Option Färöer - Ein Färöer-Krimi. Jógvan Isaksen
wird gut tun, aus diesem Regenwetter rauszukommen.« Haraldur schaute in den Himmel, während er sprach. »Weiße Strände und Palmen und kein Gerede von Steuern, Personenkennziffern und Auslandsverschuldung.«
»Willst du verreisen?« Ich war verblüfft. Schon seit langer Zeit war Haraldur für mich zu einem Teil von Tórshavn geworden. Dass er plante, das Land zu verlassen, war so unerhört, als hätte Rasmus Effersøe seinen Sockel verlassen und wäre über den Tinghúsplena spaziert.
»Ich habe eine Heuer als Ablöser auf einem Gastanker gekriegt, der zwischen San Francisco, Hawaii und den Marshallinseln fährt. Vorläufig für vier Monate. Ich warte nur auf den Bescheid, der kann jeden Augenblick kommen.«
»Und was ist mit dem Eyskarið?«
»Da ist ja im Augenblick nicht viel zu tun, und nur herumzurennen und Architekten und Handwerker zu beaufsichtigen, dazu habe ich keine Lust mehr.«
»Na, das wird hoffentlich auch ohne dich klargehen, aber mit wem soll ich dann zum Fischen rausfahren?« Ich versuchte, ironisch zu klingen, aber die Wahrheit war, dass ich Haraldur schon jetzt vermisste. Er war für mich wie ein Fels in der Brandung, besonders in diesen Tagen.
»Es gibt genug Boote, du wirst sehen, das ergibt sich.« Haraldur ging langsam den Weg zwischen der Schiffswerft und der alten Navigationsschule hinunter. »Übrigens, ehe ich es vergesse. Ich wollte dir noch etwas sagen.« Wir gingen gemeinsam nach Rættará hinunter.
»Als du mich in der Konditorei nach Páll Hansen und Gaia International gefragt hast, da habe ich gesagt, dass ich nichts über deren Machenschaften wüsste. Was Páll Hansen betrifft, stimmt das auch. Da weiß ich nur, dass ich an dem bewussten Tag frisches Walfleisch und Speck zu Mittag gegessen habe. Ich hatte ein Stück Speck in der einen Hand und ein Klappmesser in der anderen, als er starb. Ich glaube, ich bin mehrere Minuten so sitzen geblieben, so verblüfft war ich, als er anfing, im Radio zu röcheln. Zuerst habe ich gedacht, es wäre ein Scherz, aber dann wurde mir schnell klar, dass da etwas absolut nicht stimmte.«
Haraldur schwieg eine Weile, während wir langsam auf Skálatrøð und die vielen Boote zuschlenderten. Unten bei den Pontons setzten wir uns auf eine Bank und Haraldur griff den Faden wieder auf: »Was Gaia betrifft, so habe ich nicht genau verfolgt, was die Zeitungen geschrieben haben. Beispielsweise hatte ich keine Ahnung, dass Páll Hansen für die Kerle gearbeitet hatte. Aber vielleicht stand das auch gar nicht in der Zeitung?« Für einen Augenblick verfiel er ins Grübeln.
»Aber etwas habe ich doch gehört. An einem Abend, als ich hinterm Tresen im Eyskarið stand, war da ein mehr als angesäuselter Typ und plapperte vor sich hin. Ich habe nicht besonders darauf geachtet, aber ich kann mich noch gut daran erinnern, dass er sagte, Hanus í Rong sei der Mann, der hinter Gaia stünde, und es sei seine Schuld, dass so viele Menschen so viel Geld verloren hätten. Ich hatte Zweifel, doch er beharrte auf seiner Meinung und ergänzte noch, dass er das ja wohl wissen müsse, da er einer der Steuerprüfer bei Gaia gewesen sei.«
»Hanus í Rong. Ist das nicht der Reeder und Laienprediger?«, fragte ich verblüfft.
»Stimmt genau. Das, was einem Propheten hier im Land am nächsten kommt. Aber ich weiß nicht, ob an den Vorwürfen des Steuerprüfers etwas dran ist. Er war ziemlich angeheitert. Andererseits würde es mich gar nicht wundern. Diese Gläubigen streifen sich doch die göttliche Haut über und wieder ab, wie andere ihre Hemden wechseln.«
Haraldur steckte eine Hand in die Tasche und holte seine Kautabakdose hervor. Er schob sich einen Streifen hinter die Unterlippe, spuckte aus und reckte sich.
»Du kannst ja mal mit dem Steuerprüfer reden. Er arbeitet bei einem der großen Betriebe an der Hoyvíksvegur und lebt sicher wie die Made im Speck, jetzt, wo das Land von seinesgleichen regiert wird. Ich könnte mir auch gut zwei Bierclubdirektoren in Tinganes vorstellen.«
»Wie heißt dieser Steuerprüfer?« Ich unterbrach Haraldurs Wunschtraum.
»Arngrímur Brestisoyggj. Einer dieser jungen Typen von der Wirtschaftshochschule, die vom gemeinsamen Markt reden, von internationaler ökonomischer Zusammenarbeit, dass die Grenzen aufgehoben werden sollten und anderen schönen Dingen. Wenn sich ihm die Möglichkeit bietet, wird er sich aufstellen lassen und ganz sicher ins Ting gewählt werden.«
»Wer ist Hanus í Rong? Ich meine, wie ist er, was ist sein Ziel?«
Haraldur schaute auf seine Uhr und stand auf. »Eigentlich weiß ich überhaupt nichts über ihn. Habe nur mal bei der Post ein paar Worte mit ihm gewechselt, du weißt schon, Guten Morgen und was übers Wetter.«
Jetzt trippelte er ungeduldig.
»Jetzt muss ich aber nach Hause, telefonieren. Die Heuer, weißt du.«
Als Haraldur gegangen war, blieb ich noch ein wenig sitzen, starrte vor mich hin und kam ins Grübeln. Aber das dauerte nicht lange, denn bald zitterte ich vor Kälte. Milder Nebel, aber immerhin waren wir schon mitten im Oktober.
10
Als im Radio die Mittagsmusik begann, saß ich im überfüllten Kaffivognur auf der Østre Brygge und genoss die Zeitung der Konservativen und einen Becher Kaffee. Ich war wegen Christian Joensen immer noch zu aufgewühlt, um etwas Festes zu mir zu nehmen. Der Inhalt der Zeitung war wie üblich vorhersehbar und trotz heftiger Angriffe auf Personen und Institutionen herrlich beruhigend. Also gab es immer noch etwas, was beständig war.
Im Übrigen hatten mich die letzten Tage in Bezug auf die Zustände in unserem Land unsicher werden lassen. Irgendetwas lief hier verdammt falsch, und hinter dem Ganzen gärte eine Krämermentalität und noch etwas anderes, das ich kaum erahnte. Es war meine Aufgabe als Journalist, die Zusammenhänge herauszufinden. Von dieser Aufgabe war ich nicht gerade begeistert.
»Verflucht! Wenn das nicht Hannis ist!«
Jeansstoff beugte sich zu mir herunter und erstickte mich fast in Schnapsgeruch. Er lehnte sich schwer gegen mich, sodass der halb volle Kaffeebecher umfiel. Ich stand auf und konnte das Stoffbündel so weit zur Seite schieben, dass ich dem Kaffee entging und sehen konnte, um wen es sich da handelte.
Eine Folge von Erinnerungen kam mir in den Sinn. Das Gymnasium in Hoydalur, der weitgestreckte Rasen, der Bach, auf dem wir im Winter Schlittschuh liefen, die Lehrer, die ersten Feten, Schüler, die auf dem Boden lagen und ihren Rausch ausschliefen.
»Na, erkennst du mich wieder?« Die Stimme war etwas belegt, aber gut zu verstehen. Ihr Besitzer hatte Übung darin, angetrunken zu sein. Das war sein alltäglicher Zustand.
Natürlich erkannte ich ihn wieder, aber einen kurzen Moment lang kämpfte ich mit meinen Gefühlen. Mit der Borniertheit, die mit dieser Sorte Menschen nichts zu tun haben möchte, weil deren Unglück ja ansteckend sein könnte, und außerdem machten sie nur Ärger. Am besten, sie blieben im Verborgenen und kamen gar nicht hervor. Aber gleichzeitig war da das Gefühl, dass es nicht in Ordnung wäre, alte Schulfreunde zu verleugnen – was ich am liebsten getan hätte –, und dass ich mit dem Mann reden müsste.
»Natürlich erkenne ich dich wieder, Birgir. Setz dich doch.« Ich deutete auf einen Stuhl mir gegenüber.
Die junge Frau am Tresen kam zu uns herüber und wischte wütend den Kaffee vom Tisch.
»Solche Leute haben hier keinen Zutritt. Unser Direktor will das nicht. Mit denen hat man nur Ärger.« Ihre Stimme zitterte vor Wut und sie sprach, als säße ich allein am Tisch. »Soll ich ihn rausschmeißen?«
»Nein, schon gut. Bring uns lieber zwei Becher Kaffee.«
Sie ging.
Inzwischen betrachtete ich Birgir, der sich mit dem Kinn auf der Brust und geschlossenen Augen gesetzt hatte. Die Worte der Kellnerin hatte er gar nicht zur Kenntnis genommen. Sicher war er so etwas gewohnt.
Wie er so dasaß, schmutzig, nach Schnaps und altem Schweiß stinkend, verstand ich die junge Frau. Er war wirklich kein appetitlicher Anblick. Was von seinem Haar noch übrig war, war blond und hing klebrig bis in Ellbogenhöhe herunter. Auf dem Schädel, auf der Stirn