Der Fall Deruga. Ricarda Huch

Der Fall Deruga - Ricarda Huch


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gesprochen, Geld von seiner geschiedenen Frau zu erhalten, sei es bei ihren Lebzeiten oder nach ihrem Tode?“

      „Ich glaube“, sagte Verzielli, sein Taschentuch quetschend, „er sagte gelegentlich einmal, seine geschiedene Frau sei reich, und er sei überzeugt, sie würde ihm geben, was er brauchte, wenn er sie darum bäte.“ „Erinnern Sie sich, wann er Ihnen das gesagt hat?“ „Ich glaube“, sagte Verzielli, „daß es in der letzten Zeit nicht gewesen ist.“

      „Wir kommen jetzt“, sagte der Vorsitzende, nach einem leichten Räuspern die Stimme hebend, „zu einem sehr wichtigen Punkt, und ich fordere Sie auf, Herr Verzielli, Ihre Aufmerksamkeit und Ihr Gedächtnis energisch zusammenzufassen. Denken Sie vor allen Dingen nicht daran, welche Folgen Ihre Aussagen für den Angeklagten haben könnten, sondern nur daran, daß Sie einen Eid geschworen haben, die Wahrheit zu sagen!“ Verzielli richtete sich stramm auf, blickte dem Vorsitzenden fest ins Auge und umfaßte krampfhaft sein Taschentuch.

      „Erzählen Sie uns genau mit allen Einzelheiten, wie es sich begab, daß Sie von dem Gerücht, Dr. Deruga habe seine Frau ermordet, erfuhren, und daß Sie ihn davon in Kenntnis setzten!“

      Verzielli schwieg und starrte angelegentlich in einen Winkel, augenscheinlich bemüht, seine Gedanken zu sammeln.

      „Ich will Ihnen zu Hilfe kommen“, sagte Dr. Zeunemann nachsichtig. „Am Abend des 25. November kam Cavaliere Faramengo, der italienische Konsul, in Ihr Restaurant, um ein Glas Wein zu trinken, wie er zuweilen tat. Er fragte Sie nach dem Angeklagten aus, und Sie erfuhren von ihm, daß von München aus Erkundigungen über ihn eingezogen wären, und daß er im Verdacht stehe, seine geschiedene Frau, die Anfang Oktober gestorben war und ihn zum Erben ihres Vermögens eingesetzt hatte, ermordet zu haben. Außer sich vor Entrüstung liefen Sie sofort zu dem Angeklagten, erzählten ihm alles und sagten, wenn Sie nur wüßten, wer der Verleumder wäre, Sie würden ihn töten. Der Angeklagte sagte lachend: ,Dummkopf, ich habe es ja getan‘. Das ist, was der Untersuchungsrichter nicht ohne Mühe aus Ihnen herausgebracht hat. Bestätigen Sie jetzt vor dem versammelten Gericht und vor den Geschworenen?“ „Es ist wahr, daß Dr. Deruga sagte: ,Dummkopf, ich habe es ja getan‘, aber er hatte nur insofern recht, als er mich einen Dummkopf nannte, denn er meinte ...“

      „Bleiben Sie bei der Sache!“ sagte Dr. Zeunemann.

      „Was antworteten Sie darauf?“

      „Ich sagte, das wäre nicht möglich, und davon war ich auch überzeugt, daß es unmöglich wäre; aber in dem Zustand von Aufgeregtheit, in dem ich mich befand, bat ich ihn, augenblicklich nach Amerika zu fliehen, und bot ihm mein ganzes Vermögen an, damit er sich dort weiterhelfen könnte.“

      „Guter Mann“, sagte plötzlich Deruga laut.

      Verzielli, der es bisher vermieden hatte, nach der Anklagebank hinüberzusehen, wandte jetzt den Kopf herum und warf Deruga einen verzweifelten Blick zu. Auch Dr. Zeunemann sah ihn an. „Wie erklären Sie es“, sagte er, „daß Sie im ersten Augenblick der Überraschung Verzielli gegenüber die Tat zugaben?“ „Ich wollte sehen, was für ein Gesicht er machte“, sagte Deruga leichthin, „das ist alles.“

      „Ja, natürlich“, fiel Verzielli rasch ein. „So war er. Das ist ganz er. O Gott, er hatte recht, mich einen Dummkopf zu nennen. Ja, ein Esel, ein verwünschter Tölpel war ich, es nicht sofort klar zu durchschauen.“ „Bei der Sache bleiben“; unterbrach Dr. Zeunemann. „Die Stimmung des Angeklagten schlug unvermittelt um, er geriet in Wut und wollte sofort zum italienischen Konsul laufen, um zu erfahren, wer ihn verleumdet hätte. ,Sie haben es also nicht getan‘, riefen Sie und beschworen den Angeklagten, keinen übereilten Schritt zu tun und mit dem Besuch beim Konsul bis zum folgenden Morgen zu warten. Fürchteten Sie vielleicht, er würde sich in seiner Wut am Konsul vergreifen?“

      „Gott bewahre!“ rief Verzielli entrüstet. „Der Konsul sollte nur nicht erfahren, daß ich Deruga alles ausgeplaudert hatte. Auch fürchtete ich, daß Dr. Deruga in seinem gerechten Zorne sich allzu heftig äußern und dadurch den Konsul gegen sich einnehmen würde. Kurz, ich war ein Dummkopf und war maßlos aufgeregt. Ich wußte nicht, was ich sagte und was ich tat.“ Der Staatsanwalt war im Laufe des Verhörs aufgestanden und begleitete die Antworten des Italieners mit unwillkürlichen Gebärden und hier und da mit einem höhnischen Lachen oder entrüsteten Ausruf. „In Ihrer Aufgeregtheit“, sagte er jetzt, sich vorbeugend, „hatten Sie jedenfalls den Eindruck, daß der Angeklagte im Ernst sprach, als er sagte: ,Ich habe es ja getan.‘ Sonst hätten Sie hernach nicht ausgerufen: ,Sie haben es also nicht getan!“

      Verzielli warf einen zornigen und verächtlichen Blick auf den Sprecher und sagte entschlossen: „Was ich auch gesagt und gedacht habe, ich war im Unrecht, und der Doktor war im Recht, und wenn er seine Frau getötet hätte, was er aber nicht getan hat, so hätte er auch recht gehabt.“

      Eine Bewegung, mit Gelächter gemischt, ging durch den Saal.

      „Eigentümliche Auffassung“, sagte der Staatsanwalt, beide Arme in die Seite stemmend.

      „Ich denke“, nahm der Vorsitzende das Wort, als es wieder still geworden war, „wir lassen die Auffassungen beiseite und halten uns an Tatsachen. Wünscht einer der Herren Kollegen oder der Herren Geschworenen noch eine Frage an den Zeugen zu stellen? Nein? So können wir zu Fräulein Klinkhart, der Haushälterin oder Empfangsdame des Angeklagten, übergehen.“

      *

      Ein Fräulein von etwa fünfunddreißig Jahren trat vor, einfach, aber gut gekleidet, schwarzhaarig, mit gerader Nase und ruhigen, braunen Augen. Sie kam mit raschen, sicheren Schritten und sah sich um, als suche sie, wo es etwas für sie zu tun gäbe; als ihr Blick dabei auf Deruga fiel, nickte sie ihm freundlich und ermunternd zu. Den Eid leistete sie frisch und freudig; sie schien zu denken, nun habe sie den Faden in der Hand und werde den Wulst schon entwirren. Das Verhör begann folgendermaßen:

      „Wie lange sind Sie in der Stellung bei dem Angeklagten?“

      „Zehn Jahre.“ Ich kenne ihn also etwas besser als Sie alle, meine Herren, lag in diesen Worten.

      „Worin besteht Ihre Beschäftigung?“

      „Ich führe das Haus; koche das Essen, mache die Zimmer, empfange die Patienten, schreibe die Rechnungen und so weiter.“

      „Das ist sehr viel. Standen oder stehen Sie in freundschaftlichen, ich wollte sagen in mehr als freundschaftlichen Beziehungen zu dem Angeklagten?“ Sie runzelte die Brauen und schien eine rasche Antwort geben zu wollen, besann sich aber und sagte kurz: „Nein.“

      „Wieviel Lohn erhielten Sie?“

      „Achtzig Kronen.“

      „Hatten Sie Nebeneinkünfte?“

      „Nein.“

      „Die Stelle muß offenbar ideelle Annehmlichkeiten haben. Sie waren vermutlich sehr selbständig? Der Doktor behandelte Sie gut?“

      „Er mich und ich ihn. Wir passen gut zusammen. Übrigens ist es leicht, mit Dr. Deruga auszukommen. Wer es nicht tut, trägt selbst die Schuld.“

      „Gut. Erinnern Sie sich an den 1. Oktober des vorigen Jahres? Der Angeklagte verließ die Wohnung etwa um sechs Uhr. Sagte er Ihnen, wohin er ginge, und wann er wiederkomme?“

      „Dr. Deruga sagte, er käme vielleicht nachts nicht nach Hause und wisse auch noch nicht, ob er am folgenden Tage zur Sprechstunde wieder da sein würde.Wenn Patienten kämen, sollte ich sie vertrösten.“

      „Glaubten Sie, daß er verreise?“

      „Ich glaubte gar nichts — weil es mich nichts anging. Ich pflegte nie zu fragen, wohin er ginge, nur neckte ich ihn zuweilen, weil ich wußte, daß ihm die Frauenzimmer nachliefen. Vielleicht habe ich das auch an jenem Abend getan.“

      „Was hatte der Angeklagte bei sich, als er fortging?“

      „Ein Paket.“

      „Wissen Sie, was der Inhalt des Paketes war?“

      „Nein.“

      „Sie


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