele andere stellte ich den Wagen in der Fußgängerzone


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