Der Fall Deruga. Ricarda Huch

Der Fall Deruga - Ricarda Huch


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Zeunemann hatte versucht, den Angeklagten zu unterbrechen, aber ohne genügenden Nachdruck. „Sie haben wohl auch mehr Ursache, unruhig zu sein, als ich“, sagte er jetzt mit leichter Ironie. „Vielleicht würden Sie sich wohler fühlen, wenn Sie es einmal mit vollkommener Offenheit versuchten, anstatt sich und uns durch Ihre Winkelzüge zu reizen.“

      „Sie, Herr Präsident, will ich nicht ärgern, darauf können Sie sich verlassen“, sagte Deruga mit einem freundlich beschwichtigenden Tone, wie man ihn etwa einem Kinde gegenüber anschlägt.

      *

      „Warten Sie im Vorsaal des ersten Stockes auf mich“, flüsterte Justizrat Fein seinem Klienten zu, als gleich darauf die Sitzung aufgehoben wurde. Von dort aus gingen sie zusammen durch ein rückwärtiges Portal in die Anlagen, die auf eine stille Straße ohne Geschäftsverkehr führten. Vor einem mit Gesträuch bewachsenen Hange blieb der Justizrat stehen, stocherte mit der Spitze seines Regenschirmes in der alten, feuchtverklebten Blätterdecke und sagte: „Da muß es bald Schneeglöckchen und Krokus geben; ich will ihnen den Weg ein wenig frei machen.“

      „Kommen Sie, kommen Sie“, sagte Deruga, den Justizrat am Arm ziehend. „Die finden ihren Weg ohne Sie. Sagen Sie, kann ich heute nachmittag, während der Sitzung, nicht lesen, oder noch lieber schlafen? Das Zeug langweilt mich unbeschreiblich; Sie könnten mir ja einen Stoß geben, wenn ich mich betätigen muß.“

      „Machen Sie keine Dummheiten“, sagte der Justizrat; heute nachmittag wird wahrscheinlich der Hofrat von Mäulchen vernommen; der sehr schlecht für Sie aussagen wird. Sie müssen also aufpassen, ob Sie ihm nicht Ihrerseits etwas am Zeuge flicken können.“

      „Am Zeuge flicken!“ rief Deruga aus. „Umbringen möchte ich ihn. Ich hasse diesen Menschen, vielmehr diesen rosa Wachsguß über einer Kloake.“

      „Hören Sie,Deruga“, sagte der Justizrat. „Ich verstehe Sie öfters nichts, doch das am wenigsten, wie Sie einem Menschen Geld schuldig bleiben mochten, den Sie haßten. Sie hätten doch das Geld auch von anderer Seite haben können, zum Beispiel von dem guten Verzielli.“ „Wahrscheinlich hätte es Ihr Ehrgefühl verletzt, einem verhaßten Menschen Geld zu schulden“, sagte Deruga. „Sehen Sie, bei mir ist das anders. Mir machte es Vergnügen, zu sehen, was für Angst er um seine Taler hatte und wie er sich quälte, die Angst nicht merken zu lassen, sondern den Anschein zu wahren, als wäre es ihm ganz gleichgültig. Denn er will erstens für unermeßlich reich und zweitens für sehr weitherzig in Geldsachen gelten. Hätte ich Geld im Überfluß gehabt, würde ich ihn wahrscheinlich doch nicht ausbezahlt haben, um ihn zappeln zu lassen.“

      „Ich glaube, Sie können fürchterlich hassen“, sagte der Justizrat nachdenklich, indem er den Doktor nicht ohne Bewunderung von der Seite betrachtete.

      Dieser lächelte herzhaft und ausgiebig wie ein Kind. „Das kann ich allerdings“, sagte er: „Ich möchte manchmal einem ein Messer im Herz umdrehen, nur weil mir seine Mundwinkel nicht gefallen. Ich will mich aber heute nachmittag Ihnen zuliebe zusammennehmen, so gut ich kann.“

      „Ja, darum bitte ich“, sagte der Justizrat, „ich fühle mich doch etwas verantwortlich für Sie.“

      *

      Hofrat von Mäulchen erschien in gewählter Kleidung, in einen angenehmen, mondänen Duft getaucht, mit dem leichten und sicheren Gang dessen, den allgemeine Beliebtheit trägt, im Schwurgerichtssaale. Die Eidesformel, die der Präsident ihm vorsprach, wiederholte er mit liebenswürdiger Gefälligkeit und einem leicht fragenden Ausklang, so, als wolle er sich bei jedem Satz vergewissern, ob es dem Vorsitzenden und dem lieben Gott so auch recht wäre.

      „Der Angeklagte“, begann Dr. Zeunemann das Verhör, als alle Förmlichkeiten abgetan waren, „ist Ihnen seit Mai 19.., also seit fünf Jahren, sechstausend Mark schuldig. Wollen Sie, bitte, erzählen, wie Sie den Angeklagten kennenlernten, und wie es kam, daß er das Geld von Ihnen borgte!“

      „Beides ist schnell getan“, sagte der Hofrat. „Ich lernte Deruga im ärztlichen Verein kennen, außerdem hat er mich gelegentlich einer kleinen Wucherung in der Nase behandelt. Kollegen empfahlen ihn mir, weil er eine besonders leichte Hand habe, was meine eigene Erfahrung bestätigt hat. Es handelte sich bei mir allerdings um einen sehr einfachen Fall, aber auch darin kann man ja seine Fähigkeiten beweisen. Gewisse kleine Originalitäten und Wunderlichkeiten hatte er an sich, zum Beispiel erinnere ich mich, daß er mich immer in der Erwartung hielt, als käme etwas außerordentlich Schmerzhaftes, was doch gar nicht der Fall war. Ich habe sagen hören, daß er nach Belieben, sagen wir nach Laune, die Patienten ganz schmerzlos oder sehr grob behandelte. Aber das gehört eigentlich nicht hierher, und so weit meine persönliche Erfahrung reicht, kann ich ihn als Arzt nur loben. Als ich nun gelegentlich eine Bemerkung über die schäbige Ausstattung seines Wartezimmers machte, sagte er mir, er habe kein Geld, um sich so einzurichten, wie er möchte, worauf ich ihm, einem augenblicklichen Gefühl folgend, so viel anbot, wie er brauchte. Ich bin vielleicht kein sehr besonnener Rechner“, schaltete der Hofrat mit einem Lächeln ein, „aber in diesem Falle, einem Kollegen und tüchtigen Arzt gegenüber, glaubte ich gar nichts zu riskieren.“ „Hat der Angeklagte das Geld für eine neue Einrichtung verwendet?“ fragte der Vorsitzende.

      „Darüber kann ich aus eigener Anschauung nichts sagen“, antwortete der Hofrat. „Es wurde mir später einmal zugetragen, geschwatzt wird ja viel, die Sessel seines Wartezimmers würden immer schäbiger; begreiflicherweise habe ich es aber vermieden, ihn aufzusuchen und mich darüber zu unterrichten.“

      „Wollen Sie sieh dazu äußern?“ wendete sich der Vorsitzende gegen Deruga. „Haben Sie sich für das geliehene Geld ihr Wartezimmer neu eingerichtet?“

      „Gehört das hierher?“ fragte Deruga. „Ich glaubte immer, man könnte sein Geld verwenden, wie man wolle, einerlei, ob es geliehen oder gestohlen ist.“

      „Sie verweigern also die Antwort?“

      „Soviel ich mich erinnere“, sagte Deruga mürrisch, „habe ich Instrumente, moderne Apparate, einen Operationsstuhl und dergleichen gekauft.“

      „Sie haben“, setzte der Präsident die Zeugenvernehmung fort, „im Laufe der nächsten Jahre den Angeklagten niemals gemahnt?“

      „Bewahre“, erwiderte der Hofrat. „Einen Kollegen! Überhaupt würde ich das ohne genügende Gründe niemals tun. Ich hatte das Geld eigentlich schon verloren gegeben, denn das Gerede ging, als betriebe Deruga seine Praxis nur nachlässig und führe ein sehr ungeregeltes Leben. Ich habe übrigens, wie ich gleich vorausschicken will, der Wahrheit dieses Geredes nicht nachgeforscht und bitte, keine Schlüsse daraus zu ziehen.“

      „So gehen wir ohne weiteres zu dem Anlaß über“, sagte Dr.Zeunemann, „der Sie bewog, das Geld zurückzufordern. Wollen Sie den Vorgang im Zusammenhang erzählen!“

      „Im September vorigen Jahres“, berichtete der Hofrat, „traf ich mit Deruga in dem schon erwähnten ärztlichen Verein zusammen, nachdem ich ihn fast ein Jahr lang nicht gesehen und das Geld sozusagen vergessen hatte. Er rief mir über den Tisch hinüber in ziemlich formloser Weise zu, er wolle eine Patientin, von der er glaube, daß sie ein Unterleibsleiden habe, zu mir schicken, ich solle sie untersuchen und nötigenfalls behandeln, aber umsonst, zahlen könne sie nicht. Mehr über seine Art und Weise als über die Sache selbst verstimmt, erwiderte ich, wie ich gern glauben will, ein wenig kühl, ich sei mit Arbeit sehr überhäuft, die Kranke könne ja zu dem in Betracht kommenden Kassenarzt gehen. Darauf wurde Deruga kreideweiß im Gesicht und überhäufte mich mit einem Schwall von Beleidigungen, wie, daß ich es nur auf Geldmacherei abgesehen hätte, der Arzt für Kommerzienrätinnen und fürstliche Kokotten wäre, und dergleichen mehr, was ich nicht wiederholen will. Ich möchte bemerken, daß ich glaube, wie ungerecht seine Beschuldigungen auch waren, und wie unpassend auch die Form war, wie er sie erhob, er machte sie bona fide. Er hatte die Meinung, ich sei gemütlos und strebte nur nach klingendem Erfolg und äußerem Glanz, vielleicht weil ihm infolge einer gewissen volkstümlichen oder zigeunerhaften Veranlagung der Sinn für geregeltes bürgerliches Leben mit seinen traditionellen Begriffen von Anstand und Ehre überhaupt abgeht. In jenem Augenblick vermochte ich mich zu dieser


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