Der Irrläufer. Gudmund Vindland

Der Irrläufer - Gudmund Vindland


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wollt alles für euch selber behalten. Ihr wollt mit keinem teilen ... am allerwenigsten mit einem ungeschickten dreißigjährigen Pastor, der ein bißchen menschlichen Kontakt braucht. Na gut, Jungs! Das ist eure Entscheidung!»

      Magnus ließ mich los und versteckte sein Gesicht in den Händen. Ich war noch immer so sauer, daß die Moralpredigt von mir abprallte, aber trotzdem wußte ich nicht, was ich sagen sollte. «Ja, meinst du denn, daß ...»

      «Ich meine nur eins, und merk es dir, Yngve: Jesu Gebot der Nächstenliebe gilt für alle. Auch für euch!»

      In der schwülen Sauna herrschte gefährliche Stille. Das Atmen machte mir Mühe, und der Pastor musterte mich streng und gründlich. Ich versuchte, trotzig zurückzustarren. Zum Schluß befahl er: «Ihr könnt schon mal duschen gehen. Ich komm gleich nach!»

      Wir beeilten uns. Magnus hatte Gott sei Dank keinen mehr stehen. Als wir glücklich draußen im Duschraum waren, blieben wir stehen und sahen uns an.

      «Zum Teufel, so was Widerliches!» sagte ich.

      «Aber du hättest doch nicht so böse zu werden brauchen?»

      «Böse? Herrgott, Magnus, was hätten wir denn machen sollen?» Ich war ganz verzweifelt und wollte ihn berühren, aber er schob mich weg.

      «Faß mich nicht an!» sagte er irritiert und stellte die Dusche an.

      Ich merkte, wie meine Tränen stärker wurden als mein Zorn. Ich fühlte mich krank und zitterte am ganzen Körper, wollte nur noch weg von dort. «Können wir nicht gehen? Wir müssen doch darüber reden!»

      Magnus sah mich ernst an und nickte. Der Pastor hatte sich noch nicht wieder blicken lassen. Als wir wieder im Erdgeschoß waren, fiel mir das Atmen leichter.

      «Wolltest du wirklich so eine Orgie mit dem Typ veranstalten?»

      «Quatsch, spinnst du? Aber er hat’s bestimmt auch nicht so leicht. Du hättest ruhig etwas freundlicher sein können. Hast du nicht gesehen, daß du ihn schrecklich verletzt hast ...»

      «Aber, du hast doch gehört, was er gesagt hat! Nächstenliebe bedeutet, das mit ihm zu machen. Er will uns ausnützen! Findest du nicht, daß wir mit uns selbst genug haben?»

      «Ja, klar, aber er hat doch auch recht, man soll nett zu seinen Mitmenschen sein und so ...»

      Genau da kam der Pastor die Kellertreppe hochgejoggt, wieder so munter und dynamisch wie zuvor. «Ja, ja, Jungs. Jetzt lassen wir’s uns jedenfalls schmecken. Ihr mögt doch Lammbraten? Der muß jeden Augenblick fertig sein. Hilfst du mir den Tisch decken, Magnus?»

      Ich war alles andere als hungrig. Mir war übel, und ich wollte nur weg – aber nicht ohne Magnus. Der wiederum war der nette, wohlerzogene Konfirmand zu Besuch beim Pastor und übernahm für uns beide die Unterhaltung. Ich konnte kein Theater spielen, war stumm und verschlossen, aber der Pastor ließ sich davon nicht beeinflussen. Er konzentrierte statt dessen alle Aufmerksamkeit auf Magnus und war richtig gut aufgelegt. Schließlich fühlte ich mich noch elender als in der Sauna – und aß gar nichts.

      «Hast du denn keinen Hunger, lieber Yngve?» Der Pastor hatte eine aufrichtige, bekümmerte Miene aufgesetzt.

      Und davon kamen mir erneut die Wut und die Tränen. «Mir ist der Appetit vergangen.»

      «Also, wirklich, Yngve! Nimm das doch nicht so schwer. Du hast überhaupt keinen Gund, hier zu sitzen und zu schmollen. Wir werden schon noch wieder gute Freunde, wart’s nur ab.» Er nahm einen großen Bissen Fleisch, bevor er weitersprach. «Denk nur an Jesus und seine Jünger! Die moderne theologische Forschung ist zu dem Ergebnis gekommen, daß sie alles andere als nur platonische Freunde waren. Jesus mochte vor allem Johannes leiden. Ihr habt vielleicht gemerkt, daß sich Johannes in seinem eigenen Evangelium als ‹der Jünger, den Jesus liebte› bezeichnet? Das kann nur eins bedeuten, nämlich, daß sie buchstäblich ... äh, zusammen schliefen. Das sind historische Fakten, die natürlich nicht täglich in der Lehre der Kirche zu ihrem Recht kommen, und dagegen kann man ja auch nichts machen. Aber wir, die wir auf diese Weise fühlen, müssen wissen, daß wir von Gott nichts zu befürchten haben!» Der Pastor lächelte sein selbstsicheres Lächeln.

      Magnus lächelte verlegen zurück und sagte unsicher: «Toll.»

      Ich fühlte instinktiv, daß es jetzt gefährlich wurde. Wenn ich weiter opponierte – gegen den Pastor und gegen Gott –, würde ich eine schreckliche Niederlage erleiden. Also sagte ich: «Nein, es kann doch auch nicht falsch sein, wenn Leute sich mögen.»

      «Nein, genau! Und daß wir ab und zu ein bißchen nett zueinander sind, ist nur gut und richtig! Ja, ja. Wenn ihr jetzt satt seid, räumst du vielleicht das Geschirr weg, Yngve, und dann setzen wir uns ins Wohnzimmer und trinken ein Glas Portwein zum Kaffee. Das lehnt ihr doch wohl nicht ab, Jungs! Auch Jesus trank Wein, wißt ihr. Mit Maßen natürlich. Alles mit Maßen, das ist mein Wahlspruch. Ihr werdet ja ohnehin bald zum Abendmahl gehen, da schadet es nicht, wenn ihr euch ein Gläschen gönnt. Ich persönlich rauche nach dem Essen auch gern eine Zigarre. Ein kleines Laster muß man sich doch ab und zu erlauben dürfen. Es ginge vielleicht zu weit, euch Tabak anzubieten, oder? Obwohl, an mir soll’s nicht liegen. Na gut, dann nicht. Nein, nein, das ist ja nur vernünftig, Jungs, aber wenn ihr probieren möchtet, könnt ihr ja einen Zug von meiner nehmen ...»

      Ich verabscheute schon den Gedanken an seine Zigarre. Magnus dagegen zog vorsichtig daran.

      «Zigarren dürfen nicht inhaliert werden. Blas den Rauch leicht wieder aus und genieße den Geschmack.» Der Mann dozierte weltgewandt. Magnus ließ sich instruieren, nickte anerkennend und sagte, sie schmecke sehr gut. Der Pastor bot auch mir die Zigarre an, aber ich schüttelte ablehnend den Kopf. Er hob die Augenbrauen: «Dann nicht, Yngve. Niemand hier will dich zwingen. Zu nichts. Aber, ehrlich gesagt, ich finde, du bist ein kläglicher Tropf. Du machst nur alles für dich kaputt und setzt die gute Meinung der anderen ... ja, vielleicht auch ihre Freundschaft ... aufs Spiel, wenn du dich weiter so aufführst. Ich habe wirklich nichts gegen dich. Ich halte euch beide für nette, nicht zuletzt auch für intelligente junge Männer, und ... wie ich schon gesagt habe ... dieses Haus steht euch offen, wann immer ihr wollt. Und es täte mir weh, wenn ihr dieses Angebot nicht annehmen würdet.»

      Die Worte hingen genauso schwer in der Luft wie der Zigarrenrauch. Dann warf mir Magnus einen langen Blick zu, und mir sackte das Herz in die Hose: Der Junge wollte alles versprechen! Und wenn ich nicht nachgab, konnte ich alles verlieren. Deshalb ging ich den ersten Kompromiß meines Lebens ein: «Das ist schrecklich nett von dir ... Christian. Wir können ja eigentlich sonst nirgendwo hingehen ... Bei uns beiden zu Hause sind so viele neugierige Leute. Bisher haben wir das ja trotzdem geschafft ... Aber es ist sicher gut, wenn wir einen erwachsenen Freund haben, der uns mag und ... respektiert.» Das letzte sagte ich leise und sah dabei meine gefalteten Hände an. An den Knöcheln waren sie blau.

      «Yngve!» sagte der Pastor. «Da machst du mir aber wirklich eine Freude! Jetzt trinken wir auf uns. Auf die drei verschworenen Brüder im Geiste ... und im Fleische. Wir werden noch viel Spaß miteinander haben, und ... By the way, das bleibt doch unter uns, oder? Unsere Privatangelegenheiten gehen niemand anderen etwas an, nicht?»

      «Ja, ganz klar!» Magnus war begeistert.

      Ich nickte beifällig, aber ich traute mich nicht, die beiden anzusehen, denn innerlich schrie ich lauthals Protest.

      Der Pastor füllte unsere Gläser. Vorher mußte Magnus noch ganz schnell seines austrinken. Er hatte noch größere und glänzendere Augen und war so schön, daß es weh tat. Er sah ganz hingerissen aus, aber er war es nicht meinetwegen. Das brachte mich wenigstens auf klare Gedanken: Herrgott, wie leichtgläubig du bist! Mein lieber, unschuldiger Junge, du merkst nicht, was echt ist und was falsch ... Aber das mußt du lernen! Was ist bloß los mit dir?

      Pastor Christian beantwortete mir diese Frage. «Ich bin wirklich beeindruckt von euch Jungen heutzutage. Beeindruckt, weil ihr in bezug auf eure persönliche Entwicklung und in menschlicher Hinsicht schon so weit seid. So weit wie ihr sind natürlich noch nicht alle, ihr gehört ja immerhin zur Elite, und das darf euch auch nicht beunruhigen. Die Gesellschaftsentwicklung deutet darauf


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