Option Färöer - Ein Färöer-Krimi. Jógvan Isaksen
die Sache überlassen, schließlich war es ihr Job. Aber es war auch meiner, deshalb musste ich herausfinden, wer Petur Káris Freunde waren.
Ich verbrachte den Nachmittag beim Blaðið damit herumzutelefonieren, Leute auszufragen und Notizen für die morgige Ausgabe zu schreiben. Auch Sklavenarbeit musste gemacht werden.
Keiner von denen, die ich fragte, wusste viel über die Freunde des Verstorbenen, aber sie nannten mir verschiedene Spitznamen, die ich vielleicht brauchen konnte. Blöder Poul, Weißauge, Zahnspange, Gotteswort vom Lande –das war eine Frau – und der Schiffer auf dem Diwan. Einige Spitznamen hatte ich vorher schon mal gehört, aber ich war noch nicht lange genug wieder daheim, um das ganze Straßenvolk zu kennen. Das war vielleicht sogar ein Vorteil, denn dann kannten sie mich auch nicht, weder im guten noch im schlechten Sinne, und so würde ich hoffentlich mit einigen reden können.
Kurz vor Sonnenuntergang, gegen fünf Uhr, schlenderte ich in die Stadt und suchte nach Pennern. Ich ging zum Kaffivognur auf der Eystara Bryggja, draußen auf Tinganes, ich schaute im Underhuset rein und überall dort, wo ich wusste, dass sie sich normalerweise aufhielten. Aber die Stadt war wie leer gefegt von Alkis, es gab kein einziges armes Würstchen zu sehen. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass sie alle zusammen zur Entziehungskur gefahren waren, also musste es irgendwo anders etwas Interessantes geben. Vielleicht hatte einer von ihnen eine Kiste Schnaps gekriegt? Oder war der Mittelpunkt des Lebens ein dampfender Kanister Sprit? Aber ich wusste nicht, wo das Fest steigen sollte. Also ging ich nach Hause, nachdem ich bei Vaglið zwei Bratwürste verzehrt hatte.
Die Wohnung war ein einziges Chaos. Es war noch nicht lange her, seit ich meine Wohnung in Kopenhagen aufgegeben hatte und hierher gezogen war, und ich hatte mich noch nicht richtig eingerichtet. Nun ja, Bett und Fernseher waren natürlich an Ort und Stelle. Außerdem sind die Kellerwohnungen in den Reihenhäusern in der Jóannes Paturssonargøta ziemlich eng, sodass nur Platz für das Allernötigste ist, und sobald es unordentlich war, konnte man sich gar nicht mehr drin aufhalten.
Während ich im Radio die Meldungen des Tages hörte, baute ich einige Regale zusammen, und als um acht Uhr die Fernsehnachrichten begannen, standen sogar schon Bücher drin. Das musste für dieses Mal reichen; ich fand ein kaltes Bier und setzte mich vor den Fernseher.
7
Die Tróndargøta ist eine echte Tórshavnstraße. Die vom Alter gezeichneten Häuser ähneln einander und sind dennoch ganz unterschiedlich. Das erzeugt einen speziellen Charme, der von den vielen alten Gärten noch verstärkt wird. Vor allem von dem großen, gepflegten Garten der alten Realschule, die heute Teil der Kommunalschule ist. Diese große gelbe, dreiflügelige Betonburg an der Tróndargøta war sieben Jahre lang ein bedeutender Teil meiner Welt gewesen. Jeden Morgen die Straße hoch, in der Mittagspause runter und wieder hoch, und nach der Schule wieder hinunter und nach Hause.
Mein Gefühl für diese Straße ist natürlich von Kindheitserinnerungen geprägt, aber die gute Laune, die ich an diesem Dienstagabend hatte, hatte ihren Grund nicht nur in den Straßen einer vergangenen Zeit oder dem ruhigen Oktoberwetter, sondern auch im Ziel meines Spaziergangs.
Mein alter Freund, der Bierclub Eyskarið, war zu Staub und Asche zerfallen, und die vorübergehenden Räume bei Strond erinnerten mich an eine drittklassige Kaschemme aus der amerikanischen Prohibitionszeit. Jeden Augenblick konnte man damit rechnen, dass die Türen aufgetreten wurden und Männer einer Schmugglerbande einen mit ihren Maschinengewehren durchlöcherten.
Mit anderen Worten: Ich war auf dem Weg zum Bacchus, um mich dort zu amüsieren und zu sehen, ob ich Christian, den Journalisten, antreffen würde. Der Bacchus war nämlich Treffpunkt für Journalisten und Setzer, und wenn der Club einmal Reklame machen wollte, dann wäre der Slogan ›Journalisten und Setzer trinken im Bacchus‹ nicht aus der Luft gegriffen.
Rundfunk und Fernsehen hatten die Neuigkeit gebracht, dass der junge Mann, den die Polizei beschuldigte, den Banküberfall von Streym begangen zu haben, tot in seiner Zelle aufgefunden worden war. Laut eben dieser Polizei würde es jetzt schwierig sein, den Fall aufzuklären.
Das war alles. Kein Wort darüber, warum er sich erhängt hatte oder wie es sein konnte, dass er seinen Gürtel behalten durfte. Und absolut nichts darüber, dass der Wachhabende versicherte, er hätte ihm den Gürtel abgenommen, was ja bedeuten würde, dass irgendjemand in der Zelle nachgeholfen haben musste.
Jetzt hatte ich zwei Todesfälle, über die ich schreiben konnte: der eine Mann bei eingeschaltetem Mikrofon während einer Rundfunksendung ermordet, der andere in einer dunklen Nacht in der Polizeizelle erhängt. Im Augenblick waren der Bankraub und Petur Kári Magnussen die Spur, die ich verfolgte, deshalb wollte ich mit dem Journalisten Christian Joensen sprechen.
Um halb elf Uhr abends an einem ganz gewöhnlichen Wochentag kann man keine großen Erlebnisse in einem Bierclub erwarten. Dementsprechend gab es auch nicht mehr als zehn, zwölf Gäste in der großen Bar. Ausschließlich Männer. Ganz hinten an der lederbezogenen Theke stand Christian und unterhielt sich mit dem Barkeeper.
Als ich näher kam, hörte ich, wie er mit reichlich belegter Stimme über den Verkehr in Tórshavn redete und darüber schimpfte, dass die Kommunalpolitiker keine Ahnung hatten, wie sie ihn lenken sollten, weil sie ausschließlich an sich dachten. Der ganze Verkehr in der Innenstadt sollte verboten werden. Ich bestellte mir ein Bier und einen doppelten Aalborg – seit vorgestern war ich fast abstinent gewesen – und Christian drehte mir sein Gesicht zu.
»Na, haben die Schlauen heute Ausgang?« Seine Augen waren halb geschlossen. Das schmale Gesicht mit dem scharfen Profil war blass und die Hand, die die Zigarette hielt, zitterte leicht.
»Das ist so ’ne Sache mit dem Schlausein. Ich weiß nicht, ob ich zu den Schlauen gehöre, aber unterwegs bin ich, ja.«
Meine Antwort war nicht viel besser als seine Frage, aber an diesem Abend hatte ich keine Lust, mich mit ihm anzulegen.
»Doch, du bist schlau, nein wirklich.« Er holte weit mit seiner Zigarettenhand aus. »Denkst du, ich wüsste nicht, wo du gewesen bist, nachdem Jákup und ich gegangen sind?«
»Schon möglich.«
»Und wie möglich das ist!« Letzteres rief er wütend aus und dann fing er an zu lachen. Er war betrunkener, als ich gedacht hatte, war jedoch ein erfahrener Experte darin, sich auf den Beinen zu halten und ein Blackout zu vermeiden.
»Du warst bei Karl, hast aber nur das mit dem Gürtel erfahren.«
»Was für ein Gürtel?«, fragte ich ganz unschuldig.
»Du brauchst nicht den Dummen zu spielen, wenn ich mit dir rede. So blau bin ich nun auch wieder nicht und ich weiß, was Karl dir erzählt hat. Komm, lass uns da rübergehen.«
Wir setzten uns an einen der leeren Tische. Christian zündete sich eine neue Zigarette an und trank von seinem Bier. Ich trank meinen Schnaps und wir schauten ein wenig in die Runde.
Am Tisch direkt neben der Schwingtür saßen ein paar typische, wohlgenährte färöische Akademiker. Graues Haar, Nickelbrille, grauer Anzug und passender Schlips. Die Stimmung bei ihnen war gut, und warum auch nicht? Den Akademikern auf den Färöern ging es ökonomisch blendend, sie arbeiteten in der Regel, wo und wann sie gerade Lust hatten, und wenn sie eine Reise machen wollten, dann war der Staat immer mit einer helfenden Hand zur Stelle. Mit dem sexuellen Teil des Daseins lief es vielleicht nicht so gut, die meisten Frauen hielten sie nicht für ein Gottesgeschenk, aber an einem Dienstagabend, an dem keine Frauen anwesend waren, konnte man das, was unter ihren Begierden schmorte, gut vergessen.
Professoren-, Ehren- und Doktortitel
sind, wenn es drauf ankommt,
nicht mehr wert als der Titel eines Katzenkönigs
an des Teufels Geburtstag.
Christian leierte die Zeilen herunter und schaute dabei auf den Tisch. Dann schielte er zu mir, seine tief liegenden Augen waren von Stirn und Augenbrauen fast verdeckt: »Ich kenne meinen Pól F. und könnte ohne Weiteres diesen Polizeiarsch in Gedichten